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Arthur Schnitzlers "Reigen"
Sex in Stuttgart

In Arthur Schnitzlers "Reigen" findet ständiger Partnertausch statt - aber man bleibt trotzdem unter sich. Denn Franziska Walser und Edgar Selge, auch im wirklichen Leben ein Paar, spielen alle Rollen in in diesem Stück am Staatstheater Stuttgart.

Von Christian Gampert | 16.12.2013
    Ein angejahrtes Ehepaar liest ein Buch. Offenbar haben die beiden Langeweile und wollen wieder Schwung in die alte Kiste bringen - denn der gewählte Text eignet sich vorzüglich als Vorlage für erotisches Probierhandeln aller Art.
    Schöne Rollen und Verkleidungen, ständiger Partnertausch – nur dass man hier eben unter sich bleibt. Franziska Walser und Edgar Selge, auch im wirklichen Leben ein Paar, spielen alle Rollen in Arthur Schnitzlers "Reigen", hübscher Einfall, aus dem man dann, aber was machen muss.
    Vorweggesagt: Es passiert nicht viel. Auf der Bühne steht eine Art Karussell, das aus Schaufenstern besteht. So wie in Amsterdam die Prostituierten sich im Show-Case zur Fleischbeschau darbieten, so sind in den Karussell-Abteilen Schaufensterpuppen aufgereiht, auf denen die notwendigen Kleidungsstücke für annäherungstechnische Kabinettstückchen hängen. Die Schauspieler bedienen sich dort, und wenn das düstere Karussell sich zum Totentanz der einsamen Seelen in Gang setzt, ertönt eine psychedelische Rummelplatzmusik, in der bisweilen ein sexuell motiviertes Gehechel durchklingt.
    Der Bühnenbildner Peter Baur, der sich dieses kreiselnde Arrangement ausgedacht hat, wird später in einer Strumpfhose zum Schlussapplaus erscheinen wie Robin Hood auf dem Schulausflug. Sprich: Der gute Mann will sich interessant machen. Auch das tumbe Verkleidungstheater, das er und der Regisseur Bastian Kraft veranstalten, gibt sich ungeheuer unkonventionell – und ist doch nur biederste Brecht-Verfremdungs-Epik, ein bisschen entertainend aufgemotzt: Die Schauspieler lesen die Szenenanweisungen und spielen dann das, was sie lesen – das ist so aufregend wie eine Tasse Kamillentee.
    Dabei geht es doch um Sex. Und der geht bei diesen Rollenspielen ziemlich drauf. Was man sieht, sind Übungen für Schauspieler – großartige Schauspieler, zugegeben, aber irgendwie sind das alles nur lustige Trockenstudien fürs Abonnement. Dirne und Soldat, Soldat und Stubenmädchen – Selge und Walser sitzen zunächst in merkwürdigen Nacktkostümen da, ziehen sich ausgiebig um und stürzen dann in die jeweiligen Affären, um sie zu ironisieren.
    "Wohnst weit weg?" – "Zehn Minuten von hier". – "Das ist mir zu weit."
    Edgar Selge gehört zu den tollsten Charakterdarstellern der Gegenwart – aber hier darf er gar keine Charaktere spielen. Immerhin macht er das, was er tut, vollkommen durchsichtig: rein in die Rolle, raus aus der Rolle, immer mit einer ungeheuren Selbstdistanz und auch einem Abstand zu den Klischees, die er da vorzeigt. Franziska Walser hat viel mehr Probleme – sie spielt warmherzig und neugierig, aber es ist immer die große Pose, die ihr gefällt (und die im Zusammenspiel mit Selge dann ein paar Risse bekommt).
    Die "junge Frau" kommt in dieser Aufführung daher wie eine grellgelbe Oberschichtsbiene, der junge Herr als verschmockter Galan, beides mehr 19. als 21. Jahrhundert. Das Rendezvous endet bekanntlich mit einem Fall von Impotenz, um dann mit viel Mühe doch noch in die Erfolgsspur einzubiegen. Das kann man persiflieren – aber irgendwann möchte man dann doch etwas über diese Personen erfahren, sie ernstgenommen wissen, statt dieses pointengeile, über den Text huschende Staatstheater-Boulevard aufgetischt zu bekommen.
    Dankbar natürlich auch die Nummer des aufgeblasenen Ehemanns, der seine soeben fremdgegangene Gattin über seine sexuellen Irrfahrten aufklärt – Selge spielt diese maskuline Blindheit mit Dostojewski- bzw. Freud-Bart. Dann der schon zu erwartende Rollenwechsel: Walser gibt den Mann, Selge das süße Mädel – herrjeh, hat er nichts Besseres vor? Das sieht aus wie ein alter Mephisto, der Charleys Tante spielt, geteilt durch Wien und Schnitzler. Danach darf Walser auf Marilyn Monroe machen, was sie wirklich nicht gut kann. Aber dieser Mummenschanz kommt natürlich prächtig an, zumal er auf Leinwand nochmal im Großformat erscheint, für die hinteren Reihen.
    Um Stuttgart muss man sich schon Sorgen machen: erst "Szenen einer Ehe" mit Joachim Król und Astrid Meyerfeldt, jetzt dieser Pas-de-deux-"Reigen" mit Herrn und Frau Selge: Das Staatstheater mutiert zum launigen Eheberatungsinstitut. Und das bereits im ersten Halbjahr der Intendanz von Armin Petras.