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Assoziativ vernetzte Prosatexte

In diesem Frühjahr erschien posthum das Buch der jungen österreichischen Autorin Paula Köhlmeier ,"Maramaba" im Zsolnay-Verlag. Eine Sammlung von assoziativ vernetzten Prosatexten, die in ihrem Heimatland Österreich große Aufmerksamkeit erregt hat. Der Erfolg ist doppelt begründet. Zum einen durch die tragische Lebensgeschichte. Paula Köhlmeier ist im August 2003 im Alter von 21 Jahren bei einer harmlosen Wanderung auf dem Berg vor ihrem Vorarlberger Elternhaus tödlich verunglückt. Zum anderen aber - und erst das legitimiert die Publikation und Rezeption dieses Buchs, durch die unbezweifelbare Qualität der Texte. Paula Köhlmeier stand vor dem literarischen Durchbruch und hatte unter allerlei Pseudonymen Preise gewonnen.

Von Eva Schobel | 04.05.2005
    Unter Pseudonymen deshalb, weil sie als Tochter des bekannten Schriftstellerehepaars Monika Helfer und Michael Köhlmeier bei den Ausscheidungen weder bevorzugt noch benachteiligt werden wollte.

    Michael Köhlmeier ist passionierter und produktiver Erzähler, der u.a. durch seine Adaptierung historischer, mythologischer und biblischer Stoffe populär geworden ist. Erwähnt seien seine Romane "Telemach" (Piper 1995) " Kalypso" (Piper 1997), Geschichten von der Bibel (Piper 2000). Zuletzt erschien "Roman von Montag bis Freitag", Geschichten aus dem Alltagsleben seiner Familie, den er seiner Tochter Paula gewidmet hat (Deuticke 2004).

    Monika Helfer schreibt in sparsamer Sprache Romane, Hörspiele und wie ihre Tochter in "Maramba" meint "Kinderbücher für Erwachsene". Mit ihrem Roman "mein Mörder" (Piper 1999), einer von jugendlicher Gewalt handelnden Familiengeschichte, hat sie beim Bachmannpreis viel Lob, aber keinen Preis geerntet. Ihr Buch "Rosie in New York" (NP-Buchverlag 2002), wurde 2003 mit dem österreichischen Kinderbuchpreis ausgezeichnet.

    Eva Schobel hat Monika Helfer und Michael Köhlmeier in ihrem Haus in Hohenems besucht und ein persönliches Porträt ihrer Tochter Paula gestaltet. Hören sie zuerst die Autorin bei einer Lesung nach der Entgegennahme des Vorarlberger Literaturstipendiums 2001.

    " Wir fuhren mit dem Rad durch Wien ... ich saß so, damit ich die Menschen auf den Straßen an mir vorbeiflitzen sah .... der Mann ist mit Rennen beschäftigt. "

    Paula Köhlmeier war ein Multitalent. Sie hat erzählt, sobald sie reden konnte und geschrieben, seit sie schreiben konnte. Sie stand schon als Kind auf der Bühne des Vorarlberger Landestheaters, sie hat in den Hörspielen ihrer Mutter, Monika Helfer gesprochen und schließlich auf der Filmakademie in Wien studiert. Am liebsten wollte sie einmal wie Woody Allen alles machen: Drehbuch, Regie und Schauspiel. Aber das Schreiben, war ihr immer das Wichtigste. Nicht als Berufsbild, wie ihre Eltern sagen, sondern als Existenzform. Paula Köhlmeier hat Menschen genau beobachtet, sie hat ihnen ins Gesicht gesehen, sie "fotografiert" und unter die Lupe genommen. Sie war hinter den Geschichten dieser Menschen her und hat ihre eigene Geschichte verfremdet. Ihre Lebenswelt ist die einer jungen Erwachsenen, die sich zu orientieren versucht. "Es ist schwer zu verstehen, dass das Kind irgendwann abfällt wie ein Mantel, der zu klein geworden ist" , schreibt sie. Oder "Ich bin der Thunfisch in der Pralinenschachtel". Oder "Die Langweile ist ein schwarzer Käfer, der Löcher durch die Körper frisst". Sätze wie Fremdkörper, die in jeder Geschichte Paula Köhlmeiers stehen könnten.

    " Das hat sie mir einmal gesagt. ... Wieso hab ich das jetzt geschrieben? ...Wenn ich schreibe bin ich gescheiter als wenn ich lese. Bei den besten Geschichten ist dieses Erstaunen dieses eigene immer wieder da gewesen. Wenn sie anruft ... weil ich selber so erstaunt drüber bin. ... dann get dieser Schein weg, dieses das bin ich. "

    " Vor dem Flex setzen wir uns an einen Tisch ..... Ich war die angeschossene Heldin in der ketchupfarbenen Blutlache. "

    Paula Köhlmeiers Buch hätte ursprünglich "Die Heldin in der ketchupfarbenen Blutlache" heißen sollen. Nach ihrem Tod eine problematische Bezeichnung. Für den nun posthum erschienenen Band ihrer Tochter haben die Eltern den geheimnisvollen Titel "Maramba" gewählt. "Die Geschlossenheit eines Romans entsprach nicht ihrem Lebensgefühl" schreiben sie im Nachwort und doch korrespondieren die Texte des Bandes miteinander. Es sind atmosphärisch dichte, sprachlich präzise, zart rebellische Prosastücke voll Alltagpoesie, die in Vorarlberg, in Wien und in Mexiko spielen, wo Paula Köhlmeier acht Monate verbracht hat. Nichts ist nicht wert beschrieben zu werden, alles ist poesiewürdig. Ein vergifteter Hund, ein Elefant aus Glas, ein Kaugummi, eine Tasse Kaffee, ein Spiegel, karges Land mit Mangobäumen, ein Wort. "Maramba" heißt es da, ist ein Gefühl. Ein Gefühl, das nur er hat. Er, der das Wort ausspricht, sagt es zu seiner neuen Freundin, die es vergeblich im Lexikon sucht. Er sagt es, solange er verliebt ist und das Wort wird für sie zu einem Zauber. Er will das Wort nicht erklären müssen. Er will nicht, dass sie das Wort interpretiert. Schon gar nicht später, als er nicht mehr verliebt ist und sie verlässt. Da zeichnet er einen Zug auf Schienen. Einen Zug der von ihr davon fährt. So bleibt sie mit dem Wort zurück, legt seine Zeichnung ins Eisfach, schreibt eine Geschichte, die "Maramba" heißt und wird eine erfolgreiche Autorin.

    " Ich muss noch etwas sagen --- (was Du vorher gesagt hast/RAUS) dass sie in jeder Situation geschrieben hat, außer in einer, wenn alles vorbereitet war zum Schreiben. Computer - ihr Gerät. Unsentimentales Verhältnis zum Schreibgerät. Schönes Buch zu reinschreiben. Nix, ...... als sie umgezogen ist ........ mitten unter den Kartons ................Existenzform für die man sich nicht verkleiden muss. Greift was man hat, schreibt auf dem was weiß ist schwarz drauf, fertig. "

    Es sind offene Geschichten, die Paula Köhlmeier schreibt, Geschichten die sich die Spontaneität des Entwurfs erhalten haben. Lakonische Geschichten, fragmentarische Geschichten, die lieber weniger als zu viel erzählen. Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind, ohne dieses Leben je eins zu eins wieder zu geben. Schräg wird die Wirklichkeit angegangen, die Wahrheit hinter der Wirklichkeit gesucht, direkte Rückschlüsse von der Autorin auf die Protagonistin, die Rutha heißt, werden unterlaufen.

    Der Name Rutha ist übrigens der Kinderbuchreihe ihrer Mutter, um das Mädchen Rosie entnommen. Dort ist Rutha eine kleine Holzpuppe, die sich einem Menschen anverwandeln kann und Rosie bei Bedarf zu Hilfe eilt. Auch die lebendige Figur Rutha eilt der Autorin Paula zu Hilfe. Sie ist ihr alter ego und mehr. Sie ist ihre Potenzialität, ihr Schatten ihre Doppelgängerin. Am nächsten sind sich die beiden in den deutlich autobiographischen Mexikogeschichten. Am allernächsten in der vielleicht besten Erzählung des Bandes, die "Pablo" heißt. Rutha lernt den Mexikaner Pablo, der kleine Glas-Elephanten an Touristen verkauft in einem Café kennen. Als er begreift, dass sie Deutsch spricht, bittet er sie um Hilfe: "Sie können mein Leben retten". Rutha begleitet Pablo bereitwillig den langen Weg durch die mexikanische Nachmittagssonne bis zu seinem ärmlichen Heim und bekommt einen auf deutsch verfassten Vertrag vorgelegt, den zwei fröhliche Fremde hinterlassen haben. Die zwei Deutschen wollen das einzige kaufen, das die Familie besitzt, ihr Land mit Mangobäumen. Rutha liest den Vertrag, aber sie versteht den Sinn der Worte nicht "es könnte genauso gut Spanisch sein". Gern hätte sie der Familie geholfen, sie weiß aber nicht wie. Der letzte Satz des Vertrages der die brutale Konsequenz einer kapitalistischen Übernahme enthält, lässt sie allerdings aufhorchen: " Gerichtsstand ist München".

    Paula Köhlmeier, erzählen die Eltern, war kurz nach ihrem Schulabschluß in Kalifornien, aber das Leben der Reichen in gut befestigten Villen, hat sie nicht interessiert. So zog sie nach Mexiko weiter.

    OT: Es waren zwei Symbole, die sie betreten hat ... prägend ... Bestätigung für das was sie immer gedacht hat .... durch Wien genauso wie durch Wien, Vorarlberg oder Hohenems oder in manchen Auseinanderseztzungen, durch die Familie ... jetzt schaut sie mich an, als ob ich zu Los Angeles gehöre. / Also sie schreibt diese Geschichte über diese Mexikaner und fragt, was repräsentiere ich, denn sie will ja auch nicht Los Angeles sein, das war ihr ein Problem, Sie will ja auch nicht Los Angeles sein, sie weiß aber genau, dass sie nicht zu den andern gehört, also wie kann sie klar machen, dass sie nicht Los Angeles ist (ATEM wegscheiden)

    MOD: Nach ihrem achtmonatigem Aufenthalt in Mexiko kehrte Paula Köhlmeier nach Österreich zurück und begann auf der Filmakademie zu studieren. Sie schrieb weiter, stellte die Texte für ihr erstes Buch zusammen und wurde vom Vorarlberger Landestudio eingeladen, ein Jahr lang, jedes Monat eine ihrer Geschichten zu lesen. Sie fragte ihre Eltern: "wann ist man eine Schriftstellerin" und antwortete sich selbst " sobald man davon leben kann". Am nächsten Tag spazierte sie wie so oft mit einer Freundin auf den Schloßberg. Sie gingen über den Bergkamm und stürzten ab. Die Freundin kam mit leichten Verletzungen davon, Paula Köhlmeier starb am nächsten Tag im Krankenhaus.

    OT: Sie hat einmal zu mir gesagt, eigentlich denkt sie ... den ganzen Tag ut an schreiben. Und sie hat es irrsinnig gerne gemacht, sie hat es unheimlich gerne gemacht zu schreiben, ja.