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Asyl für Glaubensflüchtlinge

Religiös Verfolgte wie die Hugenotten oder Waldenser fanden einst in Baden-Württemberg eine neue Heimat: Diese Gruppen, die heute weltweit über eine Million Anhänger haben, hinterließen in Deutschland ihre Spuren: eine Tagung an der Evangelischen Akademie Bad Boll über "Asyl in Württemberg, Waldenser, Hugenotten und Herrenhuter" spürt ihnen nach.

Von Cajo Kutzbach |
    Schon lange vor Luther gab es in Frankreich und Italien Laienbewegungen mit protestantischen Tendenzen, die die Kirche in Frage stellten und deshalb zunehmend verfolgt wurden. Die Geschichte der Waldenser, die später teilweise in Württemberg Aufnahme fanden, geht auf die Armutsbewegung zurück. Der emeritierte Professor Hermann Ehmer leitete 20 Jahre lang das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart:

    "Der bekannteste Vertreter dieser Armutsbewegung ist ja der Franziskus von Assisi. Franziskus von Assisi ist da nicht allein, sondern da gibt es auch diesen Petrus Valdus - wird er genannt - in Lyon, der auf derselben Richtung ist. Nicht diese Kirche, die also mit der Macht verbandelt ist, die lehnt er ab und seine Bemühung ist es zurückzugehen auf das Ursprüngliche, auf das Evangelium, das Jesus verkündet hat."

    Dieser ehemalige Kaufmann gilt als Namensgeber der Waldenser. Auch die Hugenotten, deren Namensursprung unklar ist, pflegten das Bibelstudium. Da die Bibel aber nur in Latein vorlag, wurde sie in die Volkssprache übertragen.

    "Bei den Waldensern finden wir auch Übersetzungen der Bibel in die Volkssprache; genauso, wie es später auch Luther gemacht hat, die Übersetzung in die deutsche Sprache, um es auch dem Einfachen zugänglich zu machen."

    Die Menschen lehnten sich gegen die Kirche auf, die sogar in Lateinisch predigte und in Frankreich auch hoheitliche Aufgaben übernahm. Die Kirche verbietet darauf das Predigen von Laien in der Volkssprache. Ab 1230 werden die Waldenser von der Inquisition verfolgt, können sich aber in Alpentäler zurück ziehen. Doch als im 17. Jahrhundert dort Frankreich und Piemont Grenzstreitigkeiten austragen, geraten die Waldenser hinein. Hermann Ehmer:

    "Daraus resultiert dann letztlich, dass die Waldenser eigentlich ihre Heimat in den Alpentälern, wo sie jahrhundertelang niemand geniert hat, verlieren, dass sie sich zunächst einmal in die Schweiz retten müssen. Und in der Schweiz können sie nicht halten, denn die Schweizer Banker haben ja Verbindungen - natürlich auch an den französischen Königshof - und müssen da ihre Geschäftsverbindungen aufrecht erhalten, sodass sie den Waldensern nahe legen: 'Also bei nächster Gelegenheit verschwindet ihr von hier. Sucht euch etwas Anderes!'"

    Während in Frankreich die Verbindung von Staat und Kirche zum Zentralstaat führte, gab es in Deutschland viele kleine Länder, deren Fürsten den Glauben ihrer Untertanen bestimmten. Außerdem hatte der 30-jährige Krieg die Bevölkerung auf ein Zehntel verringert. Dort gab es also Raum und protestantische Fürsten. Diese hatten bereits mit den Hugenotten gute Erfahrungen gemacht.

    "Die Widerrufung des Ediktes von Nantes von 1598, das ursprünglich die Duldung der Hugenotten in Frankreich bestimmt hat, das ist nun also von Ludwig XIV. widerrufen worden, das gilt nun nicht mehr. Die Hugenotten sollen nun im französischen Reich entweder katholisch werden oder auswandern. Aber das war nun in der Tat eine intellektuelle Elite, die es etwa in Preußen zu einer geachteten Stellung gebracht hat. Und selbstverständlich hat man sich ein Stück weit von den Waldensern, die nun aus ihren Alpentälern kommen, etwas Ähnliches erwartet."

    Hinzu kam, dass protestantische Länder, wie die Schweiz, Niederlande und England Geld für die Ansiedlung der protestantischen Flüchtlinge gaben.

    "Es hat sich ja so etwas, wie eine europäische protestantische Koalition gegen Ludwig XIV., zusammengefunden - unter der Führung des Wilhelm von Oranien und auch des englischen Königs. Und hier mit den Waldensern ist gegenüber Ludwig XIV. auch ein Exempel statuiert worden, dass man gesagt hat: 'Hier, das protestantische Europa hält zusammen, indem es diese von Ludwig XIV. bedrängte Volksgruppe aufnimmt.'"

    Die Bedenken der Lutherischen Landeskirche mussten da zurückstehen. Sie fürchtete, wenn man jetzt diese reformierten, oder zum Calvinismus tendierenden Christen aufnähme, müsse man bald auch andere Glaubensrichtungen zulassen. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen spielte also in erster Linie nicht deren Not eine Rolle, sondern ihr politischer oder wirtschaftlicher Nutzen. In der Oberlausitz gründete Graf von Zinzendorf 1722 den Ort Herrenhut, in dem er Nachkommen der Böhmischen Brüder aus Mähren ansiedelte. Unter seiner Führung entstand daraus eine überkonfessionelle Brüdergemeine. Zinzendorfs sehr romantische Bibelauslegung verhinderte zunächst eine Niederlassung in Württemberg. Erst nach Zinzendorfs Tod kam man sich theologisch näher.

    "Der wichtige Punkt für die Herrenhuter in Württemberg und in Baden ist nun gewesen, dass 1920 das Bad Boll an die Herrenhuter gegangen ist. Das Bad Boll ist seit 1852 - eigentlich muss man sagen - im Privatbesitz der Familie Blumhardt gewesen. Blumhardt der Ältere hat ja hier ein europäisches Seelsorgezentrum aufgebaut, das sein Sohn Christoph Blumhardt fortgeführt hat."

    Als nach dem Krieg der Eiserne Vorhang fiel, wurde Bad Boll das westlichen Zentrum der Herrenhuter - und in ihrem Kurhaus entstand die evangelische Akademie Bad Boll, deren Veranstaltungen das Entstehen der Bundesrepublik mit geprägt haben. Insgesamt haben die einst fremden protestantischen Strömungen die Landeskirche bereichert. Dabei ist das Thema aktuell geblieben. Pfarrerin Susanne Labsch leitet in der Landeskirche Baden den Bereich Mission und Ökumene, der sich um die weltweiten Beziehungen kümmert.

    "Die Diskussion ist bei uns ja jetzt ganz besonders noch einmal angefacht worden durch die Situation der Flüchtlinge aus dem Irak, unter denen ja auch bedrängte oder sogar verfolgte christliche Minderheiten sind. Sie spielt in der aktuellen Diskussion um die Aufnahme der Türkei in die EU und dem dortigen Umgang mit christlichen Minderheiten, sie spielt ganz stark auch in den Konflikten im Iran ein Rolle."

    Auch dass Verfolgte in der Kirche selbst Asyl finden, spielt heute noch eine Rolle:

    "Das sind Gemeinden, die sich dafür einsetzen, dass Menschen deren Bleiberecht oder Duldung ausgelaufen ist, oder die noch kein abgeschlossenes Verfahren haben, nicht abgeschoben werden können. Das tun sie aber meistens zusammen mit Rechtsbeistand. Das Kirchenasyl ist eine alte Form des christlichen Schutzes für Migranten und Flüchtlinge."