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Ateliers im ehemaligen Konzentrationslager

Das ehemalige nationalsozialistische Konzentrationslager Staro Sajmiste liegt mitten in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Dort wurden 1942 über 7000 jüdische Frauen, Kinder und alte Menschen in mobilen Gaswagen ermordet. Im ehemaligen Jugoslawien wurde das Gelände nicht weiter beachtet, Künstler und Obdachlose fanden dort Unterkunft. 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wird nun wieder über den Umgang mit dem Andenken diskutiert.

Von Dirk Auer | 17.08.2009
    Auf den ersten Blick sieht das Gelände aus wie eines jener Refugien, die es auch in anderen Städten gibt: Ein vergessener, irgendwie durch das Raster der Stadtplaner gefallener Ort - und damit Anziehungspunkt für Künstler, Obdachlose und andere sozial Schwache. Alexander Mosic hat andere Gedanken, wenn er hierher kommt und auf die lang gezogenen Wohnblöcke blickt, von denen der Putz herunterrieselt.

    "Ich erlebe dieses Gelände gerade so, wie die Leute in Deutschland, Auschwitz, Dachau, Bergen Belsen erleben - in derselben Weise."

    Der 90-jährige Mosic hat bei den Partisanen gegen die nationalsozialistischen Besatzer gekämpft. Auch er hat sich erst sehr spät mit der Geschichte des Lagers beschäftigt.

    "Dieses Lager war das wichtigste Lager der Gestapo für den Balkan. Ungefähr schätzt man dass 40.000 Häftlinge durch das Lager gekommen sind. Davon 20.000 umgekommen sind. Und deswegen ist es eine große Sünde, dass das Lager nicht zu einer Gedenkstätte hergerichtet wurde."

    Der Missbrauch des Geländes, wie Mosic es nennt, begann schon unmittelbar nach dem Krieg. Erst wurden in den alten Baracken die Arbeitsbrigaden untergebracht, dann kamen die Künstler, die hier von der serbischen Akademie der Künste Atelierflächen zugewiesen bekamen.

    Besuch bei Dušan Janackov. Seit 25 Jahren lebt und arbeitet er auf dem Gelände von Staro Sajmište. Die ersten Künstler kamen 1952, erinnert er sich.

    "Sie hatten nachts Angst einzuschlafen. Es war eine Generation, die noch vom Krieg geprägt war und das auch künstlerisch zum Ausdruck brachten: Olga Jevrić nannte alle ihre Arbeiten "Tragische Skulpturen", Lazar Vozarević unterschrieb seine Bilder mit "Staro Sajmište - das Lager”. "

    Die serbische bildende Nachkriegskunst, so ist heute oft zu hören, ist hier entstanden, in Staro Sajmiste - auf dem Boden eines Konzentrationslagers. Nach den Künstlern kamen die Obdachlosen, die in die Gebäude einbrachen. Im Jahr 2002 schließlich wurden über 2000 Menschen gezählt, die auf dem Gelände wohnten, das heute mitten im Zentrum von Belgrad liegt - und damit auch neue Begehrlichkeiten weckt.

    ""Sehen sie, hier ist ein Sportplatz unter Zelt, ich glaube Tennisspiele im Winter. Auf einmal sehe ich hier einen Parkplatz. Also da hat sich was geändert, aber nicht im Sinne, welcher angebracht wäre."

    Dann zeigt er in Richtung des früheren Lagerspitals, dessen Patienten die ersten Kandidaten für den Gaswagen waren. Es wird nun als Diskothek genutzt. Brank Prpa wundert diese Entwicklung nicht. Wenn sich die Menschen an solchen Orten pietätlos verhalten, sagt die Direktorin des Belgrader Stadtarchivs, dann kann ihnen das kaum zum Vorwurf gemacht werden. Die Schuld trägt der Staat.

    "Man hat diesen Ort des Grauens nicht zu einem pietätvollen Ort gemacht, sondern man hat die Stadt nach dem Krieg einfach neu aufgebaut und das Lager aus dem öffentlichen Bewusstsein eliminiert. Warum? Meine Hypothese ist: Die Kommunisten wollten den Kampf der Partisanen gegen den Faschismus vor allem als eine auf die Zukunft gerichtete Revolution darstellen - hin zu einer sozialistischen Gesellschaft glücklicher Menschen."

    Die Erinnerung an den Holocaust, kritisiert Prpa, ist durch diese Form der Erinnerungspolitik im ehemaligen Jugoslawien verdrängt worden. Vor 25 Jahren schon hat Alexander Mosic mit anderen Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde einen Verein gegründet, der sich für eine Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Gelände einsetzt. Seitdem hat er viele Regierungen kommen und gehen sehen - doch die Reaktion auf sein Anliegen war immer die Gleiche.

    "Man ist höflich, antwortet, ja wir haben das im Programm. Aber wenn es dann zur Wirkung kommt: Ja, aber wir haben kein Geld."

    Durch eine zweiteilige Fernsehdokumentation des Senders B92 über die Geschichte des Lagers ist das Thema immerhin wieder in der Diskussion. Darüber ist auch Dusan froh, vor allem über die Pläne, das Gelände auch zu einem Ort für Kunst und Kultur zu machen.