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Artenschutz in der Statistik

Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sind in ihrem Bestand gefährdet. Sehr gut nachvollziehen kann man diese Entwicklung anhand der "Roten Listen", die vom Bonner Bundesamt für Naturschutz veröffentlicht werden. Vor fünfundzwanzig Jahren, damals noch in der Zuständigkeit des Bundeslandwirtschaftsministeriums, wurde die erste Liste der gefährdeten Tiere und Pflanzen noch in einer Broschüre herausgegeben. Heute erscheinen die Listen getrennt als dicke Bücher mit jeweils Tausenden verzeichneter Arten. Über 100 Experten streifen regelmäßig für das Bonner Bundesamt durch Wälder, Wiesen und Flußauen, um die bedrohten Arten zu erfassen.

Von Ludger Fittkau |
    Horst Gruttkes Lieblingstiere sind die Grubenlaufkäfer. Das Insekt gehört zu den gefährdeten Arten in Deutschland, die seit 25 Jahren auf sogenannten "roten Listen" geführt werden. Horst Gruttke ist als Zoologe beim Bonner Bundesamt für Naturschutz für die rote Liste der Tiere zuständig. Er erklärt, was ihn am Grubenlaufkäfer so interessiert:

    Die Art ist auch biologisch sehr interessant, sieht also auch ganz nett aus, taucht sehr lange, weil sie Unterwasser jagt und hat als besonderes Schmankerl noch, das wenn man sie ärgert, nach Pfefferminz riecht, also der Pfefferminz-Bonbon unter den Karabiden. Also das ist eine Art, die mit sehr am Herzen liegt.

    Früher duftete der Pfefferminz-Käfer auch vor den Toren Hamburgs. Damit ist es vorbei, seit es besonders in Norddeutschland an Tümpeln in Feuchtgebieten fehlt. Viele Arten sind seitdem verschwunden:

    Zu meinen Lieblingsarten gehören die Torfmoose, da stand sicherlich die ehemals landwirtschaftliche Nutzung im Vordergrund, dass dadurch die Moorflächen kaputtgemacht worden sind, indem sie für die Landwirtschaft genutzt wurden. Das ist auch heute noch weltweit für die Moore das größte Problem. In Deutschland ist es jetzt verbleibend die Abtorfung, dass der Torf zu gartenbaulichen Zwecken genutzt wird oder zu Heilzwecken genutzt wird, das ist das was jetzt noch in Deutschland ein Problem darstellt. Und die stehen auch alle auf der Roten Liste, die Hochmoorarten.

    Gerhard Ludwig ist beim Bundesamt für den Naturschutz für die rote Liste der Pflanzen zuständig. Seine Hauptsorge sind die Moore, denen er im Grunde keine Zukunft gibt:

    Es ist aber so, dass wir in Gesamtmitteleuropa wahrscheinlich kein einziges wachsendes Hochmoor mehr haben, aufgrund der starken Einträge von Nährstoffen, insbesondere Stickstoff, der dazu führt, dass sich kein Torf mehr anreichern kann, sondern der dazu führt, dass an der Oberfläche direkt das Pflanzmaterial wieder zersetzt wird, so dass wir auf Dauer in Mitteleuropa kein lebendes Moor mehr haben. Das sind lebende Leichen, auf gut Deutsch.

    Der Grund für das Sterben der sagenumwobenen Moore: Zu hohe Stickstoffbelastung durch die Landwirtschaft, Trockenlegungsmaßnahmen sowie der Torfabbau für den Gartenbedarf und das Moorbad im Wellness-Center:

    "Man kann Niedermoore regenerieren und das ist auch gemacht worden, auf den abgetorften Flächen sind solche Flächen wiederhergestellt worden, dass ist kein Problem. Aber ein eigentliches, man denkt ja doch an ein Hochmoor mit einer mindestens meterdicken Auflageschicht an Torf, dass lässt sich im Moment nicht regenerieren."

    Gefährdete Pflanzen und Tiere im Moor und in anderen Umgebungen werden alle zehn Jahre in einer aktualisierten roten Liste erstellt- die letzte stammt von 1996. Feuchte Lebensräume sind dabei besonders im Blickpunkt - so sind auch Arten, die am Flussufer leben, besonders gefährdet. Horst Gruttke:

    Schotterfluren unserer Flüsse, die sind durch diese ganzen Flussbegradigung heute verschwunden. Wenn man heute nach Frankreich geht, da gibt es noch solche Restflächen an der Loire, so etwas findet man in Deutschland, zum Beispiel im Voralpenland, nur noch ganz selten. Und da gibt es natürlich viele, hochangepasste Arten, die früher relativ weit verbreitet waren und heute vollkommen verschwunden oder auf kleine Restbestände beschränkt sind.

    Dabei gibt es gerade an deutschen Flüssen Arten, die sonst nirgendwo auf der Welt vorkommen. Zum Beispiel an der Elbe. Dort wächst eine besondere Fenchelart. Gerhard Ludwig:

    Auch da, an der Unterelbe und Nebenflüssen, wächst der sogenannte Schierlingswasserfenchel und der wächst auch nur dort auf der gesamten Welt, in dem Teil der Unterelbe. Und da wird im Moment ein Projekt vom Bundesamt gefördert, wo versucht wird, den Erhalt dieser Art sicherzustellen und auch genau zu untersuchen, was braucht diese Art, damit das auch gewährleistet wird.

    Dabei geht es dann um die Fließgeschwindigkeit der Elbe ebenso wie die notwendigen Schwankungen des Wasserstandes. Hier kann der Naturschutz was tun, um eine seltene Art zu retten. In anderen Bereichen ist das kaum möglich - zum Beispiel, wenn es um die Folgen globaler Umweltschäden geht:

    Die so genannten Epiphyten, das sind Pflanzen, die auf Baumrinde wachsen, die sind durch den sauren Regen ganz stark zurückgegangen. Da der saure Regen ja nun zurückgegangen ist, kommen wieder auf Rinde wachsende Moose und Flechten zurück, aber durch die hohen Stickstoffbelastungen, sind das Allerweltsarten, die jetzt auf die Bäume zurückkommen. Die selteneren und anspruchsvolleren Arten, die verschwunden sind, kommen nur in ganz seltenem Umfang wieder zurück, oder auch gar nicht. So dass zwar jetzt wieder an unseren Bäumen was wächst, aber es ist nicht mehr das Ursprüngliche.

    In der Geschichte der "roten Listen" sorgte die Wiedervereinigung für eine Zäsur . Denn auch in der DDR waren bedrohte Arten erfasst worden, allerdings nach ganz anderen Kriterien, erinnern sich die Bonner Verantwortlichen. Außerdem seien beide Seiten jeweils zum ersten Mal mit Arten konfrontiert worden, die es in ihrem Gebiet nicht gab: Der Osten brachte als zoologisches Brautgeschenk zum Beispiel den Seeadler mit, den man im Westen kaum noch kannte:

    Wir haben natürlich auch Arten, die durch die Wiedervereinigung als solche stärker gefährdet wurden, weil zum Beispiel bestimmt Praktiken des Westens auch im Osten eingeführt wurden oder wie mein Kollege Boje einmal sagte: Der Feldhamster ist der eigentliche Verlierer der deutschen Einheit, weil durch die Intensivierung der Nutzung auf den entsprechenden Agrarflächen der Feldhamster entsprechende Einbußen zu verzeichnen hat.

    Eine ganze Reihe von Tierarten, die schon 1977 auf der ersten roten Liste standen, sind auch heute noch dort zu finden. Horst Gruttke nennt drei sehr unterschiedliche Arten als Beispiel:

    Das ist einmal der Luchs, der früher stark zurückging aber auch heute noch als gefährdet gilt, die Rohrfederkiemschnecke, die natürlich kein Mensch kennt, die aber auch nach wie vor gefährdet ist, aufgrund der Gefährdung ihrer wenigen Vorkommen vermutlich, sowie der nordische Mansschild, das ist also eine Art, die zu den Pflanzen gehört, aber die auch nach wie vor auf der roten Liste steht.

    Schon seit langem gehören auch die unscheinbareren Blattfußkrebse zu den gefährdeten Arten. Die seit 180 Millionen Jahren existierenden Tiere brauchen besondere Lebensräume, die es in unserer aufgeräumten und planierten Landschaft nur noch selten gibt: große Pfützen:

    Man könnte diese Tiere auch als unsere Pfützendinosaurier bezeichnen, und schon aus diesem Grunde, weil sie eine wirkliche Besonderheit sind, haben die natürlich auch eine hohe Schutzbedeutung.

    Dieser "Minidino" zierte schon den Einband der ersten "roten Liste" vor 25 Jahren . Wenn es nach den Bonner Artenschützern geht, sollte er auch in den nächsten Jahrzehnten nicht aus dem Auge verloren werden. Doch dazu müsste es erst mal die Pfützen wieder geben, in denen man die Urtiere entdecken kann.