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Asylkompromiss
Was bringt die Einigung in der Flüchtlingspolitik in der Praxis?

Union und SPD haben sich auf ein neues "Transitverfahren" geeinigt. Doch der gefundene Kompromiss ist äußerst umstritten. Vor allem Österreich hat signalisiert, dass es nicht bereit sei, Flüchtlinge zu akzeptieren, die an der bayrischen Grenze zurückgewiesen würden.

Von Stephan Detjen | 07.07.2018
    Im Transitzentrum in Manching für Asylsuchende steht ein Sicherheitsmitarbeiter neben einem Bewohner an einem Zaun.
    Aus Transitzentren werden Transitverfahren - die Zurückweisung an der Grenze zu Österreich ist nach wie vor umstritten (Stefan Puchner/dpa)
    "Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten anstrengende Tage und Wochen hinter uns", sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki am Donnerstag am Ende der letzten Bundestagssitzung.
    "Wir sind jetzt vor der Sommerpause. Ich wünsche Ihnen allen, uns allen wunderbare Ferien in der Hoffnung, dass sie erholsam sind und störungsfrei."
    Dieser Applaus kam aus den Herzen der Abgeordneten. Doch viele fragen sich seitdem besorgt: Was wird man in den kommenden Wochen noch alles erleben? Gibt es wirklich Erholung für wundgeriebene politische Seelen? Oder steht der letzte Akt des Unionsstreits über die Asylpolitik erst noch als dramatisches Sommertheater bevor?
    Traumatische Erfahrung hinter sich lassen
    Zwei Theorien kursierten in den letzten Tagen: die eine setzt auf Entspannung. Wenn die Abgeordneten im Urlaub oder in den Wahlkreisen, seien fehle den Streithähnen an der Spitze der Resonanzraum der Fraktion, in dem sich die Stimmung in den vergangenen Wochen erst richtig hochgeschaukelt habe. Die andere These sagt: die Entscheidungsschlacht zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer ist noch nicht geschlagen. Dem Innenminister gehe es darum, eine traumatische Erfahrung aus dem Sommer 2015 zu kompensieren. Ohne die Grenzschließungen, die Merkel damals wie heute verweigere, werde Seehofer nicht zu Ruhe kommen.
    Zurückweisungen werden kommen
    Diese These hat neue Nahrung erhalten: Im Spiegel droht Seehofer: Wenn die angestrebten bilateralen Vereinbarungen mit Italien und Griechenland nicht zustande kommen, "müssen wir direkt an der Grenze abweisen". Seehofer spricht damit aus, was auch der österreichische Bundeskanzler Kurz bereits am Donnerstag nach seinem Gespräch mit Seehofer in Wien angedeutet hatte:
    "Derzeit versucht Deutschland hier den Weg der Verhandlungen. Der Innenminister hat mir aber auch gesagt, dass natürlich weitere Maßnahmen, wenn es notwendig ist denkbar sind. Und das ist etwas – der Vizekanzler hat das schon gesagt – wo wir natürlich dann auch diese Maßnahmen weiter vollziehen müssten."
    Südrouten werden geschlossen
    "Weitere Maßnahmen" – was das genau sein sollte, ließ Kurz offen. Aber jedem Zuhörer war klar, was gemeint war: einseitige Grenzschließungen, zunächst in Deutschland, dann in Österreich, vor allem auf der Brenner Autobahn. Das würde den sogenannten Domino-Effekt auslösen, auf den die innerparteilichen Gegenspieler Angela Merkels und auch die Bundespolizei schon im Sommer 2015 gesetzt hatten. "Schließung der Südroute" ist das Codewort, das aus Wien zuletzt zu hören war.
    Die Asylsuchenden würden sich dann wieder in den Ankunftsländern am Mittelmeer stauen. Italien und Griechenland würden die Registrierung von Flüchtlingen stoppen, das Konzept der geordneten Zurückweisung wäre gescheitert, Schlepper würden die Menschen über die grünen Grenzen in den Norden schleusen, warnen andere.
    "Es ist nichts," kritisiert unterdessen FDP Fraktionschef Chrsitian Lindner den gesamten Asylkompormiss der Großen Koalition.
    "Es wurde angekündigt als Wende in der Einwanderungspolitik und im Ergebnis heraus kam ein noch ungeklärtes Verfahren, das Abkommen mit anderen Ländern benötigt. Das betrifft fünf bis zehn Personen am Tag plus das hinlänglich, das sattsam bekannte Schlagwort eines Einwanderungsgesetzes, ohne dass wir wissen, was dahintersteckt, dafür eine Regierungskrise, dafür dieser Reputationsschaden der Regierung insgesamt. Ich halte das für unverantwortlich."
    Seehofer: Die Kanzlerin ist jetzt wieder zuständig
    Ob das von den Unionsparteien ausgehandelte und von der SPD mitgetragene Konzept der Bundesregierung aufgeht, liegt jetzt an den bevorstehenden Verhandlungen mit Griechenland und vor allem Italien. Während Athen sich von Deutschland Entlastung bei der Übernahme von Familienangehörigen aus den griechischen Flüchtlingslagern erhofft, ist aus Rom bisher keinerlei Bereitschaft zu erkennen, auch nur kleine Gruppen von Asylsuchenden aus Deutschland zurückzunehmen.
    Der Innenminister sei für die Verhandlungen zuständig, hatte es stets aus dem Kanzleramt geheißen. Die Kanzlerin habe auf Abkommen gedrängt und müsse selbst für ihren Erfolg sorgen, sagt Horst Seehofer. In Berlin wird spekuliert, der Innenminister setze längst auf das Scheitern der Verhandlungen, mit denen die Kanzlerin ihn beauftragt hat. Dann könne er im dritten Anlauf durchsetzen, was zunächst 2015 und dann in der vergangenen Woche gescheitert sei: Zurückweisungen, Grenzschließung, Dominoeffekt … Sollte das der eigentliche Masterplan des Bundesinnenministers sein, stünde der Höhepunkt des unionsinternen Dramas tatsächlich erst noch bevor.