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Astronomie
Erde und Mond sind doch keine Zwillinge

Forschende rätseln seit Jahren darüber, wie der Mond entstanden sein könnte. Einer gängigen Theorie zufolge raste vor rund 4,5 Milliarden Jahren ein etwa marsgroßer Planet namens Theia in die Protoerde. Aus der gigantischen Kollision soll der Mond hervorgegangen sein. Doch das Modell hat einen Haken.

Von Dagmar Röhrlich | 10.03.2020
Bei der Einschlagtheorie gibt es ein Problem: Den geochemischen Daten zufolge sind Erde und Mond sozusagen eineiige Zwillinge. Von Theia – dem Planeten, der mit der Erde kollidiert sein soll – fehlt jede Spur. Die Frage ist, wie das funktionieren kann. Der Forscher Erick Cano von der University of New Mexico:
"Den Proben der Apollo-Missionen zufolge haben Mond und Erde identische Werte bei den stabilen Sauerstoffisotopen. Das ist wichtig, weil wir davon ausgehen, dass Körper, die an unterschiedlichen Stellen im Sonnensystem entstanden sind, normalerweise bei diesen Isotopen unterschiedliche Verhältnisse aufweisen. Mit diesem Merkmal bestimmen wir beispielsweise die Herkunft von Meteoriten."
Schutthaufen oder Donutteig?
Im Laufe von 50 Jahren ist viel Arbeit in die Lösung des Rätsels um die Sauerstoffisotope gesteckt worden. Denn der klassischen Theorie zufolge wäre die Erde bei der Kollision mit Theia weitgehend intakt geblieben, und der Mond hätte sich aus dem Einschlagsschutt geformt. Doch dann müssten sich Unterschiede in den Sauerstoffisotopen zeigen, es sei denn, Theia und Erde hätten sich in demselben Bereich des Sonnensystems gebildet.
Die andere Möglichkeit wäre, dass die Protoerde und Theia beim Einschlag zu einer donutförmigen Wolke verdampft wären, aus der sich dann Mond und Erde formten. Einigen konnten sich die beiden Lager nicht. Aber nun könnten neue Analysen Bewegung in die Debatte bringen - Analysen, die Erick Cano und seine Kollegen durchgeführt haben:
"Wir haben an den Proben der Apollo-Missionen erneut hochpräzise Messungen der Sauerstoffisotope vorgenommen. Wir haben dabei auch analysiert, aus welchen Bereichen des Mondes diese Proben jeweils wahrscheinlich stammen. Außerdem haben wir Proben untersucht, von denen wir annehmen, dass sie aus dem Erdmantel kommen. Das Ergebnis: Die Mondproben variieren mit Blick auf die Sauerstoffisotope fast dreimal stärker als die irdischen."
Spuren der Erde auf dem Mond
Die Variationen bei den Mondproben ließen sich mit verschiedenen Gesteinsarten auf dem Erdtrabanten korrelieren. Die Werte der Proben, die aus tieferen Bereichen des Mondes stammen sollen, unterscheiden sich am stärksten von denen der Erde.
"Wir schlagen vor, dass die Proben aus den tieferen Bereichen des Mondes wohl am ehesten der Zusammensetzung Theias bei den Sauerstoffisotopen entsprechen."
Die Ergebnisse legen nahe, dass das, was von Theia blieb, nach der Kollision tief in den Mondmantel eingearbeitet wurde. Bei dem Aufprall war jedoch auch eine Atmosphäre aus verdampftem Gestein entstanden. Die begann zu kondensieren, regnete auf den geschmolzenen Mond herab und "verseuchte" ihn sozusagen mit irdischem Material. Das wurde jedoch nicht mehr untergemischt, sondern schwamm in dem langsam erstarrenden lunaren Magmaozean obenauf.
Details sind weiterhin unklar
"Viele der Apollo-Proben entstanden an der Oberfläche und sind deshalb kontaminiert worden. Ihre Isotopensignatur entspricht damit mehr der der Erde und nicht dem richtigen Wert, der sich tiefer im Mondkörper findet."
Die Analysen legen außerdem nahe, dass Theia irgendwo zwischen Erde und Mars entstanden ist. Die Messergebnisse werden die Debatte um die Entstehung des Monds neu befeuern – und diesmal könnten die Anhänger der klassischen Theorie im Vorteil sein: Der Mond wäre dann hauptsächlich aus Theias Schutt entstanden. Was genau passiert ist, werde jedoch Gegenstand weiterer Simulationen sein.