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Arentz: 'Das Mainzer Modell ist eine Lachnummer'

Leminski: Auf jeden Bundesbürger kommen im Jahr Sozialhilfekosten von rund 250 Euro. Das ist für viele Kommunen zu viel, das umso mehr, als sie durch den Einbruch bei den Steuereinnahmen immer tiefer in die roten Zahlen rutschen. Hinzu kommt der Anstieg der Arbeitslosenzahlen und die offenbar mangelhafte Vermittlung durch viele Arbeitsämter. Die Bundesregierung steuert dem durch das Mainzer Modell des Kombilohns entgegen: Geringbeschäftigte erhalten einen Zuschuss bei den Sozialabgaben. Das Feld zwischen Sozialhilfe und Arbeitsmarkt ist kaum noch überschaubar. Wir haben nun einen Fachmann am Telefon: Den Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse Hermann Josef Arentz. Guten Morgen.

    Arentz: Guten Morgen, Herr Leminski.

    Liminski: Herr Arentz, fangen wir beim Kombilohn, dem Mainzer Modell an. Ist das der richtige Henkel, um den heißen Topf vom Feuer zu heben?

    Arentz: Das Mainzer Modell, das die Bundesregierung gestern beschlossen hat, ist eher eine Lachnummer als der richtige Henkel für den heißen Topf. Denn in Mainz, in Rheinland-Pfalz, wo dieses Modell seit dem Jahre 2000 erprobt wird, sind gerade mal ganze 745 Menschen mit Hilfe dieses Modells wieder in Arbeit gekommen und dass die Bundesregierung selber im Grunde nicht an einen Erfolg glaubt, das können Sie daran sehen, dass für dieses Jahr ganze 20 Millionen Euro bundesweit zur Verfügung gestellt worden sind, das heißt Geld für weniger als 10000 Menschen, die so überhaupt wieder in Arbeit kommen könnten. Und ich finde das ist angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen eher eine Frechheit, so etwas als Lösung zu präsentieren, als eine wirkliche Hilfe.

    Liminski: Aber war das nicht schon eine Idee, die auch Ihr Vorgänge Norbert Blüm betrieb?

    Arentz: Nein, in der Form nicht. Wenn man Kombilohn machen will, dann muss man das vernünftig machen. Und nach unserer Überzeugung müssen wir ansetzen bei einer radikalen Verbilligung der Arbeit im unteren Einkommensbereich. Und das bedeutet im Klartext, dass für Geringverdiener die Sozialversicherungsbeiträge, die ja eine größere Last im unteren Einkommensbereich darstellen als die Steuerlast, dass diese Sozialversicherungsbeiträge bis auf null heruntersubventioniert werden und dann erst langsam ansteigen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts in Köln, aber auch zum Beispiel der Benchmarking-Gruppe, die die Bundesregierung eingesetzt hat, haben errechnet, dass auf diese Art und Weise weit über eine Million Menschen wieder in Arbeit kommen könnten. Menschen, die heute zu einem großen Teil in den Schwarzarbeitsbereich abgedrängt werden, weil sie keine echten Chancen haben.

    Liminski: Müsste man den Schwarzarbeitsbereich nicht besser kontrollieren?

    Arentz: Ich glaube, dass es eher um eine Veränderung der Rahmenbedingungen als um mehr Kontrolle geht. Vor zwei Tagen ist eine Studie erschienen, die gemeinsam verantwortet worden ist von der Industriegewerkschaft Bau und den Arbeitgeberverbänden im Baubereich. Die kommen zu dem Ergebnis, dass wir weit über fünf Millionen Menschen in Deutschland haben, die fast ausschließlich in der Schwarzarbeit tätig sind. Da können Sie mit noch so viel Kontrolle wenig erreichen. Was wir vor allen Dingen brauchen, sind eben Rahmenbedingungen, dass zum Beispiel private Haushalte, die eine Hilfe zu Hause haben wollen, nicht in den Bereich BAT, also 'bar auf Tatze' ausweichen, sondern dass sie sagen: jawohl, wir beschäftigen jemanden zu ganz normalen Bedingungen bei uns, aber dafür brauchen wir finanziell zumutbare Bedingungen (dazu habe ich gerade was gesagt) und dazu brauchen wir ein Mindestmaß an bürokratischem Aufwand, also ein so geringes Maß, dass auch ein Privatmensch das leisten kann.

    Liminski: Herr Arentz, vielfach funktioniert die Sozialhilfe als eine Art Ersatzarbeitslosenversicherung, gerade bei Langzeitarbeitslosen, bei denen die Vermittlung sehr schwierig ist. Deshalb wurde angeregt, ein neues Fördersystem für Langzeitarbeitslose einzurichten, statt die Arbeitslosenhilfe auf die kommunale Sozialhilfe zu übertragen, sollte der Bund durch ein eigenes, aus Steuermitteln finanziertes Leistungsrecht alle Langzeitarbeitslosen wirksam unterstützen. Das erklärte der kommunale Spitzenverband gestern in Augsburg. Ist das denn ein gangbarer Weg?

    Arentz: Wir brauchen auf jeden Fall eine Neuordnung, die im Bereich von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, weil beide Systeme sich im Grunde um eine große Zahl von Menschen kümmern, um die Existenzsicherung von Menschen kümmern, die langzeitarbeitlose Menschen sind. Das Problem liegt darin, dass wir zunächst mal in der Sozialhilfe dafür sorgen müssen, dass die 1,1 Millionen Kinder, die heute in der Sozialhilfe sind, herauskommen durch eine drastische Verbesserung des Familienlastenausgleichs. Das will die Union im Übrigen erreichen, das haben wir vor wenigen Wochen in Dresden auf dem Parteitag beschlossen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist dann, dass die Hilfeangebote und Möglichkeiten für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und arbeitsfähige Arbeitslosenhilfebezieher in eine Hand gegeben werden, dass da kooperiert wird. Ich glaube, dass man das erreichen kann durch eine ganz dichte und enge Kooperation der kommunalen Sozialämter und der Arbeitsämter auf der anderen Seite. Und dass man dann dorthin kommen muss, dass die Leistungshöhe und die Bedingungen zum Erhalt von Leistungen zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe harmonisiert, sprich gemeinsam gestaltet werden. Wer dann letztlich wie viel Geld in den gemeinsamen Topf tut, das sollen bitteschön Kommunen und Bund miteinander vereinbaren.

    Liminski: Ist das nicht nur ein großer Verschiebebahnhof, diese Neuordnung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden? Es geht doch um eine Kostensenkung insgesamt.

    Arentz: Eben. Und das, was ich gerade vorgetragen habe, dient ja der Kostensenkung, weil es nämlich dazu führt, dass wir eine viel speziellere und individuellere Hilfe für den einzelnen Arbeitslosenhilfebezieher oder Sozialhilfebezieher haben, damit der wieder in Arbeit kommt - Punkt eins. Und Punkt zwei: aber auch genauer hingesehen wird, wenn jemand trotz eines Arbeitsangebotes nicht bereit ist, diese Arbeit anzunehmen. In den Fällen müssen wir zu ganz deutlichen Kürzungen der Leistungen kommen, weil es nicht sein kann, dass sich jemand auf Kosten der Allgemeinheit einen schönen Tag macht, obwohl er ein Arbeitsangebot hat.

    Liminski: Bundeskanzler Schröder hat Anfang der Woche auf dem Standortkongress des deutschen Industrie- und Handelkammertages die Reform der Sozialhilfe auch als dringende Aufgabe bezeichnet und mit dem Arbeitsmarkt verknüpft und das ist eine Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch arbeitet an einer solchen Reform. Ist die Verzahnung von Arbeitslosenvermittlung und Sozialhilfe auch Ihrer Meinung nach der Königsweg der Reform?

    Arentz: Es gibt auf dem Arbeitsmarkt überhaupt keinen Königsweg, aber es ist ein wichtiges Element in einer solchen Reform. ich glaube eben, dass ein zweiter wichtiger Punkt die Neuordnung der Sozialversicherungsbeiträge für Menschen im unteren Einkommensbereich sein muss und zum dritten der Punkt, dass wir endlich in Deutschland wieder etwas tun, um beim Wirtschaftswachstum nicht das Schlusslicht, als der Letzte im Verbund der europäischen Länder zu sein. Denn ohne Wirtschaftswachstum werden wir an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit noch viele Jahre herumdoktern und ich finde, das ist angesichts auch des menschlichen Elends, was unfreiwillige Arbeitslosigkeit bedeutet nicht hinnehmbar.

    Liminski: Herr Arentz, Sie sind Rheinländer. das ist in diesen geselligen Zeiten besonders unterhaltsam aber auch sonst steht der sogenannte rheinische Kapitalismus, also die soziale Marktwirtschaft mit dem Vorteil da, dass Solidarität und Gemeinsinn sozusagen institutionell abgesichert sind. Das ist in Amerika nicht der Fall, man schaut ja gerade bei diesen Reformen oft auf Amerika. Fürchten Sie nicht, dass Solidarität bei diesen amerikanischen Modellen, die bei uns eingeführt werden sollen, durch Repression verdrängt wird?

    Arentz: Nein, das glaube ich nicht. Aber wir müssen natürlich darauf achten, dass Solidarität nicht als Einbahnstraße definiert wird. Solidarität kann nicht sein, dass ein paar Clevere die Hand aufhalten und viele Anständige, die sich nachher wie die Dummen vorkommen in die Hand was reintun. Sondern Solidarität bedeutet, dass jeder sich im Rahmen seines Leistungsvermögens anstrengt und etwas leistet und derjenige, der dann zusätzlich noch eine Hilfe braucht, die aber auch von der Gemeinschaft bekommt, damit alle ein menschenwürdiges Leben führen können. Ich glaube, das ist die wichtigste Herausforderung für die Politik und in dem Sinne sage ich Ihnen auch ganz deutlich: auch wenn man das eine oder andere Element in anderen Ländern sich abschauen kann, weil es gut funktioniert, sollten wir hier in der Bundesrepublik Deutschland nie und nimmer dieses Modell der sozialen Marktwirtschaft aufgeben, weil es im Grunde auch Ausdruck unseres Menschenbildes und unserer Grundwerte ist.

    Liminski: Herr Arentz, letzte Frage zur Arbeit des Arbeitsamtes selbst. Dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit sind gestern abend einige Kompetenzen entzogen worden; die gesamte Anstalt mit ihren rund 90000 Beschäftigten kommt auf den Prüfstand. Ist Jagoda noch zu halten?

    Arentz: Ich glaube, es wäre völlig falsch, den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit jetzt sozusagen als Bauernopfer hinzustellen und seines Amtes zu entheben. Das führt ja in der Sache nicht weiter. Wir brauchen eine Totalreform der Arbeitsverwaltung. Die Arbeitsverwaltung muss, um es im Bild zu sagen, vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es ist ein Skandal und das haben alle gewusst. Das hat der Bundesarbeitsminister gewusst, das haben die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane gewusst. Wenn von 93000 Mitarbeitern nur 8500 direkt im Vermittlungsgeschäft tätig sind, dann habe ich den Eindruck, diese Anstalt ist jahrelang benutzt worden zur geräuschlosen Verwaltung der Arbeitslosigkeit und nicht in erster Linie zur Vermittlung arbeitsloser Menschen in Arbeit. Und das muss sich ändern und da kann sich keiner rausreden. Ich lese zum Beispiel heute morgen in der Zeitung, dass Herr Riester nun gesagt hat, er wolle die effiziente Verwendung der Mittel in weiteren Bereichen überprüfen. Ja verdammt noch mal, was hat der Mann denn eigentlich gemacht? Der ist seit fast vier Jahren Minister, der hätte jedes Jahr schauen müssen, dass die Gelder vernünftig und effizient verwaltet werden. Und dass jetzt alles auf den armen Bernhard Jagoda abzuladen, das geht nicht.

    Liminski: Aber der hätte auch schauen müssen.

    Arentz: Ja natürlich, alle Beteiligten hätten schauen müssen. Und deswegen: wenn über personelle Verantwortlichkeiten geredet werden soll - bitteschön, dann wird die Treppe von oben gelehrt und dann reden wir zuerst über Herrn Riester.

    Liminski: Das war der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse Hermann Josef Arentz, besten Dank für das Gespräch, Herr Arentz.

    Arentz: Bitte sehr.

    Link: Interview als RealAudio