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Asylpolitik
"Wir haben noch Platz für mehr Flüchtlinge"

Schweden galt lange als humanitäre Supermacht, auch in der Flüchtlingspolitik. Doch das Land hat seine Asylpolitik verschärft. Die Kirchen sehen diesen Kurs kritisch. Etwa Anders Arborelius, Bischof von Stockholm und Vorsitzender der nordischen Bischofskonferenz.

Anders Arborelius im Gespräch mit Christiane Florin | 02.02.2016
    Schweden will bis zu 80.000 Flüchtlinge abschieben.
    Schweden will bis zu 80.000 Flüchtlinge abschieben. (dpa/picture alliance/TT NEWS AGENCY/Johan Nilsson)
    Christiane Florin: Schweden hat knapp zehn Millionen Einwohner, im vergangenen Jahr kamen rund 200 000 Flüchtlinge. Das sind gemessen an der Einwohnerzahl mehr als in jeden anderen Land Europas. Ist die Aufnahme von Flüchtlingen eine Christenpflicht?
    Anders Arborelius: Es ist für uns sehr wichtig, dass wir wie Jesus selbst die Fremden empfangen und versuchen, so viele wie möglich hineinzulassen.
    Florin: Lässt sich mit der Bibel, mit dem Neuen Testament Politik machen?
    Arborelius: Die Bibel will uns inspirieren in der heutigen Politik etwas zu tun, das mit der Lehre und der Botschaft Jesu verbunden ist.
    Florin: Die Schwedische Regierung hat Grenzkontrollen eingeführt, das Asylrecht soll verschärft werden. Wie bewerten Sie das?
    Arborelius: Wir Christen in Schweden – und das gilt eigentlich für alle christlichen Kirchen – finden es schade, dass man die Politik so scharf geändert hat. Wir hoffen, dass man bereit ist, wieder etwas mehr Offenheit zu zeigen.
    Florin: Woran liegt es denn, dass die Politik geändert wurde?
    Arborelius: Es gibt Menschen, die gegen Flüchtlinge sind. Außerdem hat man nicht so schnell eine praktische Lösung gefunden, um so viele Leute unterzubringen. Die Regierung hatte ein bisschen Panik. Sie hat das sehr schroff gemacht.
    Florin: Was macht die katholische Kirche ganz konkret für Flüchtlinge?
    Arborelius: Die katholische Kirche in Schweden wurde durch Einwanderer und Flüchtlinge aufgebaut. Sehr viele katholische Christen haben selber diese Erfahrung. Für sie ist es wichtig, den Neuen zu helfen. In vielen Gemeinden hat man versucht, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Wir sind zwar eine kleine Kirche und haben weder die menschlichen noch die finanziellen Mittel. Aber ich finde, dass man überall versucht, das zu tun, was möglich ist. In Stockholm zum Beispiel gibt die Jesuitenkirche Asylbewerbern für eine Nacht Übernachtungsmöglichkeiten. Wir versuchen auch, zusammen mit anderen Kirchen etwas zu tun. Hier ist die ökumenische Zusammenarbeit sehr, sehr wichtig.
    "Wir hoffen, dass sich die Stimmung wieder ändert"
    Florin: Helfen Katholiken hauptsächlich Katholiken?
    Arborelius: Nein. Man versucht auch anderen zu helfen. Wir müssen die Katholiken zudem erst einmal finden. Viele werden im Norden Schwedens untergebracht, wo viele leere Wohnungen sind und wenige katholische Gemeinden. Es ist eine pastorale Herausforderung, die Katholiken zu finden. Wir versuchen denen zu helfen, die mit uns in Kontakt kommen.
    Florin: Arbeiten Sie auch mit muslimischen Organisationen zusammen?
    Arborelius: Es gibt eine Zusammenarbeit mit muslimischen und weltlichen Organisationen. In Schweden gab es ja eine Welle der Solidarität, die uns alle erstaunt hat.
    Florin: Vorhin sprachen Sie von einer Stimmung der Panik. Flüchtlinge lösen Angst aus. Welche Probleme gibt es?
    Arborelius: Viele Schweden, vor allem diejenigen, die außerhalb der Großstädte leben, sind es nicht gewohnt, mit Menschen anderer Kulturen umzugehen. Viele Flüchtlinge werden gerade dorthin geschickt, in Gebiete, wo es wenig Arbeit gibt. Das kann zu Konfrontationen führen. Die fremdenfeindlichen Gruppen bekommen durch die massive Einwanderung mehr Rückhalt.
    Florin: Umfragen zufolge steigt die Unterstützung für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Mehr als 25 Prozent wurden gemessen. Macht Ihnen das Angst?
    Arborelius: Es ist schade, dass so viele Leute so kurzsichtig gegen Ausländer propagieren. Aber wir hoffen, dass die Stimmung sich irgendwie verändert. Schweden hat so viele Immigranten aufgenommen und es ist meistens gut gegangen. Wir hoffen, dass es gelingt, die fremdenfeindlichen Kräfte zu beruhigen.
    Etablierte Einwanderer haben Angst vor Neuankömmlingen
    Florin: Was können die Kirchen tun, wenn die öffentliche Meinung derart polarisiert ist?
    Arborelius: Die Kirchen versuchen mit Menschen über diese neue Situation zu sprechen. Man kann nicht alle erreichen, man kann nicht alle dazu bewegen, ihre Meinung zu ändern. Aber es ist wichtig, offen darüber zu sprechen, dass wir in einer globalen Welt leben und dass andere Länder – die Türkei, der Libanon – noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Verhältnismäßig sind es nicht so viele, die nach Schweden kommen.
    Florin: Sie würden sagen: Da ist noch Platz für mehr.
    Arborelius: Ja, es gibt noch viele Möglichkeiten für diese Menschen, sich hier heimisch zu machen und etwas zur Entwicklung Schwedens beizutragen.
    Florin: In welcher Weise beizutragen?
    Arborelius: Viele Einwanderer arbeiten zur Zeit in Schweden in der Altenpflegen, in Berufen, in denen nicht viele Schweden arbeiten wollen. Wir sind auf Einwanderer angewiesen.
    Florin: Haben Sie sich schon anhören müssen, dass Ihre Position naiv ist angesichts der Diskussion um eine Obergrenze für Flüchtlinge?
    Arborelius: Natürlich gibt es sehr viele, die unsere Haltung nicht bejahen können. Auch innerhalb der Kirchen gibt es einige, die sich dagegen wehren, dass so viele kommen. Es fällt mir auch auf, dass etablierte Einwanderer Angst haben, wenn so viele neue kommen. Das macht unsere Position in Schweden schwieriger.
    Florin: Haben Sie selbst Flüchtlinge bei sich aufgenommen?
    Arborelius: Nein, das habe ich nicht. Ich habe nicht so viel Platz.
    Florin: Gehört es nicht zum Christentum dazu, dass man selbst Vorbild ist, also das tut, was man von anderen verlangt?
    Arborelius: Das ist richtig, das man selbst etwas tun muss. Schon jetzt wartet eine Flüchtlingsfamilie auf mich im Sprechzimmer, die ausgewiesen werden muss. Für uns als katholische Kirche ist das immer eine Pflicht zu helfen. Oft sind es gerade solche Fälle, die bei uns anklopfen, wenn sie Kontakte zu Behörden nötig haben.
    Florin: Das heißt, Sie versuchen nun, die Ausweisung dieser Familie zu verhindern.
    Arborelius: Ja, wir versuchen es. Das ist nicht einfach. Aber wir haben einen Angestellten, der vielleicht der größte Experte für Asylfragen ist. Er hat schon sehr vielen Leuten helfen können. Aber er bekommt Morddrohungen. Viele können nicht bejahen, dass sich katholische Christen so für Einwanderer einsetzen.
    Papst trifft sich gerne mit gewöhnlichen Menschen
    Florin: Angela Merkel wurde einmal gefragt, was man gegen die Islamisierung Europas tun könne. Sie hat sinngemäß geantwortet, wir sollten uns mehr mit unseren christlichen Wurzeln befassen anstatt immer ums christliche Abendland Angst zu haben. Hat sie Recht?
    Arborelius: Ich denke, dass die vielen Muslime Menschen helfen können, ihren eigenen Glauben zu entdecken und sich mehr christlich zu engagieren. Angela Merkel ist eine kluge Frau mit einer klugen Antwort.
    Florin: Papst Franziskus wird in diesem Jahr nach Schweden kommen. Erwarten Sie, dass er etwas zur Flüchtlingspolitik sagt?
    Arborelius: Ja, das denke ich. Ich habe einmal mit ihm gesprochen und ich weiß, dass er sehr dankbar ist, dass Schweden so viele Flüchtlinge – zumal aus Lateinamerika – empfangen hat.
    Florin: Denken Sie nicht manchmal: Der Papst hat gut reden. Der ist mit den Problemen an der Basis gar nicht so richtig befasst.
    Arborelius: Natürlich kann man so etwas denken. Aber ich denke, dass der Papst wirklich versucht hat zu zeigen, dass er gern mit gewöhnlichen Menschen zusammenkommt und dass ihm auch in dieser Frage bewusst ist, dass einige Leute Angst haben, aber dass die meisten bereit sind für Offenheit.
    Florin: Bischof Arborelius, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Arborelius: Danke, alles Gute.
    "Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen."
    Anders Arborelius wurde 1949 in der Schweiz geboren und wuchs in Schweden auf. Mit 22 trat er dem Karmeliterorden bei. Seit 1998 ist er Bischof von Stockholm. 2005 übernahm er den Vorsitz der nordischen Bischofskonferenz.