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Arkadien bis Megalopolis - Landschaftsdarstellung in der zeitgenössischen Kunst

Nur selten wohl kann eine Ausstellung, in der es um Bilder von Landschaften geht, auf eine so kongenial eingepasste Umgebung verweisen wie hier. Dieser Eindruck verfestigt sich beim Besucher spätestens dann, wenn er aus den in kunstvoller Schlichtheit restaurierten Räumen der Staatlichen Galerie Moritzburg durch eine kleine Seitentür hinaustritt in die Westruine. Unter freiem Himmel hat hier das französische Künstlerpaar Anne und Patrick Poirier Rasen gepflanzt und mitten hinein zwischen die nackten Mauerreste dieser ehemaligen Empfangshalle im Erzbischöflichen Palais eine Wellblechhütte gebaut, wie man sie sonst aus den Slums südamerikanischer oder afrikanischer Großstädte kennt. Nähert man sich der Hütte und schaut durch das Fenster hinein, erblickt man im dunklen Inneren schemenhaft das Modell einer riesigen Stadt mit Bürotürmen und breiten Magistralen. Die Innenwände der Hütte sind mit Spiegeln verkleidet, so dass das finster-funktionale Idealstadtmodell zu allen Seiten gleichsam ins Unendliche ausufert. Man könnte natürlich in dieser ärmlichen Hütte selbst schon eine Metapher für die Realität der großen und nur scheinbar glanzvollen Metropolen in aller Welt finden – aber durch die alten Renaissancefenster der Westruine fällt der Blick wiederum auf die Hallenser Neustadt, deren horizontweite Plattenbauten die sozialistische Adaption moderner Idealstädte verkörpern. Halle ist umgeben von heute oft leerstehenden Trabantensiedlungen, von Kraterlandschaften des Braunkohletagebaus, vom mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit aufgeputzten Chemiedreieck von Bitterfeld und Wolfen ebenso wie andererseits vom Wörlitzer Gartenreich: Halle sozusagen als Nabel einer kleinen Welt ehemaliger, mehr oder weniger bizarrer und katastrophenträchtiger Ideallandschaften gibt der Hütten-Installation der Poiriers in der Westruine erst die Pointe des Beiläufigen und Alltäglichen. "Paysage romantique" haben die beiden Franzosen ihre Arbeit genannt, womit sie nicht von ungefähr auch auf die pittoresken Ruinenlandschaften eines Caspar David Friedrich anspielen: Dessen Gemälde "Die Nacht im Hafen" wurde eigens aus der Petersburger Eremitage nach Halle entliehen, um diese Ausstellung halb ironisch, halb mahnend einzuleiten.

Ein Beitrag von Carsten Probst |
    Am linken Rand dieses um 1820 entstandenen Bildes zitiert Friedrich eine Ansicht der Hallenser Marktkirche, was zweifellos schon Grund genug wäre, es zum Programmbild für den "Aufbau Ost" zu erheben: Halle, bekanntlich nicht am Gestade eines Meeres Gelegen, taucht wiederum auf als Idealstadt: Ihre Kirchtürme und die Masten der unter ätherischem Mondlicht ankernden Schiffe gehen im Bild eine typologische Verbindung ein, sekundieren vereint der hohen und frohen Botschaft, die wahrscheinlich einmal den ersten Teil einer Trilogie zu den Begriffen Glaube, Liebe und Hoffnung bildete.

    So absurd der Friedrichsche Idealismus in diesem Zusammenhang auch anmutet, er ist doch ein Verweis auf jene tatsächlich blühenden Fantasielandschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen das Fürstengeschlecht derer von Anhalt-Dessau sich anschickte, ein Lehrbeispiel für eine perfekte Nachbildung der Natur zu geben, im legendären Gartenreich von Wörlitz mit seinen antiken Ruinenlandschaften, Nymphäen und bis hin zu künstlichen Vulkanen, die man für eine handverlesene Zuschauerschaft mit Hilfe von Feuerwerkern effektvoll über mondbeschienenen Wasserflächen explodieren ließ. Die Künstler der sogenannten Chalkografischen Gesellschaft hielten diese künstlichen Naturwunder Anfang des 19. Jahrhunderts in Serien graphischer Blätter fest, um die Faszination auch unter das gewöhnliche Volk zu bringen. Die ad usum delfini gemeinten Stiche finden sich nun in dieser Ausstellung mit den nicht weniger spektakulären Fotografien von Inge Rambow konfrontiert, die ihrerseits Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts mit einer großen Plattenkamera durch die "Wüstungen" ostdeutscher Braunkohletagebaue gezogen ist – und so zieht sich der Abbruch der Ideale von einst und ihr effektvolles Scheitern als Thema durch die Bilder dieser Ausstellung bis in die erlebbare Gegenwart.

    Es ist ein Verdienst von Kuratorin Cornelia Wieg, dass sie diesem ganzen Thema ohne falsche Sentimentalität, mit genügend ironischer Distanz begegnet ist und mit ihrer Künstlerauswahl nicht einfach das zu oft gehörte Klagelied vom Verlust der großen Erzählungen anstimmt, das in manchen Beiträgen dieser Ausstellung durchaus noch herauszuhören ist. Aber auch wenn nicht jede der gezeigten Arbeiten von insgesamt dreißig Künstlerin hier überzeugt - dieser Schau gelingt an diesem Ort doch eine spontane Vernetzung von Geschichte und Landschaft, in der Bild und Realität ineinander übergehen. Welche Ausstellung kann das schon von sich behaupten?

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