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Artz an Bord?

"Ist ein Arzt an Bord?" - Dieser Durchsage des Bordpersonals musste der Bochumer Arzt Dr. Peter Berens auf seinen Urlaubsflügen schon mehrfach folgen. Der häufigste medizinische Notfall über den Wolken ist der klassische Ohnmachtsanfall - oft durch Flüssigkeitsmangel hervorgerufen.

Von Klaus Deuse |
    Musik Reinhard Mey: "Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Ängste, alle Sorgen sagt man, blieben darunter verborgen und dann … "

    Dann kann die Unbeschwertheit über den Wolken jedoch plötzlich schnell verfliegen. Und zwar bei folgender Durchsage des Bordpersonals: "Ist ein Arzt an Bord?" Ein Ruf, dem der Bochumer Arzt Dr. Peter Berens auf seinen Urlaubsflügen schon mehrfach folgen musste.

    "Insgesamt dreimal. Das erste Mal auf einem Charterflug von Kairo nach Düsseldorf....das Zweite Mal auf einem Hinflug nach Ibiza....und das dritte Mal auf einem Rückflug von Palermo nach Hannover."

    Bei dem Rückflug aus Kairo etwa.

    "… kam es bei einer alten Patientin, die eine schwere Bronchitis hatte, zu einem massiven Kreislaufkollaps mit nicht messbarem Blutdruck."

    Doch in solchen akuten Fällen wie diesem befindet sich nicht immer ein Arzt an Bord. Außerdem erfassen nicht alle Fluglinien diese medizinischen Notfälle, wie Dr. Martin Sand von der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen einer Studie feststellen musste. Von 32 Airlines, die er um Informationen gebeten hatte, konnten 27 keine Angaben machen, da sie solche Daten erst gar nicht erheben. Zwei andere Airlines wollten sich aufgrund ihrer Firmenpolitik nicht an dieser Studie beteiligen. Bei medizinischen Notfällen an Bord handelt es sich für manche Fluglinien offenbar um ein heikles Thema, zu dem sie aus Image-Gründen lieber schweigen. Dr. Martin Sand:

    "Ich hatte schon den Eindruck. Kann man sagen, ja."

    Insgesamt standen Dr.Martin Sand Angaben zu rund 10.200 medizinischen Notfällen, die sich innerhalb von fünf Jahren an Bord zweier europäischer Airlines ereigneten, zur Verfügung. Bei der Auswertung der Daten stellten mit über 53 Prozent Ohnmachtsanfälle den Großteil dieser Notfälle dar. Rund neun Prozent entfielen auf akute Magen-Darm-Beschwerden und knapp fünf Prozent auf massive Herzanfälle. Darüber hinaus verzeichnet die Untersuchung noch 27 Blinddarmentzündungen, zwei Geburten und 52 Todesfälle. Nun führt kaum ein Arzt bei einer Flugreise seine Einsatztasche mit sich und muss bei einem Notfall, so Dr. Martin Sand, auf die Ausrüstung an Bord zurückgreifen.

    "Der Gesetzgeber schreibt vor, dass eine sogenannte Bordapotheke an Bord sein muss. Und die Vorgaben in diesen gesetzlichen Regelungen sind sehr, für meine Begriffe, lasch formuliert. Insofern haben die Airlines eine sehr große Bandbreite an Möglichkeiten, was sie dem Arzt darin vorhalten."

    Bei großen staatlichen Airlines kann man nach Einschätzung von Martin Sand davon ausgehen, dass diese Bordapotheke alles enthält, was ein Notfallmediziner benötigt, um einen Patienten versorgen zu können. Vom Intubationsbesteck bis zu Sauerstoffgeräten. In den drei Fällen, in denen der Arzt Dr. Peter Berens in Charterfliegern Hilfe leisten musste, hätte er sich eine bessere Ausstattung gewünscht.

    "Es war eigentlich bei allen Dreien lediglich ein Blutmessgerät vorhanden, es war eine Infusion vorhanden mit entsprechendem Infusionsbesteck, es waren verschiedene Schmerzmittel vorhanden – und es war ein Nitrospray für Angina pectoris Beschwerden vorhanden. Das war eigentlich alles."

    Die Studie des Notfallmediziners Martin Sand stellt übrigens unmissverständlich klar: Bei lebensbedrohlichen Notfällen wie einem Herzinfarkt liegt die Entscheidung bei dem Arzt, ob der Pilot umgehend den nächstgelegenen Airport anfliegt, damit der Patient möglichst schnell intensivmedizinisch betreut werden kann.

    "Und das war ungefähr in drei Prozent aller Notfälle der Fall. Und diese Zwischenlandungen sind natürlich auch mit erheblichen logistischen Problemen und finanziellen Problemen verbunden, die aber komplett auf Seite der Airline liegen. Da muss man als Patient nicht Angst haben, dass man in irgendeiner Form in Regress genommen wird."

    Eine Erfahrung, die der Arzt Dr. Peter Berens bestätigt. Er selbst kam nicht umhin, auf dem Rückflug von Ägypten nach Deutschland über Athen eine solche Entscheidung zu treffen.

    "Der Patientin ging es dann immer schlechter. Dann sind wir in Belgrad zwischengelandet."

    Nach der Auswertung der medizinischen Notfälle empfiehlt Martin Sand den Airlines zumindest bei Mittel- und Langstreckenflügen einen halb automatischen Defibrillator an Bord mitzuführen. Ein Gerät, das - wie er betont - von jedem, der einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat, bedient werden kann.

    "Es kann immer bei Patienten, die Probleme mit dem Herzen haben, dazu kommen, dass es zu einem sogenannten Kammerflimmern kommt. Das heißt: das Herz pumpt nicht mehr richtig. Das ist eine lebensbedrohliche Situation und Abhilfe schafft da ein Defibrillator."

    Diese Geräte verfügen über automatische Analysefunktionen bis hin zum Auslesen eines EKG. Und noch eins steht für den Autor der Studie fest: Passagiere, die sich vor und während eines Flugs nicht ausreichend mit Flüssigkeit versorgen, gehen ein gesundheitliches Risiko ein.

    "Weil das auch mit Hauptergebnisse der Untersuchung waren, dass die Synkope, also dieser klassische Ohnmachtsanfall, fast 50 Prozent aller Notfälle an Bord ausmachen. Und mit ein Grund sind Blutdruckregulationsstörungen, die durch Flüssigkeitsmangel hervorgerufen werden können."

    Außerdem gibt der Notfallmediziner zu bedenken:

    "Die Luft an Bord ist extrem trocken, sodass man noch mehr Flüssigkeit auch abatmet mit der Atemluft."

    Doch seitdem viele Fluglinien Getränke nicht mehr gratis anbieten und aus Sicherheitsgründen größere Flüssigkeitsmengen nicht mehr mit an Bord genommen werden dürfen, scheuen viele Passagiere oft vor den Kosten zurück. Zu Lasten der eigenen Gesundheit.