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Armes Albanien

Albanien hat ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Dennoch scheint ein baldiger EU-Beitritt unrealistisch. Die Demokratie in Albanien steht auf wackligen Beinen. Ruth Reichstein berichtet.

26.11.2007
    Vor dem Regierungsgebäude in Tirana hat sich eine Menschenmenge versammelt. Wütend brüllen Minenarbeiter gegen die konservative Regierung an und recken ihre selbstgemalten Transparente in die Höhe. Sie wollen mehr Lohn, mehr Rechte. Im Büro von Präsident Bamir Topi, das nur wenige Meter entfernt liegt, ist der Protest kaum zu hören.

    "Wir haben ständig Demonstrationen - von enteigneten Landbesitzern, von Opfern des kommunistischen Regimes, von ehemaligen Militärs, die mehr Rente wollen, von den Minenarbeitern, von Universitätsvertretern, die mehr akademische Freiheit fordern. All das zeigt die Probleme unseres Landes","

    sagt der Präsident. Albanien ist 17 Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes noch immer das zweitärmste Land des Kontinents. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 15 Prozent. In der Hauptstadt Tirana wird mehrmals am Tag der Strom abgeschaltet. 24 Stunden fließendes Wasser gibt es nur in zwei Städten des Landes.

    Auch die Demokratie in Albanien steht auf wackligen Beinen. Nach fast einem Jahrhundert mit wechselnden Diktaturen nähern sich die Institutionen nur sehr langsam europäischen Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an.

    Zwei Beispiele: Kürzlich schlug ein Minister im Parlament auf einen Abgeordneten ein, weil sie nicht der selben Meinung waren. Privatpersonen, die gegen den Staat öffentlich protestieren, müssen damit rechnen, dass ihnen einige Tage später die Steuerbehörde auf den Hals gehetzt wird.

    Solche Ereignisse ruinieren Albaniens Ruf bis weit über die Grenzen hinaus, meint der Vorsitzende der sozialistischen Partei und Bürgermeister von Tirana, Edi Rama:

    ""Wir leiden unter den Stereotypen, die über unser Land im Umlauf sind. Es heißt, Albanien sei ein unsicheres Land, das von der Mafia regiert wird. Albanien - ein Land voller Kalaschnikows."

    Korruption und organisierte Kriminalität. Das sind die größten Sorgen der Albaner, auch wenn es um den Beitritt zur Europäischen Union geht. Regierungsmitarbeiterin Suzana Guxliolli:

    "Wir versuchen, die Korruption zu bekämpfen. Wir haben schon viele Beamte festgenommen, von denen wir gehört haben, dass sie Gesetze gebrochen hatten. Sie sitzen jetzt im Gefängnis. Es ist schwierig zu sagen, wie lange das noch dauern wird. Jetzt sind wir dabei, das Justizsystem zu reformieren. Aber da stecken wir fest. Und genau deshalb gilt Albanien noch immer als ein korruptes Land. Aber wir lassen uns nicht entmutigen."

    Der EU-Beitritt liegt trotz des verhaltenen Optimismus der Regierung noch in weiter Ferne. Tirana hofft auf eine Einladung zur NATO-Mitgliedschaft im Frühjahr kommenden Jahres.

    Für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Brüssel will sich dagegen niemand auf ein konkretes Datum festlegen. Albanien steht auf der EU-Liste weit hinten - Nachbarland Mazedonien etwa hat bereits Kandidatenstatus bei der EU bekommen. Auch der Präsident Bamir Topi ist zurückhaltend:

    "Wir sind Teil Europas, geografisch und geschichtlich gesehen. Wir wollen zurückkehren in die europäische Familie. Aber bevor wir darüber sprechen können, was uns die EU für Vorteile bringen könnte, müssen wir erst einmal unsere Pflichten erfüllen. Wir müssen unsere politischen und wirtschaftlichen Standards verbessern, auch die Lebensumstände unserer Bürger. Aber dann wird die gesamte europäische Familie gemeinsam mit Albanien stärker werden."

    NATO- und EU-Beitritt, das sind die absoluten Prioritäten der Regierung in Tirana. Deshalb will sie sich auch in der Kosovo-Frage nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

    "Albanien wird nicht das erste Land sein, dass Kosovo als unabhängigen Staat anerkennt. Wir werden uns an die EU und die USA halten. Es ist das Recht des Parlaments im Kosovo, seine Entscheidungen zu treffen. Die albanische Regierung wird darauf reagieren, sobald sie die Erlaubnis von ihren Partnern bekommt","

    sagt Präsident Bamir Topi. Aber der Druck im Land ist groß. Erst kürzlich demonstrierten Tausende junger Leute in Tirana für die Unabhängigkeit des Kosovo, der mehrheitlich von Albanern bewohnt wird. Und die Opposition erlaubt sich sogar vorsichtige Kritik an der EU. Tiranas Bürgermeister Edi Rama:

    ""Es wäre völlig verrückt, wenn man diesem Land 2007 verbieten würde, unabhängig zu werden. Die Europäische Union hat Schwierigkeiten, sich endlich auf einen klaren Standpunkt zu einigen. Das ist für mich völlig unverständlich. Und es ist ein Beispiel für die Krise, in der die EU noch immer steckt."