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Astronomiegeschichte in Berlin
Sternenspaziergang durch die Hauptstadt

Großer Stern, Südstern und Sterndamm - Berlin, so scheint es, ist den Sternen nahe. Noch näher aber sind die Berliner dem Mond. Spätestens seit 1896, dank der Vergrößerungen durch das allseits bestaunte längste Linsenfernrohr der Welt.

Von Joachim Dresdner | 14.05.2015
    Illustration - Sterne aus Lichterketten und weitere Lichter hängen am 12.12.2012 in Berlin an den Potsdamer Platz Arkaden. (Wischeffekt durch Langzeitbelichtung.)
    "Und dadurch hat Berlin den Ruhm, einen von acht Planeten entdeckt zu haben." (picture alliance / dpa / Jens Kalaene/dpa)
    Die Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow, sie ist die größte und älteste Volkssternwarte Deutschlands. Vor dem "Abend am Riesenfernrohr" ein banger Blick auf das Regenradar. Der Wetterbericht hat ein Regenband angekündigt, doch das zieht langsamer heran als vorhergesagt. Der Mond, zunehmend, strahlt hell. Im Sternenkranz funkelt der Jupiter.
    "Nach dem Kriegsende gab es ja in Berlin eigentlich nur noch eine Stelle, an der Astronomie betrieben wurde, das war die Treptower Sternwarte", erinnert sich der Berliner Wissenschaftsjournalist Harro Zimmer. "Und ich habe 1946 schon meine ersten Gehschritte als Elfjähriger an der Treptower Sternwarte gemacht. Alles andere war ja zerbombt, zerstört, und da haben wir schon angefangen mit dem großen Fernrohr, was auch damals ächzte und stöhnte eine Mondfinsternis zu beobachten."
    Mit mir sind jüngere wie ältere Besucher in die Sternwarte gekommen, auch Eltern mit ihren Kindern. Zunächst hören wir einen Vortrag über den Mond, der gleich zum Objekt der Begierde werden sollte.
    Währenddessen wird die "Himmelskanone", das längste noch funktionierende Linsenfernrohr der Welt, auf den Erdtrabanten ausgerichtet. Kommandos ertönen. Riesige Zahnräder schwenken die 130 Tonnen schwere Anlage auf die optimale Position. Das große Fernrohr steht unter Denkmalschutz. Die Rekonstruktionsarbeiten begannen 1977, ein Jahr nachdem Dieter B. Herrmann Direktor geworden war. Der Professor behielt den Posten bis 2004 und wohnt bis heute in dem Sternwartengebäude:
    "Damals, als ich hier Direktor wurde, da stand es ja 25 Jahre still und war sozusagen zur Verschrottung freigegeben. Also, es ist uns dann gelungen, das Fernrohr wieder in Betrieb zu nehmen, aber es ist eben ein sehr altes Instrument von 1896 und man braucht eine ganze Menge Personal um das Ding auf irgendein Objekt einzurichten. Eine Person alleine kann das gar nicht machen und es ist auch nicht ganz ungefährlich, da hoch zu klettern."
    Grüppchenwiese betreten die Beobachter den schmalen Metallsteg, der um das Achsgestell herumführt. Abwegig scheint der Begriff "Himmelskanone" nicht. Von der Seite gesehen wirkt das 21 Meter lange, freistehende Rohr so, als wollten die Astronomen den Mond beschießen.
    "Es ist doch ein sehr großes Instrument. Ich habe durch viele Fernrohre in aller Welt geschaut, aber so ein wunderbares Mondbild wie hier an dem Treptower Riesenfernrohr habe ich eigentlich nirgends gesehen. Das ist dann schon faszinierend, wenn sie also einen kleinen Ausschnitt aus dem Mond sehen."

    Das Treptower Riesenfernrohr
    Das Treptower Riesenfernrohr (Joachim Dresdener)
    Einzeln beugen sich die Besucher an das Okular, drehen an der Scharfeinstellung und schauen: in den Mond. Genauer: auf jene scharfkantige Kraterlandschaft, die sich 210-fach vergrößert darstellen lässt.
    Furcht vor dem drohenden Weltende
    Im Frühjahr 1910 standen die Berliner in langen Reihen vor dem Treptower Riesenfernrohr, manche in Furcht vor dem drohenden Weltende: am 19. Mai durchquerte die Erde den riesigen Schweif des Halleyschen Kometen, in dem Forscher kurz zuvor Blausäure nachgewiesen hatten:
    "Also etwas, was normalerweise giftig ist und deshalb war also eine unwahrscheinliche Panik ausgebrochen, durch diese Panik, war natürlich auch gleichzeitig ein riesiges Interesse an dem Kometen entstanden und da Berlin nun eine Sternwarte hatte, war hier der Deibel los. Der Komet selber war kaum zu sehen."
    Von dem langen Flur, der sich dem Eingangsbereich anschließt, mit Schau-Vitrinen astronomischer Gegenstände linkerhand, geht es auf der rechten Seite durch eine weiße Tür in den "Einstein-Saal". Darauf weist eine Tafel hin:
    "In diesem Saal hielt Albert Einstein am 2. Juni 1915 den ersten öffentlichen Berliner Vortrag über die Relativitätstheorie"
    "Ich habe dann vor einigen Jahren einen Pressebericht darüber ausgegraben und wenn ich mir diesen Pressebericht durchlese, dann kommen mir doch Zweifel, ob die Zuhörer diesen Vortrag verstanden haben. Es geht ja die Legende, dass damals, als die Relativitätstheorie veröffentlich wurde, ohnehin nur drei Wissenschaftler die Theorie verstanden haben."
    Folgen wir gedanklich der Spree, die nahe der Treptower Sternwarte stadteinwärts fließt, in Richtung Stadtschloss und Dom. Dann von den "Linden" über die Friedrichstraße in den Stadtbezirk Kreuzberg, dort stand einst die Neue Sternwarte.
    1865 wurde Wilhelm Foerster Sternwartendirektor in Berlin und blieb es bis 1903. Mehr erfahre ich von Karl-Friedrich Hoffmann. Hoffmann ist Vorsitzender jenes Vereins, der am Insulaner in Steglitz die Wilhelm-Foerster-Sternwarte und das dazugehörige Planetarium betreibt.
    "Foerster war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert eine der wichtigsten Figuren in der Berliner Wissenschaft, nicht nur im astronomischen Sektor, sondern, ganz wichtig, auch im Messwesen und Mitgründer der physikalisch-technischen Reichsanstalt, Mitgründer der ‚Urania'. Mitgründer des ‚Schiller-Theaters' übrigens auch und danach haben wir uns dann genannt."
    Die Neue Sternwarte und das Königliche Astronomische Rechen-Institut standen, wie gesagt, in Kreuzberg, in der Nähe von Jüdischem Museum und Halleschem Tor.
    Die Astronomen konnten mit Positionsberechnungen von Himmelskörpern umgehen, deshalb auch wurde dort der Planet Neptun 1846 zum ersten Mal gesichtet, wirft der Treptower Professor Dieter B. Herrmann ein:
    "Und dadurch hat Berlin den Ruhm, einen von acht Planeten entdeckt zu haben, wobei man ja wissen muss: die meisten Planeten sind ja schon in der Antike bekannt gewesen."
    Per Sternwarte gesteuerte Zeitanzeige
    Die Entdeckung war 1846 gelungen, knapp 30 Jahre später wurde Berlin zu einer der ersten Städte, die eine von der Sternwarte gesteuerte Zeitanzeige hatten, wandert nun Karl-Friedrich Hoffmann auf dem Zeitstrahl weiter:
    "Also es gab dann so verschiedene öffentliche Säulen, wie wir sie heute kennen, diese Normaluhren hieß es dann, die wurden tatsächlich an die exakte Messung der Uhr auf der Sternwarte angeschlossen."
    Nicht nur dafür hatte sich Foerster eingesetzt. Er unterstützte die sogenannte Meterkonvention: Im Mai 1875 einigten sich die führenden europäischen Industriestaaten auf einheitliche Normale in den wichtigsten Größen, wie zum Beispiel dem Meter.
    "Letzten Endes ist es die erste große europäische Einigung, ein gemeinsames Messsystem einzuführen, ein gemeinsames Zeitsystem einzuführen."
    Wie Karl-Friedrich Hoffmann zur populären Verbreitung neuer Erkenntnisse und zu wissenschaftlichen Projekten beiträgt, so trug Dieter B. Herrmann die "Urania", die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, ins DDR-Fernsehen. "AHA" hieß seine Sendung. Ungefähr im gleichen Zeitraum sendete Harro Zimmer die RIAS-Weltraumnotizen im Westberliner Hörfunk.
    Harro Zimmer spannt den Bogen von der Entdeckung eines Asteroiden im Sommer 1898 an der Berliner Urania-Sternwarte bis zu dessen "Belandung" im Jahre 2001:
    "Eros spielte ja dann in der Geschichte der Astronomie insofern eine Rolle, da man mit ihm also versuchte die Entfernung zur Sonne, die Parallaxe, genau zu bestimmen. Es war der erste Asteroid, der intensiv mit einer Raumsonde untersucht wurde, ihn umkreiste, sogar auf seiner Oberfläche niederging und nicht etwa zu Bruch, sondern piepte noch eine ganze Weile auf der Oberfläche."
    Das Gebäude der Urania wie auch das Planetarium am Zoo wurden im II. Weltkrieg zerstört. Da war erst mal Schluss mit Astronomie. Der Refraktor in Potsdam ging als Wiedergutmachung nach Russland, der andere, im Planetarium am Zoo, war ziemlich ramponiert. Doch bald standen am Innsbrucker Platz, nahe dem Rathaus Schöneberg ein paar "Straßenastronomen". An die Neuanfänge erinnern Harro Zimmer und Karl-Friedrich Hoffmann:
    "Und haben ‚für 'n Groschen Mond' die Leute mal durchgucken lassen, wenn es klar war. Berliner Beobachtungshimmel, wenn es klar war, war fantastisch. Es gab kein Nebenlicht."
    Im kriegszerstörten Berlin. Schwankungsfreie Beobachtungen vom Trümmerberg. Die Zeit des Wiederaufbaus. Die Sternenfreunde im amerikanischen Sektor von Berlin setzten auf den Bürgermeister von Schöneberg, von dem kam die klare Aussage:
    "Den Berg können sie haben, aber Geld kriegen sie nicht! Gehen Sie bitte mal zum Zahlenlotto. Das heißt, alle, die hier in Berlin kräftig Lotto gespielt haben und sich immer geärgert haben, dass sie eigentlich nie was Richtiges gewonnen haben, hier auf dem Berg haben sie immer gewonnen."
    "Und '48 etwa, als die Spaltung der Stadt auftrat, konzentrierte sich ein großer Teil der Liebhaberastronomen aus Berlin-West hier in Berlin und zwar in der Papestraße, in diesem alten Ruinenkeller und dort wuchs langsam das, was wir als Wilhelm-Foerster-Sternwarte erlebten und dort haben wir dann natürlich 1957 mit der ersten Satellitenbeobachtung begonnen. Wir wussten davon, was kommen würde, allerdings nicht, dass es die Russen waren, die den ersten ‚Sputnik' starten würden."
    Kein eigener Weltraumbahnhof
    Berlin hat keinen Weltraumbahnhof, aber oft zugesehen, oder gar mitgewirkt:
    "Interessant war dann die Radiobeobachtung von Satelliten, vor allem von Starts in Russland. Damals wurde alles noch so über Kurzwelle abgewickelt und mit großer, einfacher Antennentechnik waren wir manchmal schon in der Lage vor dem Start überhaupt zu hören, was in Baikonur vor sich ging. Die Russen haben ja immer emsig über Kurzwelle kommunizieren müssen."
    Und Karl-Friedrich Hoffmann ergänzt: "Für die Amis natürlich ein hervorragender Punkt ganz weit im Osten, der östlichste Punkt, den sie hatten und deswegen haben sie uns auch unterstützt, dass wir Funksignale von den Satelliten, von Sowjetischen natürlich, messen konnten." Übrigens ab 1968 mit offizieller Erlaubnis der Sowjetunion.
    "Schlösser, die im Monde liegen" werden seit der Uraufführung der Berliner Operette "Frau Luna", seit 1899 besungen, seit 1956 wurden sie auch fotografiert, von den Berliner Mondbeobachtern am Insulaner:
    "Und dann haben sie in mühevoller Arbeit, man weiß ja wie das mit dem Wetter in Mitteleuropa ist, den Mond im Fokus des Bamberg-Refraktors in allen Phasen aufgenommen. Also von der schmalsten Sichel zunehmender Mond, bis zur schmalsten Sichel abnehmender Mond, da gibt es so ganz berühmte Stellen auf dem Mond, wo plötzlich eine Wand zu sehen ist, oder ein Tal zu sehen ist, was es sonst nicht zu sehen gibt."
    Keine "Schlösser, die im Monde liegen", aber eine Wand, immerhin. Hoffmann will weiter, nicht nur klassische Astronomie zeigen, so mit Fernrohr oder Refraktor. Von seiner Wilhelm-Foerster Sternwarte aus wollen sie ein Instrument bedienen, "wo man demonstrieren kann, wie Astronomen heute arbeiten, nämlich sie stehen nicht mehr am Fernrohr, sie sitzen irgendwo am Rechner, am Bildschirm und steuern das Instrument über Interne, so machen es die Astronomen ja heute."
    Zum Schluss schaue ich mit Harro Zimmer in seinem Haus in Lichtenrade, am südlichen Stadtrand, nicht auf Sterne, Monde oder Planeten, sondern auf die Raumfahrt. Bis in die 1990er Jahre hinein schilderte Zimmer im Hörfunk sämtliche Mondlandungen:
    "Ohne Internet und ähnliches, war das doch eine tolle Zeit der Radioübermittlung, oder der ersten Fernsehbilder. Ich habe auch eine Zeit lang für die NASA gearbeitet, zum Beispiel in der Viking-Marslandung war ich sozusagen als Consulter tätig, bei beiden Viking-Landungen auf dem Mars."
    Die US-Sonden lieferten vom Mars die ersten Farbbilder und Daten von Bodenproben.
    Berlin ist seit 1700 verknüpft mit großen Namen wie Leibniz, dem Präsidenten der ersten deutschen Wissenschaftsakademie, über den Erdvermesser Bessel oder Encke, Sternwartendirektor, Planetenforscher und Humboldts wissenschaftlicher Berater, Foerster und Archenhold.
    Und obwohl bis auf Neptun hier nicht die sensationellen Beobachtungen gemacht wurden, kann Berlin, sagt Harro Zimmer, auf seine Astronomiegeschichte mit Stolz blicken: "Schauen sie nach Adlershof, wir haben dort das Institut für Planetenforschung, das ist auch Astronomie im besten Sinne des Wortes. Es ist angewandte, praktische Astronomie, die da betrieben wird."