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Arm trotz Arbeit

Es sind magere Zeiten für die amerikanische Mittelschicht angebrochen. Viele können sich die steigenden Kosten für Wohnung, Gesundheitsversorgung und Studiengebühren ihrer Kinder kaum mehr leisten.

Von Christiane Feller |
    Wie ein übergroßer Klotz steht das neue Haus des Nachbarn da. John und Erika Feulner nennen es das Taj Mahal, ein pompöser Palast, der sich hier im Washingtoner Vorort Bethesda so gar nicht in die Harmonie bescheidener, roter Ziegelsteinhäuser einfügen will.

    "Gewisse Schichten des Volkes haben sehr viel mehr Geld als andere. Die Kluft zwischen arm und reich wird größer."

    Vor 43 Jahren ist John Feulner, gemeinsam mit seiner ebenfalls deutschen Ehefrau Erika, aus Franken in die US-Hauptstadt umgesiedelt. Vier Kinder hat das Ehepaar groß gezogen. Bis vor wenigen Jahren reichte die Pension von John, der als wissenschaftlicher Bibliothekar 42 Jahre lang in der Library of Congress arbeitete, für einen sorglosen Lebensabend. Doch jetzt macht sich der 74-Jährige Gedanken über seine Zukunft. Das teure Nachbarhaus treibt die jährliche Grundsteuer im ganzen Viertel in die Höhe, die Steuern und die Versicherungen sind gestiegen, die Prämien für die Krankenversicherung kletterten seit Beginn des Jahrzehnts für alle Amerikaner um durchschnittlich
    80 Prozent in die Höhe. John Feulner hat seit seiner Pensionierung jedes Jahr weniger im Portemonnaie.

    "Als ich in den Ruhestand ging, habe ich ungefähr im Jahr 118.000 Dollar verdient. Jetzt ist mein Einkommen auf 70.000 gesunken. Die Ausgaben haben sich allerdings um 10 oder 15 Prozent erhöht, so dass über die Jahre eine ganz schöne Kluft entstanden ist."

    Amerikas Mittelklasse wird geschröpft, sagt Lou Dobbs, Journalist des amerikanischen Fernsehsenders CNN, in seinem Buch "War on the middle class" ("Krieg der Mittelschicht"). Unter der Regierung Bush sind die Steuern für die Mittelschicht gestiegen; allein die Besserverdienenden geben weniger von ihrem Einkommen an den Staat ab. Die Gesundheitsversorgung, früher oftmals vom Arbeitgeber getragen, müssen die Angestellten heute immer häufiger ganz aus der eigenen Tasche bezahlen. 47 Millionen Amerikaner genießen gar keinen Versicherungsschutz. John Feulner fühlt sich nach all den Jahren als Regierungsangestellter betrogen. Reicher würden nur die Reichen, auch dank der Wirtschaftspolitik von Präsident Bush. Treu und redlich habe er gearbeitet. Jetzt müsse er jeden Dollar zweimal umdrehen.

    "Eine Sache ist, dass wir uns weniger Urlaub gönnen, zweitens, dass wir sehr vorsichtig sind, was wir einkaufen, drittens, dass wir die Heizung runterstellen. Natürlich bin ich enttäuscht. Wir gehen auch weniger ins Theater. Das kulturelle Leben können wir uns nicht mehr leisten."

    Der sprichwörtliche Optimismus, der stete Zufluss hart arbeitender Immigranten, harter Wettbewerb und moderne Technologie haben das Land stark gemacht. Doch inzwischen fühlt sich Amerikas Mittelschicht zunehmend als Opfer der Globalisierung. Importe aus Asien, vor allem aus China, überschwemmen den Markt. Viele Jobs wandern ab ins billigere Ausland. Das untergräbt den "American Dream". Auch Dorothee Bunn hat mal geträumt, dass man es durch harte Arbeit und Willenskraft zu etwas bringen kann und dass es den Kindern stets etwas besser geht als den Eltern.

    "Als ich auf dem College meinen Abschluss machte, ging es mit dem 'American Dream' gerade bergab. Das Leben wurde härter. Es fing damit an, dass ich eben nur zwei Kinder bekam, weil wir uns mehr nicht leisten konnten. Der 'American Dream', er ist ausgeträumt. Und doch hält es mich nicht davon ab, ihm hinterherzujagen."

    Die 49-jährige Amerikanerin erlitt ein typisches Mittelklasseschicksal. Eigentlich wollte die Mutter zweier Kinder zu Hause bleiben, um sich um die Erziehung zu kümmern. Doch ein Brotverdiener allein reichte nicht aus, um die Familie zu ernähren.

    "Zuerst blieb ich zu Hause. Dann fing ich an, halbtags zu arbeiten, und später dann arbeitete ich 40 Stunden die Woche. Nur so konnten wir uns auch mal etwas außerhalb der Reihe leisten."

    Heute ist Dorothee Bunn Personalchefin in einem pharmazeutischen Unternehmen. Dort verdient sie bei einer 50-Stunden-Woche 38.000 US-Dollar brutto im Jahr, etwa 33.000 Euro. Allein 35.000 US-Dollar kosten die Studiengebühren ihres Sohnes, der an der Universität von Vermont Geschichte und Englisch studiert und seinen Abschluss als Betriebswirt anstrebt.

    "Die Studiengebühren steigen und steigen und steigen. Dabei ist es wahrlich keine luxuriöse Einrichtung. Ich gehöre noch zu den Glücklichen, denn meine Kinder finanzieren ihr Studium durch Wertpapiere von den Großeltern. Die staatlichen Schulen sind überfüllt, und es ist nicht leicht, einen Studienplatz zu kriegen."

    Wäre da nicht die vermögende Familie ihres Exmannes, die Wertpapiere für den Familiennachwuchs erwarb, Dorothee Bunn könnte das Studium ihres Sohnes an einer so renommierten Universität wie Vermont nicht finanzieren. Welche Folgen die horrenden Studiengebühren haben, erzählt Dorothee Bunn, kann sie bei ihren Kollegen beobachten.

    "Ich sehe es an meinem Arbeitsplatz. Manche Kinder können nicht studieren, weil die Studiengebühren einfach zu hoch sind."

    Früher waren es nur die "Working Poor”, die den Druck spürten, die Armen ohne Qualifikation, die sich in zwei oder drei Jobs verdingten, um über die Runden zu kommen. Inzwischen hat die soziale Krise auch die Mittelschicht erreicht, trotz steten Wachstums. Schuld an der Misere, sagt John Feulner, sind auch die Demokraten, doch unter der jetzigen Regierung sei es erst richtig schlimm geworden.

    "Sehr viele unserer Probleme hängen tatsächlich mit Herrn Bush zusammen."