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Armee verkörpert nur noch "Teile der Peripherie"

Angesichts der Diskussionen in Israel über die Brutalität der eigenen Armee im Gazakrieg hat der Fernsehjournalist David Witzthum von einem veränderten Stellenwert des Militärs in seinem Land gesprochen. Vor 20 oder 30 Jahren hätte die Armee noch die gesamtisraelische Gesellschaft repräsentiert. Zwar gebe es nach wie vor eine Wehrpflicht, doch mehr und mehr gesellschaftliche Gruppen blieben dem Militär mittlerweile fern, so Witzthum.

David Witzthum im Gespräch mit Karin Fischer | 23.03.2009
    Karin Fischer: Israel diskutiert über die Brutalität der eigenen Armee nach dem Krieg in Gaza. Nach haarsträubenden Soldatenberichten in der Zeitung "Haaretz" werden die Vorfälle jetzt von der Armee untersucht. Zum Beispiel die Anweisung von Vorgesetzten, zu schießen und die Kameraden zu schützen, ohne sich um Konsequenzen zu sorgen. Das alles ist aufschlussreich erstens, weil der Krieg in Gaza einer strikten israelischen Pressezensur unterlag, und zweitens, weil mit solchen Vorfällen das Selbstbild einer Armee in Frage steht, die sich im Gegensatz zu den terroristischen Attentätern auf der anderen Seite immer als die "gute Kampftruppe", als moralisch einwandfrei gefühlt hat. Frage an den Anchorman des israelischen Fernsehens, David Witzthum, wenn Verteidigungsminister Ehud Barak sagt, Israels Armee sei eine der "moralischsten weltweit". Ist das jetzt noch glaubhaft?

    David Witzthum: Ja, man fragt sich natürlich, wie es weitergeht, weil wir haben es jetzt nicht mehr zu tun mit einem Kampf zwischen Israel und Nachbarstaaten, sondern mit einem Kampf zwischen einer Armee und Guerillaorganisationen, wie Hamas zum Beispiel. Und in diesem Kampf sind wir mehr und mehr die Verlierer. So waren wir die Verlierer gegen die Hisbollah vor zweieinhalb Jahren, und so ist das jetzt gegen Hamas. Weil Hamas versteckt sich in der Zivilbevölkerung in Gaza, und wenn wir reinkommen und reindrängen in Gaza, müssen wir mit ihnen in einer zivilen Umgebung kämpfen, in Häusern, wo Zivilisten sich verstecken und bleiben. Und da natürlich ist der Krieg immer sehr, sehr schmutzig.

    Fischer: Sie sagen wir, Herr Witzthum, das weist schon darauf hin, dass die Identifikation der Israelis mit ihrer eigenen Armee sehr, sehr groß ist. Die Armee hat als Melting Pot auch für Frauen, für junge, eingewanderte Juden als Kaderschmiede der Nation einen sehr hohen Stellenwert. Was steht eigentlich mit Berichten, dass diese Armee, wie Sie sagen, schmutzig werden könnte, gesellschaftlich auf dem Spiel?

    Witzthum: Die Armee war vor 20, 30 Jahren eine echte Repräsentation, ein echtes Bild für die israelische Gesellschaft. Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 haben wir uns gefragt, was machen wir im Krieg, wie führen wir überhaupt Krieg als Juden, als Israelis und was müssen wir tun? Heute natürlich bleibt die Armee eine Armee, in die alle gehen müssen, aber mehr und mehr Sektoren in der Gesellschaft bleiben fern. Zum Beispiel, die Ultra-orthodoxen gehen nicht in die Armee, die Araber, die israelischen Araber gehen nicht in die Armee, die jungen Tel Aviver wollen nicht zur Armee gehen. Und so repräsentiert die Armee nicht mehr die ganze israelische, gesamtisraelische Gesellschaft, sondern nur Teile der Peripherie, der Nationalreligiösen und andere, die noch immer bereit sind, freiwillig zur Armee zu gehen und zu kämpfen.

    Fischer: Wie läuft diese Debatte aktuell gerade in Israel?

    Witzthum: Wir warten natürlich, die Zeitungen warten natürlich und alle warten auf die Untersuchung. Die Armee hat es versprochen. Und wir haben keinen Grund, zu denken, dass sie es nicht machen wird. Allerdings, das hat sich schon in der Geschichte gezeigt, ich glaube, man muss eine unabhängige juristische Untersuchungskommission bilden, und erst so würden wir die volle Wahrheit wissen über die Geschehnisse in Gaza.

    Fischer: Lassen Sie uns, David Witzthum, kurz über die Rolle der Religion in der israelischen Armee sprechen. Diese unmoralische Indoktrination soll ja auch vonseiten der Armeerabbiner erfolgt sein. Welchen Stellenwert, welchen Einfluss haben sie?

    Witzthum: Ich fürchte, die haben zunehmenden Einfluss auf verschiedene Sektoren in der Armee. Ein Teil der jungen israelischen Soldaten, die aus Siedlungen kommen, hören zu, nicht so auf die Kommandeure und die Vorgesetzen in der Armee, sondern auf die Rabbiner. Und die Rabbiner sind sehr antiarabisch, sehr rechtsradikal orientiert. Und das sorgt natürlich für einen zunehmenden Konflikt innerhalb der Armee, der in der Gesellschaft noch nicht gelöst ist.