Archiv


Artgerechte Aufzucht oder Massentierhaltung

An Heiligabend kommt in Deutschland häufig eine Weihnachtsgans auf den Tisch. Vielen Käufern ist eine artgerechte Haltung der Gans wichtig - das ist zwar teurer als ein Federvieh aus Massentierhaltung, zahlt sich aber später beim Geschmack aus.

Von Sven Kästner |
    Noch watscheln die 120 propperen Gänse munter über eine tief verschneite Wiese in Thüringen. Das Gras auf den sanften Hügeln ist unter der dicken Schneedecke für das Federvieh unerreichbar. Und auch im Stall gibt's nur noch Trockenfutter.

    "Die sind ja jetzt durchgefüttert, durchgemästet. Das ist nur noch eine Art Erhaltungsfutter."

    Sagt Udo Wally, der die Tiere auf seinem Geflügelhof in Scheiditz hält, einem kleinen Dorf bei Jena. Jedes Jahr mästet er sechs bis sieben Monate lang Hausgänse bis zum Schlachtgewicht zwischen fünf und sieben Kilo. Sein Geflügel ist als Weihnachtsbraten begehrt – trotz der 12 Euro pro Kilo, die er in diesem Jahr verlangt.

    "Ich bin ausgebucht seit vier Wochen ungefähr. Die große Masse meldet das ... im Juni, August an für Weihnachten."

    Vielen Käufern geht es um die artgerechte Haltung. Sie kommen vorbei und schauen sich an, wie die Gänse auf der 12.000-Quadratmeter-Wiese Nahrung suchen. Halter Wally füttert nur Getreide zu, auf konzentrierte Eiweiß-Pellets verzichtet er. Das alles zahlt sich später beim Geschmack aus.

    "Wenn ich jetzt das Tier in die Pfanne lege, hat auch das Fleisch Bestand. Weil das muskulöses Fleisch ist. ... Durch den vielen Auslauf bildet sich das muskulöse Fleisch. ... Was eine Gans in der Intensivhaltung gar nicht haben kann, weil sie sich nicht bewegt. ... Die drehen nur die Köpfe, saufen, fressen. Mehr machen die nicht."

    Gänse aus Massentierhaltung werden schon ab fünf Euro pro Kilo angeboten. Ihr kurzes Leben fristen sie meist zu Tausenden in fensterlosen Hallen. Die Turbomast mit konzentriertem Sojafutter dauert gerade neun Wochen. Meilenweit entfernt von einer artgerechten Haltung, wie sie Reinhild Benning beschreibt, Agrarexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

    "Gänse sind sehr anspruchsvolle Tiere. Sie möchten Auslauf haben. Das sind Wassertiere. Sie möchten Zugang zu Wasser haben, um sich pflegen zu können. Um das Gefieder pflegen zu können. Und sie sind Herdentiere. Sie möchten gerne im Herdenverbund zusammen sein."

    Artgerecht gehaltenes Federvieh landet allerdings selten in den Tiefkühltruhen hiesiger Supermärkte. Mehr als 80 Prozent des deutschen Weihnachtsgeflügels kommen aus dem Ausland – und dort vor allem aus Massentierhaltung. Grausam geht es teils in Frankreich und Ungarn zu. Dort werden auch Gänse gestopft – eine Praxis, die in Deutschland verboten ist. Expertin Benning schildert die Quälerei.

    "Für das Stopfen der Gänse findet man sie häufig einzeln im Käfig, wo sie sich kaum bewegen können und mit einem Stahlrohr wider allen Tierschutz zwangsüberfüttert werden, bis die Leber eine unnatürlich große und fette Form angenommen hat."

    Das kranke Organ wird als zweifelhafte Delikatesse teuer verkauft. Die Tiere ohne Leber aber kommen in den normalen Handel – auch in Deutschland. Im Supermarkt ist schwer zu erkennen, unter welchen Bedingungen die Gans gehalten wurde. Begriffe wie "tiergerecht" oder "artgerecht" werden gerne auf das Etikett gedruckt. Gesetzlich definiert aber sind sie nicht. Jessica Fischer, Lebensmittelberaterin der Verbraucherzentrale Berlin, empfiehlt deshalb:

    "Also ganz sicher wäre es natürlich, sie kaufen zum Beispiel die Gans oder die Ente direkt beim Erzeuger. Und können direkt in Kontakt treten und nachfragen, nach der Herkunft fragen. Und ansonsten, wenn sie es im Laden kaufen, ist zum Beispiel das Bio-Siegel eine gute Orientierungshilfe. Denn hinter diesen transparenten Kriterien der EU-Öko-Verordnung stecken ja auch Tierschutz-Kritierien."

    Das dürfte ganz im Sinne von Udo Wally sein, dem Geflügelhalter aus Thüringen. Und was gibt es bei ihm zum Weihnachtsfest? Eine Gans?

    "Ne, ich ess' lieber Ente."