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Armut in Deutschland bleibt weiter auf hohem Niveau

Trotz Aufschwung sind laut Armutsbericht 12 Millionen Menschen in Deutschland armutsgefährdet. Eine stärkere Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und hoher Einkommen fordert deshalb der Paritätische Wohlfahrtsverband. Sonst, so Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider, "wird dieser Sozialstaat vor die Wand fahren".

Von Andreas Baum | 21.12.2011
    Die Deutsche Wirtschaft steht derzeit glänzend da. Auch die Zahl der Arbeitslosen ist merklich gesunken. Doch nicht alle profitieren vom Aufschwung, im Gegenteil. Die Armut in Deutschland bleibt weiter auf hohem Niveau.


    Der Paritätische Wohlfahrtsverband übt scharfe Kritik an der Bundesregierung. Laut Armutsbericht sind in Deutschland 12 Millionen Menschen armutsgefährdet. Es gibt aber Ulrich Schneider zufolge, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, eine Art Verhärtung der Armut: Obwohl die Wirtschaft Rekord-Wachstumszahlen vermeldet, geht die Zahl der Armen nicht zurück. Schuld ist dem Verband zufolge die Politik, die die Sozialleistungen lieber einfriert, als vom Projekt der Steuersenkung für Besserverdienende Abstand zu nehmen.
    "Auffällig ist, dass die Armut sich in den letzten fünf, sechs Jahren kaum bewegt hat. Auf diesem hohen Rekordniveau, über 14 Prozent, hat sie sich faktisch fest gefressen, und zwar, das ist interessant, ganz unabhängig von wirtschaftlichen Entwicklungen. Selbst in Jahren mit sehr gutem wirtschaftlichen Wachstum, 2006, 2007 oder 2010 ist die Armut nicht zurückgegangen, man kann sagen, die Krankheit Armut ist resistent geworden gegen die Hauptmedizin, nämlich wirtschaftliches Wachstum."
    14,5 Prozent der Deutschen betrifft dies – sie sind arm oder von Armut gefährdet – dies gilt nicht in allen Bundesländern in gleicher Weise. Sehr hohe Armutsquoten gibt es im Ruhrgebiet. Wenn dieser Kessel mit fünf Millionen Menschen einmal zu kochen beginnt, dürfte es schwer werden, ihn wieder abzukühlen, so Ulrich Schneiders Warnung, er und sein Verband fordern von der Bundesregierung eine armutspolitische Kehrtwende.
    "Große Vermögen, große Erbschaften und hohe Einkommen müssen deutlich stärker besteuert werden als bisher, sonst werden wir keinen Handlungsspielraum zur Armutsbekämpfung haben, sonst wird dieser Sozialstaat vor die Wand fahren."
    Wobei sich der Verband da wenig Illusionen macht: Bei den zur Wahl stehenden Parteien ist kaum eine erkennbar, die den Mut hat, an den Besitzständen etwas zu ändern. Deshalb Ulrich Schneiders Vorschlag zur Güte: Die Unterstützung derjenigen, die weder Arbeit noch Vermögen haben, muss deutlich verstärkt werden.
    "Zwingend ist die Erhöhung der Regelsätze im Hartz 4. Wenn man dieses so machen sollte, wie es sich gehört, dass man nämlich auf einen Betrag von etwa 420 Euro geht, im Regelsatz, hätten wir Mehrausgaben von rund vier Milliarden Euro jährlich."
    Deswegen setzt die Parität – wie die meisten sich zuständig fühlenden Verbände – auf Bildung. Wer heute arme Kinder fördert, verkleinert das Prekariat von morgen – abgesehen davon fordert Schneider eine Kehrtwende. Nicht die Armut, sondern der Reichtum gehört seiner Vorstellung nach enttabuisiert. Immer noch gelte der Leitsatz: Über Geld spricht man nicht, insbesondere dort, wo man durch bessere Besteuerung höhere Staatseinnahmen generieren könnte.