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Astrochemie
Moleküle mit Spiegelbild im All

Die meisten Biomoleküle sind entweder immer rechtsdrehend oder aber andere immer linksdrehend. Warum das so ist, wussten Wissenschaftler bislang nicht. Unklar ist auch, ob das nur auf der Erde so ist oder überall im All. Jetzt wurden erstmals Moleküle im Weltraum nachgewiesen, die in beiden Varianten vorkommen.

Von Guido Meyer | 15.06.2016
    Ein Modell eines Glucose-Moleküls: schwarze und rote Kugeln an einem silbernen Gestänge
    Ein Modell eines Glucose-Moleküls (imago/stock&people/Science Photo Library)
    Man nehme: zwei Handschuhe. Der eine ist für die linke Hand, der andere für die rechte. Ihr Aufbau ist identisch – eine Handfläche, ein Daumen, vier Finger. Beide Handschuhe sind symmetrisch – aber eben nicht gleich. Der eine ist das Spiegelbild des anderen. Moleküle, deren räumliche Struktur vergleichbare Eigenschaften aufweist, werden als chirale Moleküle bezeichnet.
    "Das Leben hat sich bei chiralen Biomolekülen für jeweils eine Händigkeit entschieden. Und die benutzt es ausschließlich. Praktisch alle Aminosäuren sind linksdrehend. Einige Zuckermoleküle sind immer rechtsdrehend. Die Händigkeit variiert also von Molekül zu Molekül. Aber es gibt für jede Art von Molekül immer nur eine Drehrichtung."
    Der Astrochemiker Brett McGuire vom Nationalen Radioastronomie-Observatorium in Virginia hat sich gefragt, wer den Biomolekülen auf der Erde vorgegeben hat, ob sie Linkshänder oder Rechtshänder werden. War es Zufall? Eine irdische Besonderheit? Oder ist es eine Vorgabe aus den Tiefen des Alls?
    "Vielleicht haben Meteoriten und Kometen die Grundbausteine des Lebens auf die Erde gebracht, die bereits entsprechende Drehrichtungen aufwiesen. Wir wollten aber wissen, woher die organischen Moleküle auf den Meteoriten und Kometen diese Händigkeiten hatten."
    Und so richteten die Forscher das Green Bank Radioteleskop in West Virginia in Richtung Zentrum der Milchstraße, auf das Sternbild Schütze. Dort gibt es eine Wolke aus interstellarem Gas. In dieser Wolke entdeckten die Wissenschaftler das Molekül Propylenoxid.
    "Jedes Molekül wirft einen bestimmten Schatten – so wie Ihre Hand einen Schatten wirft. In diesem Fall können wir den Aufbau eines Moleküls an den Lichtfrequenzen ablesen, die es aussendet oder absorbiert, während es rotiert. Dieses Farbspektrum ist bei jeder Molekülsorte anders. Da wir das Spektrum von Propylenoxid aus dem Labor kennen, konnten wir es mit dem vergleichen, was wir im Sternbild Schütze gefunden haben. Beide sind identisch."
    Aus dem Labor wissen die Astrochemiker auch, dass Propylenoxid immer sowohl rechtsdrehend wie linksdrehend vorkommt. Insofern handele es sich bei dem Fund von Propyplenoxid in dieser Gaswolke um den ersten Nachweis eines chiralen Moleküls außerhalb des Sonnensystems, ergänzt Brandon Carroll vom California Institute of Technology.
    "This is the first time we’ve ever discovered chiral molecules anywhere outside of our solar system.”
    Dummerweise sind die Spektren beider Propylenoxid-Varianten identisch. Somit lässt sich nur sagen, dass Propylenoxid im Sternbild Schütze vorkommt – aber nicht, welche Händigkeit überwiegt.
    "Mit dem Radioteleskop konnten wir nicht feststellen, ob die rechts- oder die linkshändigen Moleküle überwiegen. Wir erwarten, dass sie in etwa zu gleichen Teilen vorkommen. Das können wir aber derzeit noch nicht belegen."
    Sollte es jedoch einen Überschuss bei einer Händigkeit geben, würde dies die Theorie unterstützen, wonach die Händigkeit irdischer Biomoleküle einst durch das Rohmaterial aus dem All vorgegeben wurde.