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Arzneimittelrohstoff vom Acker - Mariendistelernte in Ostfriesland

Natürliche Heilmittel, wie Tabletten, Salben und Tees aus pflanzlichen Rohstoffen verkaufen sich derzeit gut. Die meisten Heilkräuter hierfür stammen allerdings nicht aus angebauten Kulturen, sondern werden oftmals unkontrolliert in der Wildnis gesammelt. Die Folge: In Südost- und Osteuropa, in China und Indien sowie in Afrika droht der "Apotheke Natur" vielfach der Ausverkauf. Viele Wildkräuter sind inzwischen vom Aussterben bedroht. Doch es geht auch anders: An der ostfriesischen Küste werden auf gut 500 Hektar Mariendisteln eigens für die Arzneimittelindustrie angebaut.

von Frank Krippner |
    Nur am Feldrand, wo der Mähbalken nicht hingekommen ist, stehen noch einige Mariendisteln in ganzer Pracht: bis zu zwei Meter hoch mit weiß gefleckten dornigen Blättern und dunkelvioletten Blüten an der Spitze der Stengel. Doch die meisten Blüten sind bereits verwelkt und tragen schon Samenkörner. Bald werden sich die etwa golfballgroßen Kapseln öffnen und der Samen weht an weißen Härchen hängend über den Acker. Landwirt Gisbert Wildfang:

    Das ist das Problem bei der Mariendistel. Dadurch sind wir darauf gekommen, dass wir dann, kurz bevor dieser Zeitpunkt eintritt, die Mariendisteln "in 'nen Schwadt legen". Das heißt, wir haben eine Spezialmaschine entwickelt, mit der wir die Mariendistel mähen, kurz bevor sie den Samen ausstößt.

    Gerade die Samen sollen weiterverarbeitet werden. Vor fünf Tagen wurden die Mariendisteln hier auf diesem Feld gemäht. Jetzt sind sie trocken genug, um eingesammelt und gedroschen zu werden. Im Schneckentempo fährt der Mähdrescher über den Acker. Die dunkelbraunen langen Stengel mit den vertrockneten Blättern und den golfballgroßen Blütenkapseln verschwinden im Schlund der Maschine:

    Ich muss darauf achten, dass ich möglichst das Schneidwerk sehr dicht am Boden halte und dass ich die Mariendistel mit dem Ährenheber etwas anhebe, das heißt, die Vorrichtung, die vor dem Schneidwerk sitzt, und dass ich sie gleichmäßig in den Mähdrescher die Frucht hineinbekomme. Weil sie sehr sperrig ist, muss ich sehr langsam fahren, sonst wird die Maschine überbelastet.

    Geerntet werden ausschließlich die Samen der Mariendistel. Der Rest der Pflanzen fällt hinten aus dem Mähdrescher wieder aufs Feld. 40-50 etwa roggenkorngroße, graubraun bis schwarze Körner stecken in jeder Blütenkapsel. Rund 1 Tonne wird pro Hektar geerntet. Getrocknet und gereinigt werden die Mariendistelsamen an eine Firma in Italien geliefert. Die preßt in einem ersten Schritt das Öl aus den Samen, das beispielsweise in der Kosmetikindustrie verwendet wird. Wertvoller aber noch sind die beim Pressvorgang übriggebliebenen Schalen. Gisbert Wildfang:

    In einem Destillierverfahren wird ein Wirkstoff daraus gewonnen. Und dieser Wirkstoff, der in diesem Kern sitzt, dieser Wirkstoff nennt sich Silymarin. Und dieses Silymarin, das ist der Wirkstoff, worum es geht. Dort wird ein Leber- und Gallenpräparat hergestellt.

    Arzneimittelrohstoff vom ostfriesischen Acker. Die Böden an der Küste sind für die aus Südeuropa stammende Mariendistel besonders geeignet. Auf gut 500 Hektar Stillegungsfläche wächst der nachwachsende Rohstoff in diesem Jahr.

    Der große Vorteil ist bei der Mariendistel, dass wir auf uns auferlegten stillgelegten Flächen diese Frucht anbauen können. Das heißt, wir brauchen dann keine Flächen stillegen, sondern können auf diesen Flächen für die Industrie etwas anbauen. Das macht die Sache lukrativ.

    Eine Gemeinschaft von rund 30 Landwirten baut die Disteln für die italienische Arzneimittelfirma an. Dabei ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Tabu, da sich diese sonst auch im Leber-Medikament wiederfinden könnten. Die Abnahmeverträge für die Mariendistelsamen müssen die Landwirte jedes Jahr neu abschließen:

    Das ist ein schwieriges Geschäft. Verträge müssen immer neu ausgehandelt werden. Und die kriegt man immer sehr spärlich. Das Problem ist, dass sich die Industrie nicht längerfristig bindet. Die Industrie legt sich nicht langfristig fest.

    Auch nach den Erfahrungen der Landwirtschaftskammer ist es für die Bauern sehr schwierig, Abnahmeverträge für Arzneipflanzen zu bekommen. Obwohl nicht nur die Mariendistel in Deutschland mit Erfolg angebaut werden kann. Reent Martens von der Landwirtschaftskammer Weser-Ems:

    Interessant sein könnte für unsere Region zum einen mal Calendula, die Ringelblume. Jeder kennt auch sicherlich die Ringelblumensalbe zum Hautschutz usw. Zum anderen sind sicherlich auch Pflanzen wie Johanniskraut oder Echinacea interessant. Aber wie gesagt, hier ist es auch sehr sehr wichtig, einen kompetenten Abnehmer zu haben, um es großflächig machen zu können.