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Asylberechtigt in Deutschland

Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Rekrutierung von Kindersoldaten und Mord werden dem Präsidenten der Hutumiliz FDLR, Ignace Murwanashyaka, vorgeworfen. Obwohl Ruanda ihn mit internationalem Haftbefehl sucht, lebt Murwanashyaka unbehelligt in Mannheim und dirigiert seine Truppen im Kongo von Deutschland aus.

Von Simone Schlindwein | 17.10.2009
    Gesang hallt aus der Wellblechhalle mit den Plexiglasfenstern. Mehr als 300 Männer und zwei Frauen sitzen auf Holzbänken, wie in einer Kirche. Mit einem ruandischen Lied begrüßen die entwaffneten Rebellen die UN-Mitarbeiter.

    Das Reintegrationslager Mutobo liegt symbolträchtig am Fuße der Vulkane, die Ruanda vom Kongo trennen. Auf der ruandischen Seite fand 1994 einer der schlimmsten Völkermorde der Geschichte statt: über 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, wurden von Armee und Hutumilizen ermordet. Jetzt herrscht in Ruanda Frieden. Aber jenseits der Vulkane, im Kongo, wüten die Täter weiter - organisiert in der Miliz FDLR, der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas. Ostkongo findet nicht zur Ruhe, über 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Der Demobilisierungsexperte der Weltbank, Harald Hinkel, erklärt die FDLR zum größten Hindernis für den Frieden.

    "Die FDLR ist die größte bewaffnete, fremde Gruppe im Kongo. Sie besetzt bei Weitem das größte Gebiet, hat quasi einen Staat im Staat dort errichtet. Die Präsenz der FDLR ist ein Sicherheitsproblem für beide Staaten. Sie hat mehrfach zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten geführt. Und: Sie begeht jeden Tag kriminelle Akte gegen die kongolesische Bevölkerung. Das heißt, heute ist sie nach wie vor das größte Sicherheitsrisiko für die Region."

    Die UNO will die FDLR zu entwaffnen. Im Rahmen des Entwaffnungs- und Reintegrationsprogramms verfolgt sie verschiedene Strategien, die Kämpfer aus dem Busch zu locken: Flugzettel wurden über dem Dschungel abgeworfen, Radiosendungen ausgestrahlt. Zwei Militäroperationen wurden in diesem Jahr gegen die FDLR unternommen. Dabei haben über 1000 müde Krieger freiwillig ihre Waffen abgegeben. Doch dies sind nur kleine Erfolge, erklärt Bruno Donat von der UNO.

    "Die Schwierigkeit ist die, dass die einfachen Soldaten sich nicht bewegen, solange sie keine Befehle von ihren Anführern bekommen. Wir wissen: Die politischen Führer leben in Europa, in Deutschland. Sie haben starken Einfluss. Das macht unsere Arbeit schwer. Wir haben es hier mit einer illegalen, bewaffneten Miliz im Kongo zu tun, die von Deutschland aus gesteuert wird."

    Deswegen setzt die UNO nun auf die Strategie, an die Spitze der FDLR heranzukommen und ihre Führer aktionsunfähig zu machen. Hinter der Wellblechhalle hockt ein UN-Mitarbeiter mit vier Rebellenoffizieren im Gras. Rang für Rang, Name für Name, Funktion für Funktion geht er mit ihnen die Hierarchie durch: Wer gibt die Befehle? Wer ist für Finanzen, Strategien, Ideologie zuständig? Nur zögerlich antworten die Männer. Die Angst sitzt tief: Einige haben Morddrohungen erhalten. Sie wollen ihre Namen nicht nennen, denn der FDLR-Präsident, Ignace Murwanashyaka in Deutschland, verfolge, was die Medien berichten. Ein ehemaliger Major der FDLR erklärt:

    "Die FDLR hat einen politischen und einen militärischen Flügel. Murwanashyaka ist Chef des politischen Flügels, aber er hat auch die Hoheit über das Militär. Der oberste General der Streitkräfte, Sylvestre Mudacumura, ist sein treuer Untergebener und guter Freund von ihm. Ich habe die beiden beobachtet, als Murwanashyaka im Kongo seine Truppen besuchte. Er wird von ihm verehrt und respektiert. Er wird wie ein Staatsoberhaupt sogar von einer 30-köpfigen Leibgarde begleitet."

    Die UNO hat die Verbindungen zwischen Murwanashyakas Festnetztelefon in Mannheim und Mudacumuras Satellitentelefon im Kongo entschlüsselt. Diese bezeugen: Die beiden telefonieren regelmäßig. Zwischen Dezember 2008 und März 2009 sind über 40 Gespräche verzeichnet. Die Anrufe wurden häufiger, wenn sich die FDLR in einer desolaten Lage befand, wie während der Militäroperationen. Dies bestätigt der ehemalige FDLR-General, Paul Rwarakabije. Er war bis 2003 der Oberbefehlshaber der FDLR, Mudacumuras Vorgänger.

    "Wenn die Situation schwierig war, dann haben wir alle drei Tage miteinander gesprochen, sonst einmal die Woche. Ich musste ihm die Situation schildern. Er hat mich über die politischen Ziele informiert, seine Ideen geäußert, die ich dann militärisch umsetzen musste. Meistens kommunizierten wir per Satellitentelefon oder per Funk bis nach Brazzaville und von dort aus per E-Mail."

    Dass die politische Führung in Deutschland lebt, hat seine Gründe. Es sind praktische Gründe: Murwanashayaka veröffentlicht Pressemitteilungen problemlos im Internet und verbreitet die rassistische Propaganda der Hutumiliz gegen die Tutsiregierung in Ruanda. Als Ruandas Präsident Paul Kagame im vergangenen Jahr Deutschland besuchte, schrieb Murwanashyaka offene Briefe an Bundespräsident Horst Köhler. Doch es gibt auch politische Gründe, sagt ein FDLR-Kader, der in Murwanashyakas Exekutiv-Büro im Kongo arbeitet.

    "Wenn er im Radio spricht, beispielsweise auf BBC, dann haben die Kommandeure im Dschungel das Gefühl, dass er unsere Gründe erklärt, damit uns die Welt versteht. Wir haben erkannt, dass alle wichtigen Entscheidungen über Afrika in Europa getroffen werden. Murwanashyaka macht den Eindruck, dass er sich dort für uns einsetzt. Das ermutigt die Militärs im Kongo, auszuharren, da bald bessere Tage bevorstehen."

    Dass Murwanashyaka von Deutschland aus operieren darf, stößt in Ruanda auf Unverständnis. Im vergangenen Jahr stellte die ruandische Generalstaatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl aus. In der Anklageliste werden der FDLR zahlreiche Verbrechen in Ruanda und im Kongo vorgeworfen. Dieser Haftbefehl ist auch bei den deutschen Behörden eingegangen. Daraufhin hat Deutschland eine Auslieferung an Ruanda als nicht zulässig erklärt, denn die ruandische Justiz wird von Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert, da in Ruanda kein faires Verfahren garantiert werden könne. Wo dem FDLR-Chef letztlich der Prozess gemacht wird - in Ruanda oder Deutschland, das ist für den ruandischen Generalstaatsanwalt, Martin Ngoga, nicht entscheidend.

    "Deutschland kann sich nicht einfach zurücklehnen und nicht aktiv werden gegen jemanden, der offen zugibt, dass er eine Organisation anführt, die international als Terrororganisation eingestuft wird. Dies wäre eine Blamage für Deutschland und würde die Frage aufwerfen, mit welcher Ernsthaftigkeit man an Verbrechen herangeht, die in der Dritten Welt begangen werden. Deutschland sollte dies besser verstehen - zieht man die deutsche Geschichte in Betracht."

    Der ruandische Generalstaatsanwalt betrachtet den Fall Murwanashyaka als einen der dringendsten Fälle, die er derzeit bearbeitet. Dies ist eine wichtige Aussage: Immerhin sucht Ruanda seit 15 Jahren nach flüchtigen Tätern des Völkermordes von 1994. Viele dieser Flüchtigen sind heute Mitglieder der FDLR. Deswegen könnte die Zerschlagung dieser Gruppe nicht nur einen wichtigen Schritt für den Frieden in der Region darstellen, sondern auch einen Beitrag zur Gerechtigkeit nach dem ruandischen Genozid leisten.