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Armut in Deutschland
"Wir müssen das Nichtarbeiten enttabuisieren"

Einen veränderten Blick auf Armut und Arbeitslosigkeit fordert die Autorin und Journalistin Anna Mayr. Im Dlf kritisierte sie die Überbetonung von Arbeit als zentralem Lebensinhalt – und ein Sozialsystem, das viele zurücklasse. Konkret fordert sie eine Anhebung des Arbeitslosengelds.

Anna Mayr im Gespräch mit Änne Seidel |
31. Juli 2020: Leipzig (Sachsen), Stadtteil Gruenau: Ein Kind sitzt vor einem Plattenbau in Leipzig-Gruenau. Foto: Thomas Eisenhuth | Verwendung weltweit
Armut bedeutet Machtlosigkeit und mangelnde Teilhabe, für Betroffene und deren Kinder (picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth)
Beim Wort "Elend" denkt man nicht unbedingt zuerst an Deutschland und nicht an die Gegenwart. Die "ZEIT"-Journalistin Anna Mayr verwendet diesen Begriff in ihrem bald erscheinenden Buch dennoch, um eine soziale Realität in Deutschland zu beschreiben. Elend sei ein Zustand, in den man unverschuldet gerate, in dem man alleingelassen sei und aus dem man sich nicht befreien könne. In genau dieser Situation sieht Mayr viele Arme und Arbeitslose in Deutschland – und die Verantwortung liegt ihr zufolge beim System.
"Durch die Agenda 2010 ist Verelendung geschaffen worden." Hartz IV, die damit zusammenhängenden Sanktionen, die Art, wie Kinder abgesichert würden, all das sei darauf angelegt, dass Leute so sehr verelenden, dass man Angst vor ihrem Zustand habe. Es gebe keine ernsthaften Anstrengungen, Betroffene aus dieser Lage rauszuholen, meint Mayr. "Das, was die Bundesagentur für Arbeit an Maßnahmen anbietet, ist ganz oft überhaupt nicht zielführend, sondern eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Maßnahmenanbieter."
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands
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Mayrs zwei Forderungen
Die Journalistin Mayr, Jahrgang 1993, selbst als Kind zweier Langzeitarbeitsloser aufgewachsen, macht zwei Vorschläge zur Verbesserung der Lage Erwerbsloser:
Erstens fordert sie, Arbeit nicht weiter als zentralen Lebensinhalt zu sehen. "Das Wichtigste in unserer Gesellschaft ist ja Arbeit. Und genau dieser Fokus auf die Arbeit macht die Arbeitslosen zu Außenstehenden." In der Projektionsfläche des Arbeitslosen sähen wir aufgrund dieses Stigmas "die schlimmstmögliche Version von uns selbst" und wollten damit nichts zu tun haben. Mayr wünscht sich ein realistischeres Bild von Arbeitslosen und Arbeitslosigkeit. In Zukunft werde es durch Digitalisierung und andere wirtschaftliche Veränderungen ohnehin viel normaler, dass jemand zwei oder drei Jahre arbeitslos sei und nicht wisse, wohin – etwa weil seine Branche pleite sei. "Wir müssen in unserer Gesellschaft daran arbeiten, das Nichtarbeiten zu enttabuisieren."
Die "ZEIT"-Redakteurin und Hanser-Autorin Anna Mayr
Anna Mayr (Hanser / Anna Tiessen)
Mayrs zweite Forderung lautet konkret: mehr Arbeitslosengeld. "Wenn man jemanden von finanziellen Möglichkeiten abschneidet, dann schneidet man ihn in dieser Gesellschaft, die auf Geld beruht, automatisch auch von gesellschaftlichen Möglichkeiten ab. Deswegen glaube ich, dass eine Anhebung des Arbeitslosengelds das Erste und Allerwichtigste ist, was man tun muss", so Mayr. Deutschland sei dafür reich genug. "Ich glaube, dass dieser Staat es sich leisten könnte, mehr Arbeitslosengeld zu verteilen. Und dann kann man über alles Weitere nachdenken."
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