Dienstag, 23. April 2024

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Artenschutz braucht mehr als nur Lippenbekenntnisse

Ähnlich zum Weltklimarat soll künftig ein Weltbiodiversitätsrat das Bewusstsein für die Bedeutung der Artenvielfalt stärken. Das Gremium solle vor allem die Verbindung zwischen Wissenschaft und Politik stärken, betont Professor Christoph Görg vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

Christoph Görg im Gespräch mit Theo Geers | 23.09.2010
    Theo Geers: New York ist in diesen Tagen, in denen die UN-Generalversammlung stattfindet, der weltweite Treffpunkt vieler Politiker. Gestern war der Tag aber geprägt von der Sonder-Generalversammlung zum diesjährigen Jahr der biologischen Vielfalt. Sie soll Weichen stellen für die Biodiversitätskonferenz in drei Wochen im japanischen Nagoya, die wiederum aber nur eine traurige Zwischenbilanz ziehen wird, denn das vor acht Jahren formulierte Ziel, den Artenschwund wenn nicht zu stoppen, dann wenigstens zu verlangsamen, dieses Ziel ist bislang nicht erreicht. Nun soll ein Weltbiodiversitätsrat aus der Taufe gehoben werden, und über dieses neue Gremium will ich nun mit Professor Christoph Görg vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig sprechen. Guten Tag nach Leipzig, Herr Professor Görg.

    Christoph Görg: Schönen guten Tag!

    Geers: Herr Professor Görg, Sie sind Experte für globale Umweltpolitik, Sie beschäftigen sich mit dem Schutz der Artenvielfalt und der Frage, wie dieser Schutz weltweit organisiert werden kann. Deshalb die Frage: Was soll nun dieser neue Weltbiodiversitätsrat leisten? Wer sitzt drin und was machen seine Mitglieder?

    Görg: Er soll zunächst die Verbindung zwischen Wissenschaft und Politik stärken. Wir haben ja eine Reihe von politischen Maßnahmen, internationalen Abkommen und so weiter, aber wie Sie schon gerade erwähnt haben: Die funktionieren nicht so, wie sie funktionieren sollen. Sie erreichen ihre selbst gesteckten Ziele zum Teil nicht. Ein Element, wie man diesen Prozess verbessern kann, ist halt die Stärkung des wissenschaftlichen Inputs in solche Prozesse. Das ist nur ein Element, aber ein wichtiges Element, und dafür soll dieser neue Biodiversitätsrat regelmäßige Berichte erstellen, sogenannte Assessment Reports, wo der Stand des Wissens über die Ursachen und die Folgen des Verlustes der Biodiversität zusammengetragen wird. Das wird sicherlich die wichtigste Funktion sein. Daneben muss er einfach auch einen Kapazitätsaufbau betreiben, dass in vielen Ländern der Welt, vor allen Dingen in den Entwicklungsländern, auch dieses Wissen wirklich richtig genutzt werden kann und in Entscheidungsprozesse wirklich eingeht. Das wird sogar die größte Herausforderung sein. Er wird ein Sekretariat haben, er wird ein oberstes Entscheidungsgremium haben. Allerdings die Hauptarbeit wird eigentlich von Wissenschaftlern gemacht, die dann ähnlich wie beim Weltklimarat regelmäßige Berichte erstellen werden.

    Geers: Nun sagte ich es gerade, Herr Professor Görg: Es ist noch nicht einmal gelungen, den Artenschwund zu verlangsamen; von Stoppen ist gar nicht erst die Rede. Ketzerisch gefragt: Braucht man da ein solches Gremium?

    Görg: Ja, gerade deswegen braucht man es. Ich will jetzt nicht sagen, dass die Bedeutung der Wissenschaft da überschätzt werden kann. Natürlich geht es um fehlenden politischen Willen, um Zielkonflikte, wo andere Güter dann im Vordergrund stehen. Aber ein wichtiges Element ist natürlich ohne Zweifel, dass man das Bewusstsein für die Bedeutung der Biodiversität schärft, und dafür ist natürlich sozusagen die Wissenschaft ein wichtiger Input. Es soll also die Relevanz der Biodiversität deutlicher werden, und zwar auch gerade die gesellschaftliche Relevanz, das heißt, wo diese Biodiversität in unserem Alltagsleben auch unser Wohlbefinden, wie es dann manchmal heißt, beeinflusst, wo wir sozusagen Leistungen kostenlos in Anspruch nehmen, ohne uns dessen bewusst zu sein, und da schon den Entscheidungsträgern, auch der weiteren Öffentlichkeit klar zu machen, was wir da für Leistungen der Natur in Anspruch nehmen. Das könnte natürlich schon dazu beitragen, dass auch die Politik dann diese Ziele etwas konsequenter angeht.

    Geers: Letzte Frage, Herr Professor Görg. Sie sagten vorhin, der neue Weltbiodiversitätsrat soll den Stand des Wissens zusammentragen. Er soll auch eine ähnliche Rolle spielen wie der Weltklimarat beim Klimaschutz, aber eben dann wie gesagt beim Artenschutz. Kann dieses neue Gremium das leisten und wenn ja wie? Gibt es dann so ähnlich aufrüttelnde Prognosen, wie das beispielsweise beim Weltklimarat der Fall ist?

    Görg: Na ja, es wird sicherlich nicht nur auf die aufrüttelnden Prognosen ankommen. Diese aufrüttelnden Botschaften sind natürlich das, was erstmal ein Thema sozusagen in die Öffentlichkeit bringt. Wichtig ist aber, was ich schon vorhin erwähnt habe, eher die alltägliche Relevanz, die bei vielen Entscheidungen einfach hinten herunterfällt, also wo man nicht wahrnimmt, welche Leistungen uns die Natur oder Ökosysteme, die Biodiversität, welche Leistungen sie uns sozusagen liefert, ohne dass wir sie bei unseren Entscheidungen - und seien es jetzt wirtschaftliche Entscheidungen, politische Entscheidungen oder Alltagsentscheidungen, Konsumentscheidungen zum Beispiel -, ohne dass wir sie angemessen in Rechnung stellen. Da kann ein solches Gremium in der Tat einen Unterschied machen, indem es natürlich auch aufzeigt, was jetzt konkret vor Ort auch die Leistungen sind. Das ist vielleicht ein kleiner Unterschied jetzt zum Weltklimarat. Es wird noch viel stärker als beim Klima darauf ankommen, auch die regionalen Besonderheiten deutlich zu machen. Natürlich sind unsere Dienstleistungen hier in Europa etwas anders gestrickt als die Dienstleistungen, die wir von der Natur bekommen, in Afrika oder in südasiatischen Ländern. Aber genau da müssen auch sozusagen die spezifischen Ursachen des Biodiversitätsverlustes und der Folgen für die Gesellschaft transparent und deutlich gemacht werden.