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Arzneien im Abwasser

Jeder Deutsche verbraucht pro Jahr rund 20 Packungen Medikamente - das geht nicht nur ins Geld, sondern schadet auch der Umwelt. Denn dort landen die Arzneireste, die wir Mensch wieder ausscheiden oder auch in den Müll werfen. Birgit Harms über die ökologischen Risiken und Nebenwirkungen von Arzneien.

von Birgit Harms |
    Im Labor des Fraunhofer Institut für Ökotoxikologie. Zwei Aquarien, in beiden die gleichen Fische und trotzdem zwei völlig unterschiedliche Szenarien: In einem Becken ist richtig was los: Hier wird kräftig gebalzt - die männlichen Fische verfärben sich dunkel, jagen die Weibchen. Die suchen sich am Beckenbogen ein Plätzchen zum Ablegen der Eier, die dann wiederum von den männlichen Fischen besamt werden. Im anderen Becken dagegen: Tote Hose. Die Fische dümpeln träge nahe der Wasseroberfläche herum, sie verfärben sich nicht und balzen nicht. Denn: Ihr Wasser ist verunreinigt mit winzigen Spuren des Hormons Ethinylestradiol - das Hormon, das in der Antibabypille steckt. Mit den menschlichen Ausscheidungen kommt das Hormon zunächst ins Abwasser und so schließlich auch in Flüsse und Seen. Christoph Schäfers:

    Weil es nun einmal Stoffe sind, die so gebaut sind, dass sie sich nicht so leicht abbauen sollen, weil sie sonst ja auch im menschlichen Organismus keine Wirkung hätten, führt das dazu, dass eben auch die bakteriellen Populationen in den Kläranlagen mit dem Abbau nicht ganz hinterher kommen und dass immer einiges an Durchschlag in die Vorfluter, in die Gewässer passiert.

    Und schon ein Milliardstel Gramm pro Liter reicht aus, um das Geschlechtsleben der Fische völlig durcheinander zu bringen. Am Beispiel des Pillenhormons zeigt sich besonders drastisch, wie gefährlich Arzneireste im Abwasser für die Natur sein können. Doch das Ehinylestradiol ist längst nicht der einzige Wirkstoff, der in die Umwelt gelangt. Der Bund-Länder-Ausschuss für Chemikaliensicherheit hat jetzt erstmals ein Jahr lang bundesweit nach Arzneirückständen gesucht: Zum Beispiel in Oberflächengewässern wie Flüssen und Seen. Hans-Dieter Stock vom Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen nahm an der Untersuchung teil:

    Was wir vor allen Dingen finden, sind solche Lipidsenker, die sehr häufig eingesetzt werden oder aber auch Antiepileptika, die hier in höheren Konzentrationen eingesetzt werden. Seltener zu finden sind Antibiotika, die mehr konzentriert im Bereich Krankenhausabwässer anzutreffen sind und weniger im Bereich kommunale Kläranlage.

    Außerdem fanden die Umweltdetektive Spuren von Schmerzmitteln, Röntgenkontrastmitteln und Herzmedikamenten. Insgesamt spürten sie in Oberflächengewässern bisher 23 verschiedene Wirkstoffe auf. Wie die Umwelt darauf reagiert, ist noch nicht erforscht. Auch über die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit weiß man kaum etwas. Zwar fand man bisher nur sehr geringe Mengen - sie liegen unter den pharmazeutischen Wirkschwellen - doch aus manchen Oberflächengewässern wird schließlich Trinkwasser gewonnen. Und bisher sind die Wasserwerke nicht dazu verpflichtet, das Trinkwasser auf Arzneimittelrückstände zu untersuchen. Große Wasserwerke tun es heute schon freiwillig, doch die entsprechende Eu-Richtlinie greift erst 2004. Heute kann noch keiner sagen, welche und wie viele Wirkstoffe man in Zukunft noch in Gewässern finden wird. Denn bisher können nur 60 der fast 3000 heutigen Arzneiwirkstoffe überhaupt nachgewiesen werden. Für die Forscher fängt die Sucharbeit also erst an. Gleichzeitig ist es wichtig, schon heute zu verhindern, dass noch mehr Medikamente die Umwelt belasten. Und dazu kann jeder einzelne beitragen, zum Beispiel, indem er alte Medikament auf keinen Fall in den Hausmüll wirft oder noch schlimmeres damit macht. Hans-Dieter Stock:

    Es gibt immer noch den Eintragspfad, dass Tabletten einfach in die Toilette geworfen werden und das ist natürlich das, was einen großen Anteil der Wirkstoffe ausmacht, die in die Kläranlage hineingelangen. Sinnvollerweise sollte man dieses unterlassen und alte Medikamente, die abgelaufen sind, einfach in die Apotheke zurückbringen, damit sie einer geordneten Entsorgung zugeführt werden.

    Zwei Drittel aller deutschen Apotheken haben sich einem Entsorgungssystem angeschlossen und lassen die Arzneireste verbrennen. Landen sie stattdessen über den normalen Hausmüll auf der Deponie, besteht die Gefahr, dass sie über das Sickerwasser in Umwelt gelangen. Wer seinen Medikamentenmüll in der Apotheke abgibt, sorgt außerdem dafür, dass er nicht in falsche Hände gerät - zum Beispiel in die von Kindern.