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Armutszuwanderung
Rumänen, Bulgaren und die Sorgen der Deutschen

Am Neujahrstag wird die volle Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Arbeitnehmer wirksam. Jetzt ist eine Debatte entbrannt um die Notwendigkeit von Regeln gegen eine befürchtete Armutszuwanderung aus diesen Ländern. Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht in der Zuwanderung ein Gewinn für Deutschland.

Axel Plünnecke im Gespräch mit Birgid Becker | 30.12.2013
    Birgid Becker: Am Neujahrstag tritt also Lettland der Euro-Zone bei und auch am Neujahrstag wird die volle Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Arbeitnehmer wirksam. Damit begrüße ich Professor Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft, vom IW. Guten Tag.
    Axel Plünnecke: Guten Tag.
    Becker: Lettland wie eben gehört erlebte eine Auswanderungswelle als Reaktion auf wirtschaftlich schwierige Zeiten. Mit Blick auf das Datum 1. 1. für die Freizügigkeit von Rumänen und Bulgaren ist in Europa und auch in Deutschland, vorangetrieben vor allem von der CSU, eine Debatte entbrannt um die Notwendigkeit von Regeln gegen eine befürchtete Armutszuwanderung aus diesen Ländern. Das IW, Professor Plünnecke, ist das von den Arbeitgebern getragene Forschungsinstitut, und die Arbeitgeber teilen diese Sorge nicht.
    Plünnecke: Nein. Wir sehen in den letzten Jahren bei der Zuwanderung insgesamt deutlich günstige Entwicklungen. Die Zuwanderer der letzten Jahre stammen vor allen Dingen aus der EU, aus Mittelosteuropa, und wir sehen dort, dass viele von diesen Zuwanderern erwerbstätig sind, dass sie sehr gute Qualifikationen mitbringen, Engpassqualifikationen, die am Arbeitsmarkt besonders gefragt sind, sodass es sicherlich auch in Teilen Probleme gibt, aber das Gesamtbild zeigt eigentlich, dass die Zuwanderung Deutschland sehr nützt in den letzten Jahren.
    Becker: Und wenn Sie jetzt auf die Zuwanderung aus vergangenen Jahren verweisen, welche Herkunftsländer meinen Sie da?
    Plünnecke: In den letzten Jahren stammen die Zuwanderer vor allen Dingen aus der EU, dabei vor allen Dingen aus Mittelosteuropa, aber auch zuletzt sehr stark aus Südeuropa. Früher in den 90er-Jahren kamen die Zuwanderer sehr stark aus den GUS-Staaten, früher ja auch aus der Türkei. Wir haben eine ganz andere regionale Zusammensetzung der Zuwanderung heute als früher und wir haben auch sehr viele Zuwanderer, die heute über das Bildungssystem zuwandern. Die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen ist gestiegen und wir wissen, dass die Studierenden häufig auch in Deutschland nach dem Studium bleiben.
    Becker: Sie sagen, die Zuwanderer der vergangenen Jahre seien durchweg jünger als die deutsche Durchschnittsbevölkerung und sie seien auch besser ausgebildet. Wie sieht das konkret aus?
    Plünnecke: Unter 20 Prozent der Zuwanderer, der Neuzuwanderer sind über 45 Jahre alt, nur vier Prozent über 65 Jahre alt. Dadurch sind die Zuwanderer auch in deutlicherem Maße insgesamt erwerbstätig als die Bevölkerung, die in Deutschland geboren ist. Und unter den erwachsenen Neuzuwanderern haben 29 Prozent inzwischen eine abgeschlossene Hochschulausbildung. In Deutschland sind das insgesamt nur 19 Prozent. Das Qualifikationsniveau der Zuwanderer ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und damit ist Zuwanderung auch für Deutschland jetzt von der Struktur her vollkommen neu, sodass Zuwanderer den Akademikeranteil in der erwachsenen Bevölkerung erhöht und nicht senkt.
    Becker: Anders als oft angenommen sieht es ja auch mit Integration von Zuwanderern auf dem deutschen Arbeitsmarkt recht günstig aus, neben dem Aspekt, dass die Zuwanderer im Durchschnitt höher ausgebildet sind. Diejenigen, die schon da sind, sind auch recht gut angekommen. Beschreiben Sie!
    Plünnecke: Den Zuwanderern gelingt der Arbeitsmarkteintritt heute deutlich besser als früher. Es gibt immer noch einen Abstand zu der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Das sind vor allen Dingen andere Erwerbsmuster, die wir bei Frauen sehen zwischen Zuwanderern und Nichtzuwanderern. Das kann auch traditionelle kulturelle Gründe haben. Unter den erwerbstätigen Neuzuwanderern sind inzwischen 23 Prozent als hoch spezialisierte Fach- und Führungskräfte tätig. Das ist etwa genauso viel wie bei der Gesamtbevölkerung. Wenn Sie sehen: Vor zehn Jahren waren das erst zwölf Prozent und nur etwa halb so viele. Auch hier sieht man, dass die aktuelle Struktur der Zuwanderer deutlich anders ist als früher. Zuwanderung ist deutlich stärker arbeitsmarktorientiert als noch vor einem Jahrzehnt.
    Becker: Was sich Arbeitgeber ja besonders wünschen, das ist ein Zuzug von Arbeitnehmern aus den sogenannten MINT-Fächern, also von Menschen, die einen Hochschulabschluss in Mathematik, in Informatik, Naturwissenschaft oder und Technik haben. Was können die Arbeitgeber denn tun, oder was tun sie, um Lücken auf dem Arbeitsmarkt gezielt mit Zuwanderern aus diesen Bereichen zu füllen?
    Plünnecke: In diesem sogenannten MINT-Bereich sind die Arbeitgeber schon sehr erfolgreich. Sie wissen, dass aktuell über 15 Prozent der erwerbstätigen MINT-Akademiker im Ausland geboren sind, nach Deutschland zugewandert sind. Das sind rund 370.000. Das sind also 50 Prozent mehr noch als im Jahr 2005. Wir können also etwa sagen, dass ein Drittel der Zunahme der erwerbstätigen MINT-Akademiker auf Zuwanderung zurückzuführen ist, also Zuwanderung heute schon sehr stark zur Fachkräftesicherung in diesen, gerade für Innovationskraft wichtigen Bereichen verantwortlich ist. Es geht in Zukunft auch vor allen Dingen darum, zusätzliche Zuwanderer aus Drittstaaten mit hohen Geburtenraten nach Deutschland zu gewinnen, beispielsweise aus Süd- und Südostasien, um auch langfristig von Zuwanderung profitieren zu können.
    Becker: Die CSU führt nun vor allem diese erwähnte Debatte um eine mögliche Armutszuwanderung. Wie verträglich ist denn solch eine Debatte um Grenzen für eine Armutszuwanderung, die noch gar nicht konkret absehbar ist, für einen Wunsch nach qualifizierter Zuwanderung, wie Sie ihn eben äußern?
    Plünnecke: Wichtig ist, dass wir in Deutschland die Willkommenskultur stärken. Das fängt schon mit der Visitenkarte Deutschlands an, dass die Internet-Seite "make it in germany" hier ein schönes Bild Deutschlands auch nach außen transportiert, geht weiter über die Möglichkeiten, bereits im Ausland Deutsch zu lernen, erste Kontakte nach Deutschland zu gewinnen. Auch die Goethe-Institute beispielsweise sind da ganz von hoher Bedeutung. Das Wichtigste aber, dass die Gesellschaft insgesamt erkennt, dass Zuwanderung ein Gewinn für Deutschland ist. Das gilt vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Wenn Sie überlegen: Die Bevölkerung in Deutschland wird stark schrumpfen, der Bedarf an Renten, Pflegeleistungen, die Staatsschulden schrumpfen aber nicht mit. Von daher ist Zuwanderung langfristig von hoher ökonomischer Bedeutung und wir sollten Zuwanderer deutlich willkommen heißen. Zuwanderung ist eine Bereicherung für die Gesellschaft und die Debatte ist in dem Zusammenhang nicht wirklich nützlich.
    Becker: Professor Axel Plünnecke war das – vielen Dank – vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.