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Artenschutz contra Landwirtschaft

Vor rund 50 Jahren waren die Nonnengänse so gut wie ausgestorben. Dank umfangreicher Schutzmaßnahmen haben sich die Bestände wieder gut erholt. Fast schon zu gut, denn die mittlerweile riesigen Gänseschwärme an der Westküste von Schleswig-Holstein sind nicht nur ein eindrucksvolles Naturschauspiel, sondern sorgen auch für Konflikte mit der Landwirtschaft. Auf einer Tagung im Nationalpark schleswig-holsteinisches Wattenmeer sollen diese Konflikte nun gelöst werden.

Von Annette Eversberg |
    " Wenn man einen ganzen Schwarm Nonnengänse über sich hat, die klingen wie wütende Terrier. Es ist einfach so ein Kläffen. "

    Kerstin Mock-Hofeditz ist Biologin und mit den Nonnengänsen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer vertraut. Nonnengänse heißen sie deshalb, weil ihr schwarz und weiß gezeichneter Kopf an die Hauben von Nonnen erinnert. Im Oktober beginnt die Hochzeit der Nonnengänse im Wattenmeer:

    " Nonnengänse sind Meeresgänse, eine Art, die ans Meer gebunden ist, die in Sibirien brüten. Sie sind im Winter bei uns und im Sommer weiter im Norden. "

    Im Wattenmeer sind sie vor allem Gäste. Zwischen Oktober und Mai rastet ein großer Teil der Weltpopulation von 400.000 Tieren im deutschen und niederländischen Watt. Das war nicht immer so. In den 50er Jahren war die Population auf 50.000 Tiere gesunken. Dr. Walther Petersen-Andresen vom Staatlichen Umweltamt in Schleswig nennt als Hauptursache eine intensive Bejagung:

    " In Sibirien wurden in den 30er, 40er Jahren die Entenbestände für die Fleischgewinnung genutzt. Und dadurch sind alle sibirischen Gänse dezimiert worden. Und jetzt haben sie sich erst wieder erholen können. "

    Im Wattenmeer nutzen sie die Salzwiesen. Aber mehr noch die Weiden und Ackerflächen der Marschgebiete hinter den Deichen. Frisch ausgesäte Weizenkörner sind besonders beliebt. Oder die ersten Gräser des noch jungen Getreides. Zum Ärger der Bauern. Hans Friedrichsen vom nordfriesischen Bauernverband:

    " Wir haben eine Überpopulation. Und wir müssen diese Überpopulation regulieren und bewirtschaften. Betroffenen Landwirten helfen, damit sie nicht in Existenznot geraten. Und das Allerwichtigste, wir müssen regulierend eingreifen. "

    Aber Gänse sind nicht nur eine Plage. Man hat bereits nachgewiesen, dass sie auch von Nutzen sein können. Walther Petersen-Andresen:

    " In Ostholstein, da sind Flächen gezielt untersucht worden, und auf den von Gänsen befallenen Flächen war der Ertrag höher, als auf den nicht von Gänsen befallenen Flächen. Die andere Möglichkeit ist, wenn starker Befall von einer Miniermücke vorhanden ist, und wenn dann die Gänse die Sprosse des Weizens abbeißen, werden auch die Eier der Miniermücke mit abgefressen. Dadurch gibt es keinen Schaden durch diese Mückenart. "

    Voraussetzung ist allerdings, dass die Zahl der Gänse auf den jeweiligen Ackerflächen nicht zu hoch ist. Deshalb plädiert Walter Petersen-Andresen für ein Management, das Landwirten und Gänsen zugute kommt:

    " Dieses Konzept muss beinhalten, dass dort, wo Schäden auftreten können, Gänse gezielt vergrämt werden, wenn es sein muss auch Vergrämungsabschuss. Und dass dann woanders gute Äsungsflächen vorhanden sind, wo die Gänse auch ungestört äsen können. Man kann Naturschutzgebiete als Äsungsflächen gezielt entwickeln, aber auch auf Ackerflächen, die im Herbst nicht bestellt werden, Weizen als Lockfütterung ausbringen. "

    Einige gezielte Vergrämungsmaßnahmen sind auch nach der EU-Vogelschutzrichtlinie in Ausnahmefällen erlaubt. Und sie werden von Brüssel ständig überwacht. Sie sind aber dennoch das geringste Glied im Managementkonzept. Im Wesentlichen beruht es auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Gänse sind besonders lernfähig. Dort, wo sie ungestört sind, halten sie sich gerne auf. Und sie lernen gleichzeitig, sich fernzuhalten, wo ihnen Gefahr droht. Deshalb können besondere Äsungsflächen, die auch von den Landwirten befürwortet werden, schnell als Sicherheitszone angenommen werden. Große Schwärme von Nonnengänsen wären dann aus der Sicht des Ornithologen auch eine touristische Attraktion:

    " Dann kann man, wenn man das über den ganzen Herbst machen würde, sicher sein, dass man die Gänse auch dort beobachten kann. Und gerade der Herbst ist für viele Vogelbeobachter eine interessante Zeit, weil einfach verschiedene Vogelarten hier auftreten. Dann ist das für alle ein Vorteil. "