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Artensterben löst Kettenreaktion aus

1,4 Millionen Tierarten kennt die Wissenschaft, rund 300.000 höhere Pflanzenarten und unzählige Bakterien. Während die Biologen die Artenvielfalt des Planeten langsam entdecken, stellen sie auf der anderen Seite fest, dass durch den Eingriff des Menschen die Artenvielfalt verarmt, immer schneller und immer mehr Tiere und Pflanzen verschwinden. Und das Verschwinden der einen Art zieht sehr oft das einer anderen nach sich.

Von Dagmar Röhrlich |
    Das Leben und die Erde kommen seit vier Milliarden Jahren sehr gut miteinander aus. Es war nicht immer einfach, eher eine Achterbahnfahrt, denn in der Geschichte des Lebens gab es immer wieder Massenaussterben. Die Ursachen dieses massenhaften Verschwindens von Arten lagen entweder im Inneren der Erde, oder sie kamen in Form von Asteroiden aus dem All.

    Aubrey Manning von der Universität Edinburgh. Heute verschwinden 70 Tier- und Pflanzenarten - für immer. Morgen wird es ebenso sein, auch übermorgen. Die Rate, mit der Pflanzen und Tiere aussterben, liegt 10.000mal über dem Durchschnitt der vergangenen Jahrmillionen. Und die Ursache ist diesmal der Mensch. Die Rote Liste der bedrohten Arten ist lang: Mehr als 12.000 Tiere und Pflanzen stehen darauf, darunter der Buschmannhase aus Südafrika oder der Grauwal. Aber diese Liste zeigt doch nur einen winzigen Teil des Geschehens, erklärt Navjot Sodi von der National University of Singapore:

    Es wird ein großes Artensterben geben, eine Krise, bei der viele Tiere und Pflanzen durch den Menschen ausgerottet werden. Aber wenn eine einzelne Art verschwindet, zieht das andere nach sich, Pflanzen und Tiere hängen voneinander ab. Wir wollen deshalb wissen, wie viele andere Arten ein Schlüsselorganismus mit sich zieht. Dieses Netz von Abhängigkeiten ist in den Abschätzungen nicht erfasst, deshalb unterschätzen wir das Problem.

    Ein Beispiel: die Armee-Ameisen in Süd- und Zentralafrika. Wenn sie in langer Reihe von ihrer Kolonie zu den Futterplätzen laufen, scheuchen sie viele Insekten auf - und über die macht sich dann der Ameisenvogel her. Holzt der Mensch den Wald ab - und wird der Restwald kleiner als 20 Hektar, verschwinden die Ameisen - und mit ihnen die Vögel. Die Ameisen sind die Schlüsselorganismen. Um solche Vernetzungen besser zu erfassen, gibt es jetzt ein neues Rechenmodell:

    Wir haben einige gut bekannte Netzwerke genommen und davon ein mathematisches Modell abgeleitet. Wir berechnen, wie hoch die Spezialisierung der verschiedenen Organismen ist, beispielsweise wie sehr Schmetterlinge davon abhängen, dass sie für ihre Eier eine bestimmte Wirtspflanze finden. Dieses Modell haben wir dann auf weniger gut erforschte Systeme übertragen, etwa darauf, wie stark bestimmte Pilze von Affen abhängen und was passiert, wenn die Affen verschwinden.

    Auf die 12.000 Arten der Roten Liste angewandt, kann man so noch weitere 6000 dazurechnen, die aussterben, wenn ihr Schlüsselorganismus aus dem Spiel genommen wird. Aber das sei nur die Spitze des Eisbergs - schließlich stehen meist unauffällige, unbeachtete Organismen im Zentrum des Geschehens:

    Parasiten sind in der Natur wichtig, weil sie die Populationen in Grenzen halten. Verschwindet ein Parasit, kann das dazu führen, dass die Bestände explodieren und dass hat dann unabsehbare Folgen für das Ökosystem.

    Weil Parasiten meist mehrere Tierarten kontrollieren. Solche Verbindungen werden bislang oft übersehen. Deshalb lenken die Modellrechnungen den Blick auf das, was hinter den Roten Listen steckt: die Zerstörung der Artenvielfalt - und darauf, dass es die Systeme sind, die geschützt werden müssen. Jörn Köhler vom Zoologischen Forschungsinstitut und Museum König in Bonn:

    Wenn wir ein Maximum der Artenvielfalt erhalten wollen, alles können wir nicht schützen, das ist unrealistisch, müssen wir diese Zentren schützen, wenn wir die schützen, haben wir Maximum der existierenden Artenvielfalt gerettet. Wie kann man überhaupt Biodiversitätszentren schützen, wo besteht noch die Möglichkeit der selbständigen Regeneration und so weiter, denn wir können den Menschen ja nicht ausschließen, die Erdbevölkerung wächst weiter und wir müssen also mit den Menschen arbeiten.

    Die Bildung der Menschen in der Ditten Welt sei da sehr wichtig, erklärt Navjot Sodi. Denn in ihren Ländern ist die Vielfalt am größten - und auch die Gefährdung.