Dienstag, 23. April 2024

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Atheisten und der US-Wahlkampf
Genervt vom "God bless America"

36 Millionen US-Amerikaner sind konfessionslos. Die Zahl derer, die keiner Kirche angehören, ist damit nur noch minimal kleiner als die der bibeltreuen evangelikalen Christen, die mit 25 Prozent die größte Glaubensgruppe ausmachen. Doch ein atheistischer US-Präsident wäre noch nicht möglich, sagt die Schriftstellerin und Religionsexpertin Susan Jacoby.

Von Sonja Beeker | 04.04.2016
    Ted Cruz freut sich über seinen Sieg bei den US-Vorwahlen der Republikaner in Iowa.
    Der Republikaner Ted Cruz liegt mit seinen Ansichten vor allem bei evangelikalen Wählern hoch im Kurs. (Imago / Xinhua)
    "And may God bless America" - Bill Clinton, "And God bless America" - George W. Bush, "God bless you and God bless the United States of America" - Ronald Reagan, "And may God bless the United States of America" - Barack Obama, "And may God always bless and strengthen this great nation, the United States of America. Thank you and God bless you all" - Marco Rubio
    Susan Jacoby kann es nicht mehr hören. Ganz gleich, welcher Partei sie angehören, hält ein US-Politiker eine gewichtige Rede, dann endet diese fast unweigerlich mit einem "God bless America ", Gott segne Amerika. Die Autorin und Pulitzer Preis-Finalistin sieht und hört es immer wieder. Dabei war das nicht immer so, sagt die 70-Jährige und trinkt einen Schluck schwarzen Tee.
    "Das fing erst in den 1980ern an. Natürlich wurde Gott auch vorher erwähnt, aber es gab deutlich weniger Gott hier, Gott da. George Washington hat seine Amtsansprache nicht mit "God Bless America" beendet! Viele Amerikaner denken, dass "God Bless America " ein Revolutionslied aus dem Bürgerkrieg ist."
    Religion unentbehrlich im Wahlkampf
    Tatsächlich stammt es von einem jüdischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, stellt Susan Jacoby amüsiert richtig. Auch die diesjährigen Kandidaten machen nicht nur keinen Hehl aus ihrer Religionszugehörigkeit, sie betonen immer wieder vor laufender Kamera ihren Glauben an Gott. Auf die Frage, wie wichtig es für einen US-Präsidenten sei, gottesfürchtig zu sein, antwortete Ted Cruz andächtig: Ein Präsident müsse seinen Tag betend auf den Knien beginnen, sonst habe er nicht das Potenzial die USA anzuführen.
    Cruz wörtlich: "Any president, who doesn’t begin every day on his knees, isn’t fit be to be commander in chief of this country. – Amen! Amen!"
    Und auch sein Republikanerkollege Marc Rubio findet, dass man gar nicht oft genug in die Kirche gehen könne. Dass es mit der Nominierung am Ende nicht geklappt hat, ist dann auch schnell erklärt: Gott habe andere Pläne für ihn gehabt, als das Amt des Präsidenten.
    Rubio wörtlich: "While is not God`s plan that I’ll be president in 2016 or ever and while today my campaign is suspended, the fact that I’ve even come this far is evidence of how great this country truly is."
    Hillary Clinton - sie ist Methodistin - erklärt, dass sie nur mit Hilfe des Gebets den Druck im Weißen Haus ausgehalten habe. Und selbst Bernie Sanders, der Jude ist, aber keiner Synagoge angehört, will nicht als Ungläubiger abgestempelt werden. Und so antwortet er auf die Frage des Talkshowmasters Jimmy Kimmel, ob er an Gott glaube, eher ausweichend:
    "I am who I am and what I believe in and what my spirituality is about, is, that we are all in this together."
    Niemand will den Stempel Atheist aufgedrückt bekommen, sagt Susan Jacoby, selbst wenn er einer ist. Denn Atheismus hat in den USA - anders als in vielen anderen Ländern, einen negativen Beigeschmack.
    Atheistischer Präsident undenkbar
    "In Europa kann man als Atheist auch Staatschef werden. Das ist den Leuten egal. Ein atheistischer US-Präsident ist derzeit noch undenkbar. Die Statistiken sagen, dass Atheisten sehr viel unbeliebter sind."
    Dabei, merkt sie an, ist es durchaus möglich, dass es unter den US-Präsidenten der Vergangenheit durchaus Agnostiker gab - oder auch heimliche Atheisten. Abraham Lincoln habe ständig in der Kritik gestanden, keiner Kirche anzugehören. Egal ob Präsident oder der Nachbar - Amerikanern scheint es nach wie vor wichtig zu sein, ob jemand einer Religionsgemeinschaft angehört. Weniger wichtig dagegen: welcher. Jeder zweite US-Bürger, schreibt Susan Jacoby in ihrem Buch "Strange Gods " wechselt im Laufe seines Erwachsenenlebens mindestens einmal die Religion. Frau jüdisch, Mann Protestant; sie heiraten und werden Mormonen. Keine Seltenheit in den USA, sagt Jacoby.
    "Nur bei uns gibt es den Ausdruck "religiöser Markt ". Man wählt hier die Religion aus, als wär es ein Kleidungsstück, in diesem oder jenem Stil."
    Susan Jacoby selbst wurde katholisch erzogen und ist heute bekennende Atheistin. Sie bezeichnet sich als nicht-kirchliche Humanistin. Anders als etwa der Bostoner Religionswissenschaftler Stephen Prothero sieht sie im "neuen Atheismus " keine sechste Weltreligion.
    "In allen Religionen tauchen übernatürliche Dinge auf, für die es keine Erklärungen gibt. Am Ende ist es immer eine Frage des Glaubens. Im Atheismus gibt es keine übernatürlichen Dinge. Er ist keine Religion. Der Atheismus liefert keine Erklärung für alles und jedes. Deshalb reicht er vielen Menschen ja auch nicht aus. Wenn Du ein tiefreligiöser Katholik bist, dann hast du alle Antworten."
    Anzahl der Konfessionslosen steigt an
    Atheistische Organisationen sind klein und in der Regel schlecht finanziert. Sie haben keine Sprecher, keine Anführer, die Atheismus auslegen. Sie haben keine Päpste, Rabbiner oder Imame. Jacoby spricht von einem PR-Problem. Deshalb bemühe sich kaum ein Politiker offiziell um diese Wählergruppe. Dabei liegen die Konfessionslosen in den Vereinigten Staaten inzwischen nur noch knapp hinter den evangelikalen Christen. 36 Millionen sind es laut PEW Forschungszentrum, Tendenz steigend.
    Greift ein Kandidat wie Donald Trump womöglich auch in diesem Milieu Stimmen ab? Gerade weil er mit seinem bisherigen Wahlkampf auf christliche Werte zu pfeifen scheint?
    "Die Familie ist Trump schon wichtig, drum hat er auch gleich drei davon! Drei Ehefrauen, das entspricht nicht gerade klassisch christlichen Werten. Trump ist genau so wenig religiös wie ich es bin."
    De facto fliegen Trump ausgerechnet die Stimmen jener bibeltreuen Christen zu, auf die Ted Cruz und Marco Rubio gehofft hatten. Der Grund: Donald Trump hat klassische Wahlkampfthemen wie Abtreibung durch das Thema Immigration verdrängt und damit einen Nerv getroffen, der bibeltreue Christen ihre Werte scheinbar vorübergehend vergessen lässt.
    "Er zapft die Wut der Immigrationsgegner an und die ist so groß, dass diese ihre religiösen Einwände beiseiteschieben und sich weder an dem stören, was er sagt, noch wie er es sagt. Erst haben mich die evangelikalen Christen überrascht. Aber inzwischen überrascht mich gar nichts mehr."