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Artentstehung in nächster Nähe

Biologie. – Eine Doktorandin der Tierärztlichen Hochschule in Hannover hat 14 Monate lang die Lemuren Madagaskars erforscht und dabei drei neue Mausmakiarten entdeckt. Sie entstanden in engster Nachbarschaft zu einander, ihre Verbreitungsgebiete sind nur durch Flüsse voneinander getrennt.

Von Michael Engel | 04.01.2007
    Mit gerade einmal zehn Zentimetern Körpergröße zählen Mausmakis zu den kleinsten Lemuren auf Madagaskar. Große Ohren, Knopfaugen, weiches Kuschelfell – sie haben alles, was ein Kinderherz erfreut. Während sich die katzengroßen Indris-Lemuren mit ihren typischen Revier-Gesängen schon von weitem bemerkbar machen, scheinen Mausmakis stumm zu sein. Jedoch: Sie rufen unhörbar – wie Fledermäuse – im Ultraschall-Bereich. 14 Monate lang war Gillian Oliveri auf Madagaskar unterwegs, um den nachtaktiven Mausmakis nachzustellen.

    "Also man benutzt Fallen, so alle zwanzig Meter werden zwei Fallen aufstellt, abends, mit einem Stück Banane drin, dann kontrolliert man morgens, ob da Tiere reingegangen sind."

    Eigentlich sahen die gefangenen Tiere irgendwie alle gleich aus: bräunlich-rotes Fell auf dem Rücken, beige unter dem Bauch. Zuerst dachte Dr. Ute Radespiel, die das Projekt begleitete, an ein und dieselbe Art. Radespiel:

    "Wir haben die Tiere vermessen. Wir haben 15 verschiedene morphometrische Maße, so nennt man das, genommen, wie zum Beispiel die Beinlänge, Fußlänge, Ohrlänge, Kopflänge und das Körpergewicht, und haben dann statistische Vergleiche durchgeführt und haben schon feststellen können, dass diese verschiedenen Arten sich auch äußerlich unterscheiden lassen, nur sind das eben ganz, ganz kleine Unterschiede, die man jetzt äußerlich, wenn man ein Tier in der Nacht auf fünf Meter Entfernung begegnet, nicht so einfach sehen kann."

    Erst eine genetische Untersuchung erbrachte den Beweis, dass die Affen, obwohl alle äußerlich ähnlich, zu drei verschiedenen Arten gehören. Zwölf Mausmakiarten waren bisher auf Madagaskar bekannt, jetzt sind es 15. Obwohl gleich drei Primatenarten quasi auf einen Schlag entdeckt wurden, ist die wissenschaftliche Sensation eine andere: Dass nämlich die drei Spezies, die einen gemeinsamen Vorfahren haben, praktisch in Sichtweite zueinander entstanden – getrennt lediglich von Flussläufen. Eine Speziesentstehung in so kleinräumigen Arealen war bei Primaten bisher unbekannt. Radespiel:

    "Sie sind einfach so lange, nämlich vermutlich mehrere Millionen Jahre durch diese Flüsse getrennt gewesen, dass einfach durch genetische Entwicklung über die Zeit, durch eine Weiterentwicklung eine Ansammlung von Mutationen und auch eine zufällige unterschiedliche Zusammensetzung, die in den Ausgangspopulationen da war, dass einfach diese Gruppen sich immer weiter voneinander getrennt haben."

    Die besagten Flüsse, die wie eine genetische Barriere wirken, entspringen aus dem 1300 Meter hoch gelegenen Bongolava-Gebirge. Sie fließen im Abstand von rund 100 Kilometern fast parallel zueinander nach Westen, in die Straße von Mosambik, die Meerenge zwischen Afrika und Madagaskar. Radespiel:

    "Das ist im Grunde eine ganz neue Entdeckung, dass diese Insel sehr viel stärker partitioniert ist, als man das vorher für möglich gehalten hätte. Man dachte, es gibt nur zwei Arten mit großen, großen Verbreitungsgebieten. Und jetzt ist plötzlich alles ganz kleinräumig und das hat natürlich enorme Auswirkungen auf die Naturschutznotwendigkeiten, die sich da unten ergeben. Denn es reicht nicht aus, einen Park im Osten und einen im Westen zu machen, und zu denken, dann haben wir alles geschützt. Sondern im Grunde zwischen all diesen großen Flüssen müssen wir dafür sorgen, dass Schutzzonen eingerichtet werden, so dass diese einzigartige Fauna, die wir da vorfinden, auch überleben können."

    Die madagassische Regierung begrüßt die Forderungen der Wissenschaftler nach weiteren Schutzschonen. Indes: Madagaskar zählt immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt: Fossile Energieträger wie Öl oder Gas können sich die wenigsten Einwohner leisten. So holzt die Not leidende Bevölkerung auch die letzten verbliebenen Wälder ab, um kochen zu können, und vernichtet damit den Lebensraum der putzigen Mausmakis.