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Asylbewerber in Irland

Irland konnte sein Erbe als Armenhaus Europas lange Zeit nicht abstreifen. Doch dann machte die Insel Karriere. Avancierte vom notorischen Bittsteller in der EU zum keltischen Tiger in der Irischen See. Schmiedete im Inneren einen Sozialpakt, lockte im Ausland Investoren und stieg zum europäischen High-Tech-Zentrum auf. Seit Anfang der 90-er Jahre schreibt Irland Wachstumsraten, von denen andere nur träumen können. Und ist längst vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland geworden. Binnen zwanzig Jahren ist die Bevölkerung Irlands um 20 Prozent gewachsen. Die Regierung in Dublin wirbt weiter um qualifizierte Arbeitskräfte. Sie sieht die Erweiterung der Europäischen Union als Chance und nicht als Risiko. Irland hat als eines der wenigen EU-Länder keine Fristen für die Beschränkung der Freizügigkeit gesetzt. Wer aus der EU kommt, ist in Irland willkommen. Ohne Formulare.

Von Martin Alioth |
    Die anderen haben es schwerer. Auch für Asylbewerber aus Asien und Afrika ist Irland attraktiv geworden. Doch ihnen zeigt der keltische Tiger die Krallen. 8000 Asylanträge gingen 2003 bei den irischen Behörden ein. 96 Prozent wurden in der ersten Instanz abgelehnt. Das Asylrecht wurde eingeschränkt. Die Kontrollen verschärft. Das soziale Klima ist rauer geworden in Irland. Niemand will sich die Butter vom Brot nehmen lassen. Von Fremdenfeindlichkeit ist die Rede, vom ganz alltäglichen Rassismus quer durch alle Gesellschaftsschichten. Haben wir unsere eigene Geschichte vergessen, fragen viele Iren erschrocken. Das eigene Schicksal als boat people, auf der Flucht vor dem Hunger, zusammengepfercht auf Seelenverkäufern, angewiesen auf die Hilfe und Solidarität anderer – alles vergessen und verdrängt? Ein Besuch bei Asylbewerbern an der irischen Ostküste.

    Der nächste, bitte - die Warteschlange prägt eine Jugend. Und jetzt rennt ein schwarzer Junge heran, kräftig springt er auf eine niedergelegte Verkehrsschranke, die als Trampolin herhalten muss, dann dreht er sich im Flug zum vollendeten Salto.

    Im einstigen Feriendorf Mosney an der irischen Ostküste schwingt sich eine Kastanienallee durch saftige Wiesen, gleich jenseits der Reihenhäuschen erstreckt sich ein breiter Sandstrand zur Irischen See hin. Generationen von irischen Familien haben hier ihre Sommerferien verbracht, bevor das Haushaltgeld die kanarischen oder gar karibischen Inseln erlaubte. 700 Flüchtlinge, die auf die Bearbeitung ihrer Asylgesuche warten, leben nun in den Wohnungen im Grünen. So auch der 16Jährige Sam aus Nigeria.

    Der erste Tag hier vor zwei Jahren war gut, erinnert er sich, der zweite auch, aber seither ist es langweilig. Sam und seine Freunde besuchen die lokalen irischen Schulen, in der Freizeit haben sie eine Rap-Band gegründet. Aber ihr Sinn steht nur nach einem:

    Papiere: Asyl also und dann weggehen, erklären Sam und sein Freund Jacob im Chor. Und wo sieht sich Sam in zehn Jahren?

    Auf einer fernen, heißen Insel will erleben. Allein, bitte. - Im etwas düsteren Aufenthaltsraum sitzen Tony und Catherine aus Nigeria vor dampfenden Tellern mit Reis. Im Hintergrund warten Spielautomaten auf gelangweilte Jugendliche. Der 31Jährige Mechaniker Tony, ein Mann mit einem runden Kopf und hoher Stirne, hadert sichtlich mit seinem Schicksal, während die quicklebendige, forsche Catherine das praktische Überleben organisiert. Warum sind sie nach Irland gekommen?

    Sicherheit, sagt er. Er fühlt sich sicher in Irland und deshalb will er hierbleiben.

    Und hier meldet sich die Tochter von Tony und Catherine zu Wort, die eben ihren ersten Geburtstag feierte. Sie kam in Irland zur Welt, erwarb sich damit den Anspruch auf die irische Staatsangehörigkeit und erhielt dafür den klingenden Namen Success - Erfolg.

    Catherine will weitere Kinder haben, und auch die sollen Irinnen und Iren sein, die Eltern sollen deshalb automatisch das Wohnrecht in Irland erhalten. - Mit dieser liberalen Einbürgerungspolitik ist nun allerdings Schluss, seit die irischen Wähler im Juni mit überwältigender Mehrheit beschlossen, dass die Geburt auf der Insel Irland allein noch nicht ausreicht, um einen irischen Reisepass zu erwerben. Tony, unter dessen offener Freundlichkeit sich ein grübelnder Kopf verbirgt, seufzt:

    Das System sei schon in Ordnung, er sei auch nicht gefangen in Moseny, aber...

    ...es ist eben nicht Freiheit. Die Iren sollten wissen, was es heißt, wenn man auf die Wanderschaft muss. <black babies="">, schwarze Kleinkinder, symbolisierten einst die Bedürftigkeit der Dritten Welt, und niemand füllte die Spendierbüchsen großzügiger als das arme Irland. Jetzt sind black babies nicht mehr willkommen. - Irland behandelt die Asylanten gut, kein Zweifel, zum Abendbrot in Mosney gab es frischen Salm, den legendären Lachs der Weisheit. Aber gleichzeitig werden die Schotten dicht gemacht. Der Glaube jedenfalls, der einst Berge versetzte, ist nicht mehr in Irland daheim; er müsste importiert werden.

    Ich bin Gottes Kind, sagt Tony treuherzig. Und obwohl ich durchs Jammertal wandle, wird dereinst alles gut werden. - Tony braucht sein Gottvertrauen in diesen Tagen dringender denn je. Unlängst wurden er und andere Asylsuchende in einem Dubliner Wohnblock ausgebrannt.</black>