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Arme Kunst

Der in Rom lebende, aus Athen stammende Künstler Jannis Kounellis zählt zu den Begründern und wichtigsten Vertretern der so genannten Arte povera, deren Skulpturen sich durch die Verwendung einfacher Materialien auszeichnet. Die Neue Nationalgalerie in Berlin präsentiert eine Retrospektive des Künstlers, in dessen Mittelpunkt Kounellis ein Labyrinth aus geschweißten Stahlelementen gesetzt hat.

Von Carsten Probst |
    Spricht man von der "Arte povera", wissen die meisten Kenner gleich, was gemeint ist. Worum es sich dabei genau handelt, kann allerdings kaum jemand sagen. Am wenigsten die beteiligten Künstler selbst: Jannis Kounellis zum Beispiel hat den Begriff der "Arte povera" zwar nicht erfunden, aber man zählt ihn - und so sieht er sich auch selbst - zusammen mit Mario Merz und Michelangelo Pistoletto zu ihren Begründern. Seine Einlassungen zur Sache bleiben allerdings eher wolkig, mit mythologischen und geschichtsphilosophischen Exkursen gespickt, wie es oft und gern vorkommt bei Künstlern aus jenen Ländern, die sich ihrer Mythen nicht zu schämen brauchen. Kounellis reklamiert gleich zwei von ihnen als seine Heimat: Er ist in Athen geboren, lebt seit Jahrzehnten aber in Rom, das er als seinen künstlerischen Ursprungsort sieht.

    Seit etwa zehn Jahren hat es den Anschein, als beginne der heute 71-jährige Bilanz zu ziehen über sein Lebenswerk. Natürlich mythologisch, aber auch ironisch, augenzwinkernd, wie man so sagt, was aber gar nicht so leicht ist im gnadenlos-strengen Stahl- und Glas-Pavillon der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin. Ähnlich wie Jörg Immendorff vor einem Jahr in gleicher Halle darf auch Kounellis sich nun mit einer Art selbstreferenziellem Museum im Museum verewigen. Das hat er zuvor auch schon in Paris und Rom getan und diesem "Museum seiner selbst" dabei die Form eines stählernen Labyrinths gegeben, das verwirrend genug ist, um davor Schilder aufzustellen, das Eltern davor warnt, ihre Kinder allein hineinzulassen. Es könnte kaum eine passendere Metapher für die Beschreibung der "Arte povera" geben als so ein Labyrinth.

    Die grau glänzenden Stahlwände reichen zwar nicht 15 Meter hoch bis zur wuchtigen Decke, aber mit ihren 2,35 Metern sind sie auch so schon ganz schön finster. Kounellis begnügt sich natürlich nicht mit einfachen Irrgarten-Assoziationen, wenn er sich diese massive Riesenkonstruktion durch den großen Berliner Kunsttempel schneiden lässt. Nein, er bezieht es ausdrücklich auf das mythische Labyrinth des Königs Minos von Kreta, das dieser der Sage nach errichten ließ, um seinen Sohn, den Stiermenschen Minotaurus, gefangen zu halten. Das hat natürlich einen Hintersinn. Denn die Geschichte des Minotaurus im Labyrinth ist die der kontrollierten Sinne und Triebe. Aus Kounellis' Sicht passt das bestens als Kommentar zur rationalistischen Tradition des rechten Winkels, der der Berliner Mies-Bau huldigt. Schon in Paris und Rom war das die Botschaft. Der Pollock-Verehrer Jannis Kounellis ist ein leidenschaftlicher Verächter des Rationalismus und auch des Terrors, der in seinem Namen ausgeübt wird, von der römischen Militärherrschaft bis zur französischen Revolution. In Berlin dürfte einem die preußische Tradition des Rationalismus mit all ihren militaristischen Nachahmern bestens in Erinnerung sein. Die vier großen Messer gleich am Eingang weisen darauf hin, was gemeint ist.

    Als Verächter der Rationellen ist Jannis Kounellis aber keineswegs der wilde Aktionskünstler seiner frühen Jahre geblieben. Mit poetischer Sparsamkeit platziert er Reminiszenzen an seine Werke in dem Labyrinth. Die Stahlwände werden von Kohlebrocken bekrönt, eine alte Kombination, die für die Urelemente der industriellen Revolution stehen. Auch Bleiwalzen finden sich hier, sozusagen weiter in die Tradition der Werkstoffe hineinreichend. Eine einsam auf einer Konsole flackernde Kerze, über die die Namen Robespierres und Marats auf eine Kreidetafel geschrieben sind. Wenige Schritte weiter das Gegenstück, als Symbol des Lebens, ein schlichtes weißes Ei auf einer Konsole. So versammeln sich immer mehr Gegenstände zu einer weit ausgestreckten Lebens- und Todesinstallation, von der Modelleisenbahn bis zu Säcken mit Menschenhaar, verstummten Glocken und alten Nähmaschinen. Auch Melancholie gehört zur "Arte povera", wie die schlichten Zutaten der Installationen.