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Armenier in Angst

Vor einem Schwurgericht in Istanbul hat der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink begonnen. Das Verfahren gegen 18 Angeklagte, darunter der mutmaßliche Todesschütze Ogün S. und zwei mutmaßliche Hintermänner der Tat, wird von den Armeniern im Land mit Spannung verfolgt. Susanne Güsten berichtet.

02.07.2007
    Liederabend in einem armenischen Vereinsraum in Istanbul, die Mitglieder des armenischen "Sayat Nova"-Chores treffen sich zur Chorprobe. Längst nicht mehr so gesellig wie früher sind diese Abende, sagt die Buchhalterin Hilda Teller:

    "Seit dem Mord an Hrant Dink wagen es viele nicht mehr zu kommen, aus Furcht, dass wir angegriffen werden. Wir sind alle sehr nervös. Wenn ich zum Gottesdienst gehe, stehen da zwei Polizeiwachen in der Kirche. Das ist natürlich extrem beunruhigend. Bei uns allen liegen die Nerven blank."

    Sorgfältig feilt der Chor an seinem Programm für einen Liederabend zum Gedenken an Hrant Dink. Der Mord an dem armenischen Journalisten beherrscht noch immer die Gedanken aller Armenier von Istanbul, sagt der Werbefachmann Hayko Bagdat, für den mit der Tat die Angst zurückgekehrt ist in die armenische Gesellschaft:

    "Die Ereignisse von 1915, die Istanbuler Pogromnacht von 1955 und jetzt die Ermordung von Hrant Dink: Jedes Mal haben die Armenier hier sich tiefer geduckt, haben sie mehr Angst bekommen. Schon um unserer Kinder willen wollen wir uns jetzt wieder verstecken und verleugnen, weil wir gesehen haben: Seht, so geht es jenen, die den Mund aufmachen."

    Die Stimmung unter den 80.000 türkischen Armeniern kennt wohl kaum jemand so gut wie Hayko Bagdat, der mit seiner wöchentlichen Radiosendung "Sözde Kalanlar" den Finger am Puls der Gemeinde hat.

    "Sözde Kalanlar", das heißt soviel wie leere Versprechungen, ist die erste und bisher einzige armenische Radiosendung der türkischen Republik. Erstmals wird dort im türkischen Radio über die Armenier, über ihre Existenz und ihre Kultur gesprochen - in einem alternativen Nischensender zwar nur, aber für türkische Verhältnisse dennoch revolutionär. Als die Sendung vor drei Jahren zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, weinten viele armenische Hörer Freudentränen. Das sei nicht nur sein Verdienst, sagt Hayko Bagdat:

    "Meine Sendung war ein Teil des Weges, den Hrant Dink uns eröffnet hat mit seiner Zeitung 'Agos'. Wir jungen Armenier sind ihm auf diesem Weg gefolgt, er war unser Vorbild. Alle unsere Projekte waren Teil dessen, was dieser Mann in der Demokratisierungsstimmung der letzten Jahre für die Armenier eröffnet hat."

    Hrant Dinks Verdienste um das Verhältnis zwischen der Türkei und ihren Armeniern könnten gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagt auch Raffi Hermon, der stellvertretende Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins und selbst Armenier.

    "Bisher glaubte man hier immer, dass man nur entweder assimilierter Türke sein könne oder Armenier. Hrant Dink hat den Gedanken in die Gesellschaft getragen, dass ein Mensch seine armenische Kultur bewahren und zugleich ein guter türkischer Staatsbürger sein kann, der die Türkei liebt, dass das kein Widerspruch ist."

    Seit dem 19. Januar, dem Tag, an dem Hrant Dink ermordet wurde, ist das wieder anders. Mit dem mutigen Journalisten starb für viele türkische Armenier die Hoffnung, als gleichwertige Staatsbürger des Landes anerkannt zu werden, sagt Bagdat:

    "Manche Familien wollen auswandern, und gedacht hat es wohl jeder von uns schon einmal: In diesem Land kann man nicht leben. Mit dem Mord an Hrant Dink sind unsere Hoffnungen vernichtet worden, dass wir das Land verändern könnten. Das ist das Schlimmste daran: Keine Hoffnung mehr zu haben."

    Vor allem um die Zukunft ihrer Kinder im Land fürchten viele türkische Armenier nun wieder. Aber gerade unter ihnen, unter der jungen Generation wollen viele noch nicht resignieren, so wie die Studentin Tamer Kesusyan:

    "Wir armenischen Jugendlichen werden den Weg von Hrant Dink weitergehen. Unsere Eltern sagen uns: Seht, was Hrant passiert ist, das wird auch uns passieren, wenn wir nicht den Mund halten. Aber wir Jugendlichen denken ganz anders, wir denken: jetzt erst recht. Wir müssen jetzt anfangen, selbst für uns einzutreten und seinen Weg weiterzugehen, wenn wir in diesem Land glücklich werden wollen."