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Assoziierungsabkommen
"Russland möchte das alte Imperium wieder errichten"

Der Druck Russlands sei schuld, dass Ukraines Präsident dem fertig verhandelten Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zugestimmt habe, sagt der Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU). Angesichts der Demonstrationen sei zu hoffen, dass Janukowitsch mit vorgezogenen Präsidentschaftswahlen den Weg nach Europa freimache.

Elmar Brok im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 02.12.2013
    Der ukrainischen Präsident Viktor Janukowitsch steht flankiert von zwei blau-gelben Fahnen an einem Rednerpult.
    Viktor Janukowitsch spricht beim Unabhängikeitstag (picture-alliance/dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Ob Viktor Janukowitsch damit gerechnet hat, was er auslöst mit seiner Weigerung, den Assoziierungsvertrag mit der EU zu unterzeichnen und sich wieder stärker Moskau zuzuwenden – wir wissen es nicht. Fest steht: Zehntausende Ukrainer wollen sich damit nicht abfinden, sie wollen keine Abkehr vom Westen und gehen auf die Straße. Unverhältnismäßige Polizeigewalt tat ihr übriges hinzu. Das Ergebnis: Hunderttausend waren gestern auf der Straße, um gegen Janukowitsch zu demonstrieren. Es handelte sich um die größten Proteste seit der Orangenen Revolution von 2004.
    Mitgehört hat Elmar Brok von der CDU, er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments. Schönen guten Morgen, Herr Brok.
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Brok, hat die EU dazu beigetragen, die Ukraine ins Chaos zu stürzen?
    Brok: Nun nicht. Wir haben einen Assoziierungs- und Freihandelsvertrag ausgehandelt, der seit über einem Jahr paraphiert ist, der auf dem Tisch liegt und der in Vilnius unterschriftsfertig dort lag. Gleichzeitig gab es Angebote, den vorzeitig anzuwenden, unterstützend tätig zu sein beim Internationalen Währungsfonds und anderen Stellen, dass entsprechende Geldzahlungen möglich sind, damit die Ukraine über ihre Schuldenfrage hinwegkommt.
    Heckmann: Die EU hat ein Abkommen angeboten. Gleichzeitig hat sie Kiew aber praktisch und faktisch gezwungen, sich zu entscheiden zwischen einer Westöffnung oder einer stärkeren Anlehnung an Moskau. Das sagen jedenfalls die Kritiker.
    Brok: Ja. Das ist die Entscheidung, dass man nicht Mitglied einer Freihandelszone der Europäischen Union und der Zollunion mit Russland sein kann. Das ist völlig klar, das geht rein technisch schon nicht. Gleichzeitig hat man angeboten gehabt, dass es bestimmte Bereiche gibt, die geregelt werden können, damit die Handelsbeziehungen mit Russland nicht gefährdet sind. Dafür gab es die Voraussetzungen, die bearbeitet waren, die erledigt waren, die Janukowitsch wusste. Es ist ganz offensichtlich ein anderer Grund, nämlich der Druck Russlands, der zu einem erheblichen Einbruch von Handel geführt hat, ein willkürlicher, rechtswidriger Druck, und auch der Druck mit den Energiepreisen. Hier hat Russland eine harte Arbeit geleistet und hat Ähnliches erreicht wie gegenüber Armenien, wo man das mit anderen Instrumenten der Sicherheitspolitik gemacht hat, und Russland schlägt jetzt zurück, Russland möchte das alte Imperium wieder errichten und deswegen dürfen die Länder sich nicht falsch entscheiden.
    Heckmann: Das heißt, die Verantwortung für die Entwicklung liegt aus Ihrer Sicht in Moskau und bei Viktor Janukowitsch, dem Präsidenten der Ukraine?
    Janukowitsch hatte EU-Angebot akzeptiert
    Brok: Das ist eindeutig so. Ich habe selbst mit Viktor Janukowitsch vor vier, fünf Wochen noch zwei Stunden lang gesprochen. Diese Begründung, die er jetzt gibt, ist damals nicht auf dem Tisch gewesen. Unser Angebot war völlig fertig und es war von ihm akzeptiert worden. Wir hatten nur einige Bedingungen, die mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hatten, mit Wahlrecht zu tun haben, weil europäische Perspektive natürlich bedeutet: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
    Heckmann: Das sehen namhafte SPD-Politiker ein bisschen anders, dass da die Europäische Union alles richtig gemacht habe: Martin Schulz zum Beispiel, der Präsident des EU-Parlaments. Der hat bei uns im Deutschlandfunk gesagt, die Hilfsbereitschaft der Europäischen Union war einfach mangelhaft ausgeprägt, von Russland war mehr Hilfe zu erwarten als von Brüssel. Und Günter Verheugen, der ehemalige Erweiterungskommissar, der sprach hier im Deutschlandfunk ebenfalls von klaren Fehlern:
    O-Ton Günter Verheugen: "Der erste Fehler ist, dass man in Wahrheit nicht eine klare europäische Perspektive für dieses Land eröffnet hat, sich um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu bewerben. Und der zweite Punkt ist natürlich, dass die ungeheuere Komplexität dieses Landes nicht verstanden worden ist, welchem Druck die Ukraine von außen ausgesetzt ist, dass der Eindruck entstand, wir sind hier in einem Tauziehen zwischen Russland und der Europäischen Union. Ich meine damit die konservative Fraktion im Europäischen Parlament, aber eben auch konservative Kreise hier in der Bundesrepublik bis hin zur Bundeskanzlerin."
    Heckmann: Soweit der ehemalige Erweiterungskommissar Günter Verheugen bei uns im Deutschlandfunk. – Herr Brok, war das also ein Fehler, der Ukraine nicht wirklich eine Beitrittsperspektive zu eröffnen?
    Brok: Erstens: Die Komplexität war wohl verstanden worden. Das hat mit Ost- und Westukraine und vielen anderen Dingen zu tun. Dies haben wir zigmal besprochen, dafür waren Wege gefunden, und wir sehen ja auch jetzt an den Demonstrationen, welches Maß an hoher Bereitschaft in der Bevölkerung vorhanden ist. Die Bevölkerung hält den Kurs der Europäischen Union in weiten Bereichen für völlig richtig, sie sehen sich von Janukowitsch betrogen.
    Das konkrete Angebot der Mitgliedschaft zu machen, darum ging es gar nicht, und ich glaube nicht, dass wir jetzt einfach sagen können, wir machen die ganze Nachbarschaftspolitik so, dass von Aserbaidschan bis Weißrussland alle Mitglieder der Europäischen Union werden. Ich glaube, da müssen wir andere Wege der Zusammenarbeit finden, wobei dieser Assoziierungsvertrag ja ein wichtiger Punkt war, diese Länder näher an den europäischen Binnenmarkt, näher an die europäische Politik heranzuführen.
    Heckmann: Aber Günter Verheugen hat gesagt, die Ukraine hätte einen Anspruch darauf gehabt, dass dieses Angebot erteilt wird, denn laut EU-Vertrag hätten alle Länder, die in Europa liegen, eben auch die Chance verdient, der Europäischen Union beizutreten.
    Brok: Ich glaube, Günter Verheugen übertreibt da mal wieder. Natürlich kann jedes Land einen Antrag stellen. Dies ist übrigens auch ihnen ausdrücklich gesagt worden, dass sie das Recht haben, einen Antrag zu stellen. Aber die Ukraine hat noch nicht lange die Verhandlungsfreiheit. Sie kann noch nicht mal Kandidaten benennen, weil die Voraussetzungen dafür nicht da sind. Deswegen ist dieser Assoziierungsvertrag und Freihandelsvertrag ein wichtiger Schritt in eine solche Richtung gewesen, wenn man ihn gehen würde. Ich glaube, Günter Verheugen ist etwas Erweiterungsfetischist.
    Timoschenko hat bei Janukowitsch keine Rolle gespielt
    Heckmann: Günter Verheugen ein Erweiterungsfetischist, sagen Sie, Herr Brok. Er hat noch was anderes hier im Deutschlandfunk gesagt, nämlich: '"Die Bundesregierung und damit die Bundeskanzlerin habe aus parteitaktischen Gründen die Freilassung von Julia Timoschenko zur Bedingung für den Abschluss dieses Abkommens gemacht." Wollte man die Ukraine in Wirklichkeit gar nicht?
    Brok: Die Entscheidung, Timoschenko ja oder nein, hat bei Janukowitsch keine Rolle gespielt. Gerade dieses Thema ist mit Janukowitsch zigmal besprochen worden, auch von mir selbst, und es sind von ihm Zusagen gemacht worden, dass rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, die ja auch wenige Tage vorher im ukrainischen Parlament zur Abstimmung standen, dass Gefangene aus humanitären Gründen ins Ausland zur Behandlung gehen können. Übrigens ist dies die überragende Auffassung nicht nur der EVP oder der CDU im Europäischen Parlament oder im Ministerrat, dass die Fragen der selektiven Justiz ein entscheidender Punkt ist, neben der Rechtsstaatlichkeit insgesamt, dem Amt des Generalstaatsanwalts, des Wahlrechts und so weiter. Dies ist eine einstimmige Position des Außenministerrats gewesen. Das ist eine Mehrheit des Europäischen Parlaments, die 80 Prozent des Parlaments ausmachte. Es sollte Günter Verheugen nicht solche Legenden jetzt in die Welt hineinsetzen. Er ist offensichtlich nicht mehr auf dem Laufenden.
    Heckmann: Glauben Sie denn, dass die Freilassung, die Überstellung von Julia Timoschenko nach Deutschland jetzt noch kommen wird?
    Brok: Das wird sicherlich immer schwieriger werden. Aber ich hoffe, dass diese Gesichtspunkte eines humanitären Verhaltens weiterhin Gültigkeit haben sollten, wir werden dort sicherlich auch ein Urteil haben des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes im Frühjahr auf dieser Grundlage, und dass auf dieser Grundlage wir einen solchen Justizfall, der ja mit rechtsstaatlichen Methoden relativ wenig zu tun hat, dieses in Ordnung gebracht werden kann, und das würde die Dinge auch erleichtern, es voranzubringen. Aber es war doch völlig klar, auch vor Vilnius, dass Timoschenko nicht mehr Bedingung war. Julia Timoschenko hat auch selbst gesagt, man soll unterschreiben, auch wenn sie im Gefängnis verbleibe. Von daher ist auch klar, dass dieses Argument nicht existiert.
    Elmar Brok, Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament (CDU)
    Elmar Brok, Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament (CDU) (Deutschlandradio / Bettina Straub)
    Heckmann: Die Opposition fordert den Rücktritt des Präsidenten Janukowitsch. Denken Sie, dass der kommen wird, und wäre das so gut für das Land? Wäre er überhaupt noch ein glaubwürdiger Verhandlungspartner für die Europäische Union?
    Brok: Das war in Vilnius der Eindruck, dass er nicht glaubwürdig ist, dass er nicht fair spielt, dass er die Europäische Union und Russland versucht, gegeneinander auszutarieren, um auf dieser Grundlage dort hinzugehen, wo er das meiste Geld bekommt. Ich hoffe, dass er die Demonstrationen so ernst nimmt und den Weg nach Europa frei macht. Wenn dies mit vorgezogenen Präsidentschaftswahlen verbunden sein könnte, wäre das umso besser.
    Heckmann: Was sollte die EU tun, ihr Angebot noch mal aufbessern möglicherweise?
    Brok: Nein, der Vertrag ist verhandelt, ist ausverhandelt seit über einem Jahr, und er ist paraphiert worden von der Ukraine, und von daher sind die wesentlichen Voraussetzungen dafür geschaffen.
    Heckmann: Bei Elmar Brok klingelt das Telefon im Hintergrund. Deswegen möchten wir auch an dieser Stelle das Gespräch beenden. Herr Brok, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und dass Sie sich die Zeit genommen haben.
    Brok: Ich danke auch. Auf Wiederhören.
    Heckmann: Elmar Brok war das, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.