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Arien mit großer Innigkeit

Das französische Label Ambroisie hat jetzt eine Aufnahme von Niccolò Jommellis Opera seria "Armida Abbandonata" wieder veröffentlicht, auf der Christophe Rousset das Ensemble Les Talens Lyriques leitet. Mit hervorragend besetzten Gesangspartien, einer großen Leichtigkeit und Präzision in der Orchesterführung nimmt die zweite Opernaufnahme des Ensembles sofort gefangen.

Von Christiane Lehnigk | 10.07.2005
    Wir stellen Ihnen heute die Opera seria "Armida Abbandonata - Die Verlassene Armida", von Niccolò Jommelli aus dem Jahre 1770 vor, mit Les Talens Lyriques unter der Leitung von Christophe Rousset. Erschienen ist die Aufnahme beim französischen Label Ambroisie.

    " Musikbeispiel: Niccolò Jommelli - Sinfonia (Ausschnitt) aus: Armida Abbandonata"

    Genau genommen handelt es sich bei der vorliegenden Einspielung um keine Neuerscheinung im eigentlichen Sinne, denn die Aufnahme von Jommellis Armida ist schon elf Jahre alt und wurde damals von Fnac Music veröffentlicht. Jetzt erschien sie erneut bei Ambroisie. Les Talens Lyriques bestanden damals seit gerade drei Jahren und es ist schon erstaunlich, auf welches Niveau Christophe Rousset das Ensemble in so kurzer Zeit gebracht hatte.

    Das Repertoire der Talens Lyriques reicht von Monteverdi bis Mozart, Armida war die zweite Opernaufnahme nach Händels "Scipione", die jüngste ist Lullys "Roland".

    Das, was an dieser Aufnahme sofort gefangen nimmt, ist, neben den hervorragend besetzten Gesangspartien, die große Leichtigkeit und Präzision in der Orchesterführung.

    Jommelli hat mit diesem Spätwerk noch einmal ein exquisites Beispiel einer kunstvollen opera seria geschaffen, ein Genre, dessen Hochzeit in Europa schon eigentlich vorüber war.

    Die Beurteilung des 14-jährigen Mozart, dass diese Musik einerseits "schön, aber viel zu gescheid" und zu "altvätterisch fürs theatro" sei, mag man heute anhand der Interpretation Roussets kaum nachzuvollziehen.

    Die Handlung wird hier nicht aus einem Intrigengeflecht konstruiert, sondern durch eine innere dramatische Entwicklung getragen, der Rousset in den Arien eine große Innigkeit zu verleihen vermag. Die Geschichte spielt um 1100 zur Zeit der Kreuzzüge im Kastell der Zauberin Armida, inmitten eines Sees, unweit des Lagers Gottfried von Bouillons. Der eigentliche Machtkampf spielt sich zwischen der Heidin Armida und dem Christen Gottfried ab, den ihr Opfer Rinaldo als Konflikt zwischen Liebe und Pflicht bewältigen muss.

    Im abschließenden Duett des 1. Aktes, kann Armida Rinaldo, der sich von ihr trennen wollte, noch einmal von ihrer beider Liebe überzeugen, wenn auch die Mollfärbung zum Schluss schon darauf hinweist, dass dieser Zustand wohl kaum von langer Dauer sein wird.

    Grandios hier Claire Brua als Rinaldo und Ewa Malas-Godlewska als Armida.

    " Musikbeispiel: Niccolò Jommelli - 1. Akt Duett Rinaldo/Armida aus: Armida Abbandonata"

    Die Uraufführung von Niccolò Jommellis Opera seria "Armida Abbandonata" fand am 30. Mai 1770 im Teatro San Carlo in Neapel statt. Nach einem 15 Jahre währenden Aufenthalt in Deutschland, wo Jommelli Kapellmeister am Stuttgarter Hof gewesen war, kehrte er zurück in seine Heimatstadt, in der er vier Jahre später verstarb. Er hatte zuvor in Rom, Venedig und Wien gewirkt und Opern für den portugiesischen Hof geschrieben.

    Für die Aufführung der Armida stand Jommelli ein hervorragendes Sängerensemble zur Verfügung, vier der fünf Männer-Partien hatte er mit Kastraten besetzt und die Protagonisten gehörten zu den namhaftesten Sängern ihres Faches: der Kastrat Giuseppe Aprile als Rinaldo, mit dem Jommelli schon in Stuttgart zusammengearbeitet hatte und die Sopranistin Anna de Amicis, für die Mozart zwei Jahre später die schwierigsten Partien in seiner Oper "Lucio Silla" geschrieben hat.

    Rousset hat bei seiner Einspielung die Rollen mit Sopranistinnen besetzt, neben Armida und Rinaldo, Véronique Gens als Erminia, Laura Polverelli als Rambaldo, Patricia Petibon als Ubaldo und Cécile Perrin als Dano. Der einzige Mann in der Frauenrunde ist Gilles Ragon als Tancredi, der die 3 virtuosen Arien mit Bravour bewältigt.

    " Musikbeispiel: Niccolò Jommelli - 2. Akt, 8. Szene: Arie Tancredi aus: Armida Abbandonata"

    Gemessen an der Zahl der Aufführungen hatte Armida den größten Erfolg unter Jommellis letzten Werken, was nicht zuletzt auch den Sängern zu verdanken war. Aber die Reaktionen des Fachpublikums waren konträr und spiegelten die unterschiedlichen ästhetischen Positionen wider, die sich im Stilwandel der Opernkomposition seit 1760 in Italien herausgebildet hatten.

    Auch der Neapolitaner Jommelli, 1714, im gleichen Jahr wie Gluck und Carl Philipp Emanuel Bach und vier Jahre später als Pergolesi geboren, hatte sich um die Reform der Opera seria bemüht.

    So war es ihm zum Beispiel gelungen, sich in den Arien von der starren Da-Capo-Form zu befreien, die Rezitative, hier nur vom Basso continuo begleitet, dramatisch zu straffen und die Ideale Metastasios, mit dem er in enger Verbindung stand, vom lyrischen Theater umzusetzen. Er hinterließ etwa 100 opere serie und opere buffe, 16 Oratorien und eine große Anzahl von geistlichen Werken.

    Das Libretto der Armida stammt von Francesco Saverio DeRogati, der sich an dem 16. und 18. Gesang von Torquato Tassos Epos "La Gerusalemme liberata overo Il Goffredo" von 1575 orientierte. DeRogati schuf eine ganz eigenständige Dramatisierung des häufig für die Opernbühne eingerichteten Stoffes, und so schließt seine Handlung nicht mit der Zerstörung von Armidas Reich und dem Aufstieg im Drachenwagen, sondern wird szenenreich und effektvoll fortgesetzt. Natürlich obsiegt am Schluss das Pflichtgefühl des Kreuzritters, aber der innere Konflikt ist überzeugend und herzzerreißend dargestellt.

    Hier zum Schluss die virtuose Rachearie Armidas, als Reaktion auf den bedauernden Verzicht Rinaldos. Es singt Ewa Malas-Godlewska.

    " Musikbeispiel: Niccolò Jommelli - 3. Akt, 12. Szene, Arie Armida aus: Armida Abbandonata"

    Diskografische Angaben

    Titel: Niccolò Jommelli - Armida Abbandonata. Opera seria in drei Akten
    Solisten: Armida - Ewa Malas-Godlewska, Sopran
    Rinaldo - Claire Brua, Mezzosopran
    Tancredi - Gilles Ragon, Tenor
    Erminia - Véronique Gens, Sopran
    Orchester: Les Talens Lyriques
    Leitung: Christophe Rousset
    Label: Ambroisie
    Labelcode: LC 12653
    Bestell-Nr.: AMB 9983 (3CDs)