Dienstag, 19. März 2024

Archiv

ARD-Serie "All you need"
Schwules Leben - ganz normal

Bislang hat sich noch kein deutscher Sender an eine rein schwule Serie getraut. Das ändert sich nun mit der ARD-Produktion "All you need". Die Suche nach dem Mann des Lebens kommt selbstverständlich und nüchtern abgeklärt daher.

Von Michael Meyer | 06.05.2021
Zwei Männer küssen sich zärtlich
Beziehungsdramen, Seitensprünge, Eifersüchteleien und die normalen Alltagsprobleme: Vier schwule Männer stehen im Mittelpunkt der ARD-Serie "All you need". (ARD DEGETO / Andrea Hansen)
"Wahrscheinlich wundert Ihr Euch, warum ich hier sitze. Tja, willkommen in meinem Leben."
Vince, gespielt von Benito Bause, ein gutaussehender 30-jähriger Man of Color ist der Hauptcharakter der Serie "All you need". Die Geschichte rotiert um vier junge Schwule in Berlin, die lieben, leiden, sich verlieben, trennen und neue Beziehungen anfangen:
"Vince ist nicht so begeistert, dass Du jetzt bei mir wohnst?"
"Wie kommst Du da jetzt da drauf?"
"Er ist ein bisschen eifersüchtig."
"Auf mich?"
"Auf uns. Überleg doch mal, Vince hatte noch nie einen Freund, wechselt seine Freunde wie andere ihre Unterhosen…Er meint zwar immer, er sei überzeugter Single aber im tiefsten Inneren will er genau das, was wir jetzt haben."
Ein Scheinwerfer richtet sich von oben auf einige Menschen, andere bleiben im Schatten
Nico Hofmann über Diversität im Film: "Daran führt kein Weg mehr vorbei"
Als erstes deutsches Unterhaltungsunternehmen hat sich die UFA zu Diversität vor und hinter der Kamera verpflichtet. Endlich müsse sich die Vielfalt der deutschen Gesellschaft auch in Film- und TV-Produktionen wiederfinden, sagt UFA-Chef Nico Hofmann.

Auf der Suche nach dem Mann des Lebens

"All you need" konzentriert sich auf die Schicksale der vier Hauptprotagonisten: Das "Beziehungsquadrat" der Serie besteht aus dem Langzeitstudenten Vince, dem etwas verschlossen daherkommenden Robbie (Frédéric Brossier), dem langsam etwas spießig werdenden Webdesigner Levo, und dem erst spät geouteten Familienvater Tom. Sie alle suchen in Berlin nach dem Mann fürs Leben, vor allem Vince, der aber Beziehungsängste mit sich herumträgt:
"Warum muss denn immer gleich alles ein Label bekommen? Ich meine, man kann doch einfach Zeit zusammen genießen, ohne es zu definieren."
"Du hast Schiss, du hast Schiss, dass Robbie nicht mehr will."
"Ich habe keine Ahnung, was er will. Er ist nicht unbedingt der größte Redner."
"All you need" ist sowohl visuell als auch inhaltlich auf der Höhe der Zeit. Schwulsein wird nicht mehr problematisiert, sondern gelebt. Mit allem, was dazu gehört. Die Beziehungsdramen, Seitensprünge und Eifersüchteleien erinnern hier und da an "QueerAsFolk", allerdings war diese Serie, sowohl in der britischen, wie in der amerikanischen Version greller und schriller. "All you need", in ihrer Selbstverständlichkeit und zuweilen nüchternen Abgeklärtheit, erinnert eher an die HBO-Serie "Looking", in der eine Gruppe junger Männer in San Francisco ebenfalls die Aufs und Abs des Beziehungslebens durchmachen.
"All you need"-Regisseur Benjamin Gutsche sagt, dass er diese Normalität schwulen Lebens abbilden wollte:
"Das ist ja auch das, was in Deutschland gefehlt hat: Serien, die auch so ein bisschen die Identifikationsfiguren, die ich selber brauche als Zuschauer, die bisher nicht da waren, und habe die Serien natürlich geschaut. Und natürlich waren die sehr inspirierend, in dieser Selbstverständlichkeit, gerade auch bei "Looking", wie dieses queere Leben in San Francisco erzählt wurde, da haben wir schon geschaut, was hat wahnsinnig gut funktioniert, aber wie heben wir uns auch gleichzeitig ab?"
Zwei Männer trinken Cocktails, tanzen und flirten
Party Time bei "All you need" (ARD DEGETO / Andrea Hansen)
Und doch gibt es weitere Parallelen zu amerikanischen LGBT-Serien: So werden auch in "All you need" unterschwellig Klassenfragen verhandelt: Der eine Protagonist Robbie lebt beengt im Plattenbau, der Ex-Hetero und Investmentbanker Tom in großzügiger Villa mit Garten und Nobelarchitektur. "All you need" spricht noch weitere gesellschaftlich relevante Themen an, wie etwa Homophobie oder Rassismus.
"Da wo sie herkommen, kann man vielleicht machen, was man will. Hier in Deutschland gibt es allerdings Regeln, an die man sich halten muss." -"Tschuldigung? Ick bin jeboren in Berlin."
Die namensgebende Oscar-Statue bei einer früheren Preisverleihung.
Neue Diversität bei den Oscars
Die Oscars sollen inklusiver werden – Ziel in der Kategorie ‚bester Film‘: mehr Diversität bei den Geschlechtern, der sexuellen Orientierung und verschiedenen Ethnien. "Ich hoffe nur, dass das keine Schönheitsreparatur an der Oberfläche ist", so die Leiterin des Frauenfilmfestivals Maxa Zoller im Dlf.

Facettenreiche Charaktere

Nicht immer gelingt es der Serie, alle Klischees zu brechen – Szenen von langen Clubnächten mit anschließendem Spontan-Sex auf dem Klo mögen manche Zuschauer und Zuschauerinnen als typisch schwules Nachtleben bezeichnen, und dennoch gelingt es Drehbuchautor und Regisseur Gutsche, seine Charaktere facettenreich und spannend zu zeichnen.
Obwohl sich "All you need" als LGBTIQ-Serie versteht, werden auch ganz alltägliche Themen verhandelt: Eine langjährige Beziehung, die plötzlich vor der Zerreißprobe steht. Der Schuldenberg, der unaufhörlich wächst. Der One-Night-Stand, der nicht lockerlässt. Die große Liebe, die unerwidert bleibt - wie bei Heteros auch. Die ARD hat die Serie so überzeugt, dass schon vor der Premiere der ersten Staffel eine Fortsetzung eingekauft wurde.
"All you need", ab Freitag, 7. Mai in der ARD-Mediathek und am 16. Mai im Spartenkanal ONE.