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Armutsforscher: Niedriglohnsektor ist "Haupteinfallstor für Armut"

Die soziale Schere geht auf: Die Reichen blieben von der Krise weitgehend verschont und wurden sogar noch reicher. Christoph Butterwegge, Armutsforscher an der Uni Köln, sieht den Grund in der Steuerpolitik und spricht sich für eine Wiedererhebung der Vermögens- und Erbschaftssteuer aus.

Christoph Butterwegge im Gespräch mit Andreas Kolbe | 18.09.2012
    Andreas Kolbe: Trotz Euro-Krise: die Reichen in Deutschland werden immer reicher. Die obersten zehn Prozent verfügen inzwischen über mehr als 50 Prozent des Nettovermögens, die untere Hälfte der Gesellschaft hingegen hat gerade einmal ein Prozent. So steht es in dem Entwurf für den vierten Armutsbericht der Bundesregierung, aus dem heute die "Süddeutsche Zeitung" zitiert. Und garniert werden diese Erkenntnisse heute durch neue Zahlen der Allianz zur Entwicklung der Geldvermögen.

    Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Professor Christoph Butterwegge von der Universität Köln. Er gilt als einer der führenden Armutsforscher in Deutschland. Guten Tag, Herr Butterwegge.

    Christoph Butterwegge: Ja guten Tag, Herr Kolbe.

    Kolbe: Jetzt haben wir aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung viel gehört. Bei früheren Berichten lag der Schwerpunkt eher auf der Armut. Haben wir jetzt ein Reichtumsproblem in Deutschland?

    Butterwegge: Nein. Natürlich hat diese Entwicklung schon stattgefunden zumindest seit der Jahrtausendwende. Aber in den früheren Armuts- und Reichtumsberichten, da war der Reichtum eher ein Stiefkind. Das wurde kaum berücksichtigt als Thema. Stattdessen stand die Armut im Vordergrund. Ich vermute, dass jetzt insofern eine Schwerpunktverlagerung stattfindet, als der Reichtum natürlich auch dazu beitragen kann, den Blick von der Armut wegzuwenden. Insofern mag dahinter auch eine Strategie der Bundesregierung stecken.

    Kolbe: Die Wohlhabenden sind wohlhabender geworden, auch weil sie in der Krise nicht so viel verloren haben. Worin sehen Sie die Ursachen für diese Entwicklung?

    Butterwegge: Na ja, einige haben natürlich, besonders Reiche, von der Krise sogar profitiert: Spekulanten, die auf das richtige Pferd gesetzt haben, diejenigen, die zum Beispiel mit den Staatsanleihen der Euro-Krisenländer Geld verdienen, die von den Rettungsschirmen eher profitieren, weil natürlich nicht Griechenland, Spanien oder Portugal Geld bekommen, sondern letztlich diejenigen, die solche Staatspapiere der betreffenden Länder halten. Da ist klar, dass sich dann das Vermögen entsprechend vermehrt.

    Auf der anderen Seite sind diejenigen, die von der Krise getroffen werden, natürlich eher die sogenannten "kleinen Leute". Das heißt, die Entwicklung hin zu einer Spaltung in arm und reich, eine soziale Polarisierung der Gesellschaft, die hat sich eher durch die Krise noch verstärkt.

    Kolbe: Das ist auch ein Effekt niedrigerer Einkommen auf der unteren Seite?

    Butterwegge: Ja. Die Niedriglohn-Verdiener, deren Zahl nimmt enorm zu. Ich halte diesen Niedriglohn-Sektor, der ja inzwischen fast ein Viertel aller Beschäftigten umfasst, für das Haupteinfallstor für Armut gegenwärtig bei uns in Deutschland, indem man ganz systematisch solche atypischen Beschäftigungsverhältnisse gefördert hat, Minijobs, Midijobs, die Leiharbeit dereguliert hat.

    Auch befristete Arbeitsverhältnisse haben sich deutlich vermehrt. Wenn dieser Bereich des Arbeitsmarktes zunimmt, dann ist klar, dass mehr und mehr Menschen kaum von ihrer Hände Arbeit leben können, und da müsste die Bundesregierung gegensteuern.

    Stattdessen stellt sie von Zeit zu Zeit einen Armuts- und Reichtumsbericht vor, der auch diese Entwicklung dokumentiert, aber das Handeln ändert sich nicht. Es werden keine Konsequenzen aus diesen Berichten gezogen und das, finde ich, müsste in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden, dass man mit Zahlen alles mögliche beweisen kann, dass man aber letztlich die Politik verändern muss, wenn man dieser Entwicklung entgegenstreben will.

    Kolbe: Also es ist ein klassisches Verteilungsproblem und die Opposition fordert wieder reflexartig höhere Steuern auf Vermögen und höhere Einkommen. Kann das denn allein das Problem dann lösen?

    Butterwegge: Ja, die Steuerpolitik verschiedener Bundesregierungen, nicht nur der jetzigen, hat natürlich erheblich dazu beigetragen, dass diese Spaltung innerhalb des Landes sich verschärft hat. Denken wir mal, um es plastisch zu machen, an die Mehrwertsteuererhöhung am 1. Januar 2007. Damals mussten diejenigen besonders jetzt, wenn sie in die Läden gehen, mehr Steuern zahlen, die vielleicht ein geringes Einkommen haben oder sogar Sozialleistungsbezieher sind.

    Auf der anderen Seite wurde die Erbschaftssteuer reformiert, der Spitzensteuersatz gesenkt und das heißt, diejenigen, die eher auf der Sonnenseite des Lebens sich befinden, die wurden weiter entlastet. Also eine solche Steuerpolitik nach dem Matthäus-Prinzip - im Evangelium des Matthäus heißt es, wer hat, dem wird gegeben, und wer wenig hat, dem wird das wenige auch noch genommen -, eine solche Steuerpolitik nach dem Matthäus-Prinzip führt natürlich und verstärkt dann erst recht die ohnehin schon vorhandene Spaltung unserer Gesellschaft in arm und reich.

    Kolbe: Also ich verstehe Sie richtig, Sie wären auch dafür, die Steuern für höhere Einkommen und Vermögen zu erhöhen, aber das allein kann das Problem nicht lösen?

    Butterwegge: Nein, natürlich nicht. Aber das sollte kein Argument sein gegen die Wiedererhebung der Vermögenssteuer. Sie wurde 1997 schon unter der Regierung von Helmut Kohl nicht abgeschafft, sondern sie steht sogar noch im Grundgesetz, aber seitdem wird sie nicht mehr erhoben und das wäre natürlich eines der Instrumente, die nötig wären, um etwas vom Reichtum abzuschöpfen.

    Oder nehmen wir mal die Erbschaftssteuer, auch die wäre natürlich unheimlich gut sogar geeignet, gerade dort den Wohlstand oder Superreichtum abzuschöpfen, wo Menschen ohne Leistung in den Genuss dieses Wohlstandes kommen, nämlich im Erbschaftsfall. Aber auch da ist man eher den entgegengesetzten Weg gegangen, nämlich die Erben zu entlasten, und inzwischen kann man einen ganzen Konzern bei uns erben, als Kind eines Familienunternehmers, ohne einen einzigen Euro oder einen einzigen Cent betriebliche Erbschaftssteuer zahlen zu müssen.

    Kolbe: Die Schere geht auseinander, das steht in einem Entwurf für den vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Im Deutschlandfunk war das der Politikwissenschaftler und Buchautor Christoph Butterwegge. Besten Dank für das Gespräch.

    Butterwegge: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.