Die Soziologin Arlie Hochschild bewegt zu Anfang ihrer Untersuchung die Frage nach einer gerechten Aufteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern.
Dieses Projekt begann mit einer grundsätzlichen Aufgabenstellung: Wie wird man glücklich in einer neuen Familienform, in der Frauen arbeiten?
In den vergangenen Jahrzehnten hat in den USA, aber auch in Europa eine Revolution stattgefunden. Immer mehr Frauen machen den Schritt in die Arbeitswelt. Das heißt nicht automatisch, dass sie in ihrer traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter entlastet werden.
In den Vereinigten Staaten sind 46 Prozent der Arbeitskräfte weiblich. 70 Prozent aller Mütter arbeiten. 60 Prozent der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren, sogar unter einem Jahr arbeiten, zwei Drittel von ihnen Vollzeit. Die Frage ist: Wie können wir diese Revolution zusammenbringen mit einem glücklichen Familienleben, wie lässt sich das mit dem sozialen Umfeld vereinbaren. Und: Wie bekommen wir Männer dazu, am sozialen und Familienleben teilzunehmen, ohne dass Frauen dies verlassen?
Um diese Gesellschaft mit neuer Rollenaufteilung zu erforschen, sucht sich Hochschild eine idealtypische Umgebung aus: Die Konzernzentrale eines Technologieherstellers in einer Kleinstadt im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Das Unternehmen gilt als eines der familienfreundlichsten im Land – gleichzeitig ist es rentabel und effektiv. Im Vergleich zu anderen Firmen erscheint es als Familienparadies: Es hat einen großen Betriebskindergarten mit gut ausgebildeten Erzieherinnen. Die Mitarbeiter erhalten ein reiches Angebot an Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit, Sabbat-Jahre sind vorgesehen, Jobs können geteilt werden, all dies ohne Karriereknick, es gibt flexible Arbeitszeiten. Die Geschichte hat nur einen Haken: So gut wie niemand nimmt diese Angebote wahr. Der Grund, warum viele Menschen Arbeit und Familie nicht ausbalancieren können, alarmiert: Viele empfinden den Arbeitsplatz als den angenehmeren Ort. Ein Refugium, an dem Ruhe herrscht, die Strukturen geordnet sind, ein Ort, wo Menschen Wertschätzung für das erfahren, was sie tun.
Wenn ich Leute fragte: Wo fühlen Sie sich gut mit dem was sie tun? Machen Sie ihre Sache eher zu Hause oder eher am Arbeitsplatz gut? Die Leute sagten: Nun, wo ich etwas kann, das ist am Arbeitsplatz. Dort bin ich zum Beispiel ein guter Ingenieur. Aber zu Hause bin ich kein Psychiater: Ich habe eine zusammengewürfelte Familie, zwei Stiefkinder, die nicht mit mir reden, unser Baby ist lerngestört, mein Ehemann überarbeitet – Ich liebe diese Leute, aber wenn Sie fragen, ob ich meine Sache gut mache? Ich weiß es nicht.
Zu Hause tickt die Uhr, drängen die Pflichten auf eine Weise, wie dies am Arbeitsplatz nicht geschieht. Viele der 130 Gesprächspartner Hochschilds empfinden Familie und Kinder als Zumutung. Das Privatleben füllt wohl oder übel die Lücken zwischen den Arbeitsphasen. Es wird zunehmend rationalisiert und effektiver gemacht.
Wenn ich sie fragte: Wann fühlen Sie sich am entspanntesten? Zu Hause oder am Arbeitsplatz? Da mochten die Leute diese Frage nicht besonders. Und Sie sagten, na ja, ich kann am Arbeitsplatz meine Zeitung lesen. Zu Hause nicht. Wo fühlen sind Sie am ehesten Sie selbst? Diese Frage war schmerzhaft, und die Leute zögerten. Ich bekam unterschiedliche Antworten, die etwa so lauteten: Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Einzigartigkeit am Arbeitsplatz etwas besser wahrgenommen und gefördert wird.
Arlie Hochschild findet Menschen in einem profunden Wertekonflikt vor. Sie hätten die Schwerpunkte ihres Lebens gern anders gesetzt, können dies aber nicht.
Alle wussten, dass auf ihrem Grabstein nicht stehen würde: Sie hat sich für ihre Firma eingesetzt oder: Er war sich für keine Doppelschicht zu schade. Am Ende des Lebens zählen soziale Qualitäten, wird die Rolle in der Familie wichtig. Aber im Alltag stand der Job stets an erster Stelle.
Viele der befragten Eltern mit Kindern beschreiben ihren Alltag als wenig attraktiv: Aus dem chaotischen Familienfrühstück rettet nur die Flucht in die Frühschicht, die gerne verlängert wird, um die Rückkehr ins ungeliebte Zuhause weiter hinauszuschieben. Gleichzeitig gilt es, der Umwelt vorzugaukeln, man führe ein erfülltes Familienleben. In Wahrheit aber werden Ehemänner und Kleinkinder als Bedrohung erlebt, Kollegen dagegen erhalten den Rang intimer Freunde. Immer mehr Menschen, so die Analyse, bewegen sich zwischen zwei Welten, die objektiv nicht miteinander vereinbar sind. Eine schizophrene Situation.
Die meisten erwerbstätigen Eltern hatten Fantasien von einem geruhsameren und befriedigenderen Familienleben, an die sie sich klammerten. Ihre Wünsche schienen so bescheiden – Zeit zu haben, mit den Kindern Ball zu spielen oder ihnen vorzulesen oder auch einfach nur bei den kleinen Dramen ihrer Entwicklung dabei zu sein. Und doch schienen diese bescheidenen Wünsche oft seltsam unerfüllbar.
Hochschild findet zwei soziale Umfelder vor, die miteinander in Konkurrenz stehen: Die Familie einerseits und der Arbeitsplatz auf der anderen Seite kämpfen um die emotionale Energie der Eltern. Verlierer in diesem Krieg, so ihre Befürchtung, werden die Kinder sein. Das Buch hat vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten für Aufsehen gesorgt. Die deutsche Übersetzung will die Autorin als Warnung verstanden wissen. Ist das hiesige Arbeitsrecht im Vergleich zu dem der USA auch recht progressiv, so gibt es doch eine starke Tendenz zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten – vermeintlich im Interesse all jener, die Job und Kinder unter einen Hut bringen müssen. Hochschilds Analyse läuft darauf hinaus, dass den Arbeitnehmern in Wirklichkeit Zeit gestohlen wird – und mehr als das.
Die Unternehmen sind sehr gewitzt, da muss man wirklich den Hut ziehen. Sie schauen in die Familien und ins soziale Leben und transferieren, was sie dort sehen, an den Arbeitsplatz. Heute sind die Unternehmen wie Städte. Sie haben Einkaufszentren, Reinigungen, Autoreparaturwerkstätten. Wer sich körperlich ertüchtigen will, findet hier Fitnessstudios. Im Silicon-Valley, in Kalifornien, bringen die Leute ihren Hund mit an den Arbeitsplatz, weil sie keine Zeit haben, ihn zu füttern. Und ihren Goldfisch.
Arlie Hochschild hat sich viel Zeit für die Menschen genommen, die sie erforscht hat. Sie schreibt in einem ruhigen Tonfall, beschreibt die befragten Mitarbeiter und ihr Umfeld präzise, erlaubt sich Ausflüge in die Reportage. Ihr leichter, fast literarischer Stil kann nicht darüber hinwegtrösten, dass ihre Botschaft pessimistisch ist: Dass viele Eltern viel zu viel arbeiten, hat vor allem ihren Grund darin, dass ihr Job immer noch angenehmer ist als das Familienleben.
Dieses Projekt begann mit einer grundsätzlichen Aufgabenstellung: Wie wird man glücklich in einer neuen Familienform, in der Frauen arbeiten?
In den vergangenen Jahrzehnten hat in den USA, aber auch in Europa eine Revolution stattgefunden. Immer mehr Frauen machen den Schritt in die Arbeitswelt. Das heißt nicht automatisch, dass sie in ihrer traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter entlastet werden.
In den Vereinigten Staaten sind 46 Prozent der Arbeitskräfte weiblich. 70 Prozent aller Mütter arbeiten. 60 Prozent der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren, sogar unter einem Jahr arbeiten, zwei Drittel von ihnen Vollzeit. Die Frage ist: Wie können wir diese Revolution zusammenbringen mit einem glücklichen Familienleben, wie lässt sich das mit dem sozialen Umfeld vereinbaren. Und: Wie bekommen wir Männer dazu, am sozialen und Familienleben teilzunehmen, ohne dass Frauen dies verlassen?
Um diese Gesellschaft mit neuer Rollenaufteilung zu erforschen, sucht sich Hochschild eine idealtypische Umgebung aus: Die Konzernzentrale eines Technologieherstellers in einer Kleinstadt im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Das Unternehmen gilt als eines der familienfreundlichsten im Land – gleichzeitig ist es rentabel und effektiv. Im Vergleich zu anderen Firmen erscheint es als Familienparadies: Es hat einen großen Betriebskindergarten mit gut ausgebildeten Erzieherinnen. Die Mitarbeiter erhalten ein reiches Angebot an Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit, Sabbat-Jahre sind vorgesehen, Jobs können geteilt werden, all dies ohne Karriereknick, es gibt flexible Arbeitszeiten. Die Geschichte hat nur einen Haken: So gut wie niemand nimmt diese Angebote wahr. Der Grund, warum viele Menschen Arbeit und Familie nicht ausbalancieren können, alarmiert: Viele empfinden den Arbeitsplatz als den angenehmeren Ort. Ein Refugium, an dem Ruhe herrscht, die Strukturen geordnet sind, ein Ort, wo Menschen Wertschätzung für das erfahren, was sie tun.
Wenn ich Leute fragte: Wo fühlen Sie sich gut mit dem was sie tun? Machen Sie ihre Sache eher zu Hause oder eher am Arbeitsplatz gut? Die Leute sagten: Nun, wo ich etwas kann, das ist am Arbeitsplatz. Dort bin ich zum Beispiel ein guter Ingenieur. Aber zu Hause bin ich kein Psychiater: Ich habe eine zusammengewürfelte Familie, zwei Stiefkinder, die nicht mit mir reden, unser Baby ist lerngestört, mein Ehemann überarbeitet – Ich liebe diese Leute, aber wenn Sie fragen, ob ich meine Sache gut mache? Ich weiß es nicht.
Zu Hause tickt die Uhr, drängen die Pflichten auf eine Weise, wie dies am Arbeitsplatz nicht geschieht. Viele der 130 Gesprächspartner Hochschilds empfinden Familie und Kinder als Zumutung. Das Privatleben füllt wohl oder übel die Lücken zwischen den Arbeitsphasen. Es wird zunehmend rationalisiert und effektiver gemacht.
Wenn ich sie fragte: Wann fühlen Sie sich am entspanntesten? Zu Hause oder am Arbeitsplatz? Da mochten die Leute diese Frage nicht besonders. Und Sie sagten, na ja, ich kann am Arbeitsplatz meine Zeitung lesen. Zu Hause nicht. Wo fühlen sind Sie am ehesten Sie selbst? Diese Frage war schmerzhaft, und die Leute zögerten. Ich bekam unterschiedliche Antworten, die etwa so lauteten: Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Einzigartigkeit am Arbeitsplatz etwas besser wahrgenommen und gefördert wird.
Arlie Hochschild findet Menschen in einem profunden Wertekonflikt vor. Sie hätten die Schwerpunkte ihres Lebens gern anders gesetzt, können dies aber nicht.
Alle wussten, dass auf ihrem Grabstein nicht stehen würde: Sie hat sich für ihre Firma eingesetzt oder: Er war sich für keine Doppelschicht zu schade. Am Ende des Lebens zählen soziale Qualitäten, wird die Rolle in der Familie wichtig. Aber im Alltag stand der Job stets an erster Stelle.
Viele der befragten Eltern mit Kindern beschreiben ihren Alltag als wenig attraktiv: Aus dem chaotischen Familienfrühstück rettet nur die Flucht in die Frühschicht, die gerne verlängert wird, um die Rückkehr ins ungeliebte Zuhause weiter hinauszuschieben. Gleichzeitig gilt es, der Umwelt vorzugaukeln, man führe ein erfülltes Familienleben. In Wahrheit aber werden Ehemänner und Kleinkinder als Bedrohung erlebt, Kollegen dagegen erhalten den Rang intimer Freunde. Immer mehr Menschen, so die Analyse, bewegen sich zwischen zwei Welten, die objektiv nicht miteinander vereinbar sind. Eine schizophrene Situation.
Die meisten erwerbstätigen Eltern hatten Fantasien von einem geruhsameren und befriedigenderen Familienleben, an die sie sich klammerten. Ihre Wünsche schienen so bescheiden – Zeit zu haben, mit den Kindern Ball zu spielen oder ihnen vorzulesen oder auch einfach nur bei den kleinen Dramen ihrer Entwicklung dabei zu sein. Und doch schienen diese bescheidenen Wünsche oft seltsam unerfüllbar.
Hochschild findet zwei soziale Umfelder vor, die miteinander in Konkurrenz stehen: Die Familie einerseits und der Arbeitsplatz auf der anderen Seite kämpfen um die emotionale Energie der Eltern. Verlierer in diesem Krieg, so ihre Befürchtung, werden die Kinder sein. Das Buch hat vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten für Aufsehen gesorgt. Die deutsche Übersetzung will die Autorin als Warnung verstanden wissen. Ist das hiesige Arbeitsrecht im Vergleich zu dem der USA auch recht progressiv, so gibt es doch eine starke Tendenz zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten – vermeintlich im Interesse all jener, die Job und Kinder unter einen Hut bringen müssen. Hochschilds Analyse läuft darauf hinaus, dass den Arbeitnehmern in Wirklichkeit Zeit gestohlen wird – und mehr als das.
Die Unternehmen sind sehr gewitzt, da muss man wirklich den Hut ziehen. Sie schauen in die Familien und ins soziale Leben und transferieren, was sie dort sehen, an den Arbeitsplatz. Heute sind die Unternehmen wie Städte. Sie haben Einkaufszentren, Reinigungen, Autoreparaturwerkstätten. Wer sich körperlich ertüchtigen will, findet hier Fitnessstudios. Im Silicon-Valley, in Kalifornien, bringen die Leute ihren Hund mit an den Arbeitsplatz, weil sie keine Zeit haben, ihn zu füttern. Und ihren Goldfisch.
Arlie Hochschild hat sich viel Zeit für die Menschen genommen, die sie erforscht hat. Sie schreibt in einem ruhigen Tonfall, beschreibt die befragten Mitarbeiter und ihr Umfeld präzise, erlaubt sich Ausflüge in die Reportage. Ihr leichter, fast literarischer Stil kann nicht darüber hinwegtrösten, dass ihre Botschaft pessimistisch ist: Dass viele Eltern viel zu viel arbeiten, hat vor allem ihren Grund darin, dass ihr Job immer noch angenehmer ist als das Familienleben.
Arlie Hochschild:
Keine Zeit. Leske und Budrich Verlag, Opladen 2002, ISBN 9783810036209, Broschiert, 305 Seiten, 18,00 EUR
Keine Zeit. Leske und Budrich Verlag, Opladen 2002, ISBN 9783810036209, Broschiert, 305 Seiten, 18,00 EUR