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Aserbaidschan vor Europa-League-Finale
"Kein wahres europäisches Land"

Aserbaidschan und sportliche Großereignisse, das ist seit Jahren eine innige Beziehung: 2015 die Europaspiele, das jährliche Formel-eins-Rennen und Ende Mai das Endspiel der Europaliga. Aktivisten beklagen indes eklatante Menschenrechtsverletzungen.

Von Robert Kempe | 28.04.2019
Rote Ballons steigen in den Himmel über dem Stadion in Baku/Aserbaidschan während der Eröffnungsfeier der Europaspiele
Szene aus der Eröffnungsfeier der Europaspiele in Baku 2015 (picture-alliance / dpa / Bernd Thissen)
Es gibt keine Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Aserbaidschan. Dafür Einschüchterungen und Verhaftungen von Andersdenkenden. Ilgar Mammadov erfuhr dies am eigenen Leib. Der führende Oppositionspolitiker saß fast 6 Jahre im Gefängnis und war der bekannteste Häftling des Landes. Letztes Jahr kam er frei. Er sagt:
"Wir leben nicht in einem wahren europäischen Land, wo Menschenrechte respektiert werden, wo Meinungsfreiheit respektiert wird und die Institutionen demokratisch arbeiten. Das ist etwas, was uns zu einem der schlechtesten Beispiele auf der ganzen Welt macht, wenn es darum geht, Prinzipien, die europäische Demokratien ausmachen, zu respektieren. Also kann in keinem Fall irgendeine Sportveranstaltung, die in Baku stattfindet, wirklich 'europäisch' genannt werden."
Der aserbaidschanische Oppositionspolitiker Ilgar Mammadov
Der aserbaidschanische Oppositionspolitiker Ilgar Mammadov (imago/Pacific Press Agency)
2013 wurde Mammadov verhaftet. Kurz nachdem er angekündigt hatte, gegen den amtierenden Präsidenten Ilham Alijew anzutreten. Das Urteil: sieben Jahre Gefängnis. Der Vorwurf: Anstiftung zur Massenaufruhr. Doch sein Verfahren war politisch motiviert, zu diesem Schluss kam auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Mammadov wurde seine Regierungskritik zum Verhängnis.
"Es war ein erfundener Fall, und das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zweimal bestätigt," sagt Mammadov. "In Wahrheit war es mit den Präsidentenwahlen 2013 verbunden, bei denen ich als Kandidat antreten wollte. Durch meine Inhaftierung ging dies nicht mehr. Und kurz vor meiner Freilassung, weniger als sechs Monate davor, gab es in Aserbaidschan vorgezogene Neuwahlen. An denen konnte ich also auch nicht teilnehmen."
Eine Familien-Autokratie
Seit 2003 regiert Ilham Alijew das Land mit harter Hand. Seine Frau hat er seit einer Verfassungsänderung zu seiner Vizepräsidentin gemacht. Das Land sei also eine Familienautokratie, für die der Sport längst Kalkül ist, sagt Rasul Jafarov, einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten in Aserbaidschan:
"Alle TV-Sender, alle Nachrichtenprogramme und alle Radiostationen reden über diese Veranstaltungen. Und die Nachricht ist: Großartig, dass wir diese Events hier in Aserbaidschan haben. Das ist die Leistung und der Erfolg der Regierung und so weiter. So werden sie präsentiert. Und ich gehe davon aus, dass auch die aserbaidschanischen Repräsentanten in den internationalen Organisationen dies als Argument aufgreifen: Wir haben diese Veranstaltungen im Land, also sind wir auf einem richtigen Weg. Wir folgen der Demokratie und sind in einer Art Mitglied der europäischen Familie."
"Wenigstens über die Probleme reden"
Der Sport, ein Kollaborateur eines autokratischen Regimes? Laut Jafarov gibt es in Aserbaidschan noch mindestens 70 politische Gefangene. Auf deren Schicksal will man rund um das Finalspiel der Europaliga verstärkt hinweisen. Und Jafarov nimmt auch den Europäischen Fußballverband UEFA in die Pflicht. Der hatte sich mit dem Europarat darauf verständigt, die Menschenrechte stärker zu schützen.
"Wir erwarten, dass sie einfach ihren eigenen Werten folgen. Ihren eigenen Erklärungen und Dokumenten. Und wenigsten - wenigstens - über die Probleme mit der aserbaidschanischen Regierung reden", sagt Javarov. "Denn wir wissen, dass sie nicht nur Fußballfunktionäre treffen werden, sondern auch den Innen- und den Außenminister. Und dort, das ist meine Meinung, können und müssen sie die Menschenrechte klar in den Gesprächen mit der Regierung thematisieren."
"Fortschritt hat nicht mit dem Sport zu tun"
Für die UEFA ist Aserbaidschan vor allem ein guter Geschäftspartner. Baku ist auch Spielort der Euro 2020. Der staatliche Ölkonzern Aserbaidschans "Socar" ist bis 2022 weiter Sponsor des Verbandes. Trotz schlechter Wirtschaftslage im Land lässt sich Alijew seine Lobbyarbeit im Sport einiges kosten. Beim aserbaidschanischen Volk kommt derweil wenig an, sagt Ilgar Mammadov:
"Die Sportveranstaltungen symbolisieren keinen Fortschritt in Aserbaidschan und versprechen auch keinen. Wenn es irgendeine Entwicklung gegeben hat bezüglich der Menschenrechte und der Demokratie in der Vergangenheit, irgendein Fortschritt, hat dies nicht mit dem Sport zu tun."