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Athleten versus Verbände
"Diese Bewegung ist sehr ermutigend"

Es sei positiv, dass sich mittlerweile viele Sportler gegen eine Vielzahl von Missständen aussprechen würden, sagte der Direktor der Spielergewerkschaft "World Players Association", Brendan Schwab, im Dlf. Die Herausforderung werde sein, sich zu organisieren und gemeinsam zu handeln.

Brendan Schwab im Gespräch mit Marina Schweizer | 03.08.2019
Rechtsanwalt Brendan Schwab lächelt bei einer Konferenz in Kuala Lumpur in die Kamera
Brendan Schwab, Jurist und Direktor der Spielergewerkschaft World Players Association (dpa / picture alliance / AP Photo / Vincent Thian)
Marina Schweizer: Athleten weltweit mucken auf – aber wie aufmüpfig kann man werden, wenn man abhängig ist von Nominierungen des Verbands und auch den Geldern, die er einspielt? Das habe ich Brendan Schwab gefragt. Der Australier ist Jurist und Direktor der Spielergewerkschaft World Players Association.
Brendan Schwab: Heutzutage haben wir zwei große Athletenbewegungen – zum einen die Spielervereinigungen, die man vor allem bei professionellen Mannschaftssportarten findet. Dort organisieren sich die Sportler in unabhängigen Verbänden oder Vereinigungen, wo sie effektiv gemeinsam über die kritischen Fragen verhandeln können, die ihre Branche und Arbeitsbedingungen betreffen. Und das ist ein großer Schritt gewesen, ein Kampf, der in den wichtigsten Sportarten in Nordamerika und Europa in den 1960er-Jahren begann.
In den letzten Jahren war interessant, dass die olympische Bewegung, die sich seit langem widersetzt und versucht, jede Stimme für die Athleten zu regulieren und zu kontrollieren, dass sie jetzt feststellt, dass sich dieser Ansatz als ineffektiv erweist. Und so gibt es jetzt viele Sportler, die sich gegen eine Vielzahl von Missständen aussprichen. Aber sie tun es momentan eher einzeln. Die Herausforderung wird sein, sich zu organisieren und gemeinsam zu handeln.
Großer Druck auf Athleten
Schweizer: Wir können gleich über gemeinsames Handeln sprechen. Lassen Sie uns zunächst beim Auslöser für die Athleten bleiben. Durch was wurde das ausgelöst? Hat das der Russland-Doping-Komplex rund um die Spiele in Rio ausgelöst, dass sie die Stimme erheben?
Schwab: Da gab es mehrere Dinge. Wahrscheinlich zwei, im besonderen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Doping-Thematik sehr schwerwiegend war. Es ist ein sehr strenges System und es hat sich als sehr ungerecht und ineffektiv herausgestellt. Und wenn dann die Meinung der Athleten bei der Entwicklung eines solchen Systems, welches für die Integrität des Sports eine extreme Bedeutung hat, keinerlei Gehör findet. Dann sind das die Dinge, über die die Sportler sehr verärgert sind. Aber die andere entscheidende Antriebskraft ist einfach der Anspruch an Professionalisierung. Sport ist ein großes Geschäft und Sport ist auch große Politik. Immer mehr Unternehmen und vor allem Regierungen investieren in olympische Erfolge. Und das erzeugt einen unfassbaren Druck auf die Athleten, unter dem sie unmöglich an die Spitze streben können, ohne ein Mindestmaß an Unterstützung und Rahmenbedingungen, mit denen sie sich Vollzeit auf die sportliche Laufbahn konzentrieren können.
Schweizer: Die Frage ist ja genau: Welche Hebel haben die Athleten denn, um Einfluss auszuüben? Sie sind in den Strukturen gefangen: Da sind normalerweise die Sponsoren, dort haben sie die Infrastruktur. Es scheint so, als gebe es keinen Weg, um dort auszubrechen.
Schwab: Es gibt keinen Weg, um aus dem System auszubrechen, wenn Athleten nicht zusammen agieren. Daran besteht kein Zweifel. Bei den Profi-Mannschaftssportarten gab es drei wichtige Wegmarken, mit denen die Sportler sich das erarbeitet haben, wo sie heute stehen. Und natürlich reden wir oft darüber, wie gut Fußballer heute bezahlt werden oder Baseball-Spieler in den USA oder NBA-Basketball-Profis. Wir müssen uns daran zurückerinnern, dass das nicht immer so war. Das ist erst geschehen, als die Spieler als Angestellte etabliert wurden. Daraufhin hatten sie das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen und rechtlich oder auch technisch das Monopol anzufechten, in dem sie sich befanden.
"Der Sport muss schon proaktiv werden"
Schweizer: Aber in vielen Olympischen Sportarten ist das ja anders.
Schwab: Nun ja, die Grundlagen sind die gleichen. Und in den letzten zwei, drei Jahren haben wir zum Beispiel mit Blick auf die USA tragischerweise gesehen, wenn wir die Untersuchungen des Kongresses im Nationalen Olympischen Komitee der Vereinigten Staaten betrachten: Dieses monopolistische System hat jede Menge Schaden angerichtet, speziell wenn wir den Fall der US-Turnerinnen betrachten. Der Sport hat immer versucht zu sagen, dass er anders und besonders ist, das er speziellen Schutz benötigt. Aber die Folge dessen ist sehr schädlich gewesen. Aber die Politiker in den USA müssen sich jetzt in die Führung ihres eigenen Olympischen Komitees einmischen, welches ökonomisch betrachtet, das größte nationale Olympische Komitee weltweit ist. Also der Sport muss schon proaktiv werden. Und was wir wissen, wo die großen Sportarten sich mit den Spielervereinigungen einigen, da gibt es einige Ergebnisse aus komplexen Angelegenheiten, die der Sport lösen muss, auf effektive Art und Weise. Baseball hatte z.B. ein Dopingproblem in den 90iger Jahren. Spieler und Manager waren aber in der Lage, das Problem zu lösen, viel effektiver als das heute die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hinbekommt. Und auch wie der Sport ökonomisch explodiert ist, weil die Athleten beim ökonomischen Wachstum des Sports Partner waren und ihre Möglichkeiten werden die Olympische Bewegung aufrütteln, wenn man bereit ist, die Athleten als gleichwertige Partner anzunehmen.
Der britische Schwimm-Weltmeister Adam Peaty in Rio
Der Britische Olympiasieger Adam Peaty ist gerade dabei, eine Athletengewerkschaft zu gründen – als Schwert gegen den eigenen Verband und als Schutzschild. (dpa/picture alliance)
Schweizer: Wäre es nicht eine viel effektivere Idee, wenn man von der Olympischen Idee wegkommen würde und neue Ligen gründen würde, wie die FINA Independent International Swimming League? Ist das ein gutes Beispiel, wie man sich von den alten Verbänden löst? Also einfach eine neue Liga gründen, die nichts mit dem alten Verband zu tun hat?
Schwab: Also das ist sicherlich eine Strategie, die in einigen Sportarten sehr erfolgreich angewandt worden ist, wenn man bis in die frühen 1970er-Jahre zurückgeht. Billie Jean King hat eine Abspaltungsbewegung gegen die Vereinigung der professionellen Tennisspielerinnen angeführt, um die WTA Tour zu starten. Die Profi-Tennis-Spielervereinigung hat sich zu der Zeit von dem traditionellen Tenniszirkus losgesagt, um eine professionelle Männertour auf die Beine zu stellen. Wir haben viel in der Art in den USA gesehen. Sogar der Super Bowl, unbestreitbar das größte Sport-Einzelevent auf der Welt, ist aus einer Fusion entstanden, weil es eine Abtrünnigen-Liga gab. Also, wo es einen Wert, wo es ein Geschäft für Sport zu machen gibt, da sind wir der Meinung, dass man sich dem annehmen muss. Und tatsächlich muss die Olympische Bewegung nach diesen ökonomischen Möglichkeiten Ausschau halten, weil die Athleten brauchen sie, wenn sie die Anforderungen erfüllen wollen, um in die Weltspitze vorzustoßen.
Stimmen müssen innerhalb der Disziplin organisiert werden
Schweizer: Muss diese Bewegung denn nicht von den sehr erfolgreichen Athleten angeführt werden?
Schwab: Sie muss von jedem angeführt werden, um einen Sinn für das Kollektiv zu entwickeln. Man muss mit den besten Athleten sprechen und mit den weniger erfolgreichen. Eine gute Sache, die Spielergewerkschaften so stark macht, ist, dass sie 100 Prozent die Spieler repräsentieren. Wenn wir ein Geschäftsmodell aufbauen und die Superstars profitieren davon, dann haben sie die Verantwortung, dass sie ihre Nachfolger dahingehend ausbilden, dass es große Vorzüge für sie hat. Ich denke, dass die Bewegung sehr ermutigend ist, also das, was wir von den Athleten hören, die sich versuchen zu emanzipieren. Die Herausforderung wird sein, dass sich diese Stimmen innerhalb der jeweiligen Disziplin organisieren, so dass sie wirklich eine Veränderung herbeiführen können.
Schweizer: Dann lassen Sie uns doch mal drüber sprechen, wie eine globale Veränderung aussehen könnte. Sie haben über verschiedene Bewegungen in verschiedenen Ländern, auch in unterschiedlichen Sportarten gesprochen. Wie können die sich wirklich vereinigen? Sportler haben eigentlich überhaupt keine Zeit. Die haben doch andere Sorgen, als sich in weltweit in Gewerkschaften zusammenzuschließen. Auch wenn sie das insgesamt vielleicht wollen würden.
Schwab: Ich denke, das ist so eine Unterstellung, dass Sportler nie Zeit haben, dass sie zu fokussiert auf ihren eigenen Erfolg sind, aber unsere Erfahrung ist – wir haben 120 Spielervereinigungen in unserer World Players Association – Sportler haben eine extrem enge Verbindung zu ihrem Sport. Oft waren sie nur aufgrund ihrer Leidenschaft in der Lage, Außergewöhnliches zu leisten. Das führt nicht nur zu einem Verlangen nach individuellem Erfolg, sondern auch dazu, dass eine Sportart positiv heraussticht. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Athleten extrem erfolgreich dabei sind, Dinge umzusetzen, wenn sie ins Diskutieren kommen und sie lernen, wie man Einfluss bekommt.
Kommt die Abspaltung von der Olympischen Bewegung?
Schweizer: Würden sie es Sportlern jemals raten, die Olympische Bewegung zu verlassen, um Druck auf das IOC ausüben zu können, um Sachen zu verändern? Oder ist das keine Option, weil der größte Traum von Athleten die Teilnahme an Olympischen Spielen ist?
Schwab: Es kann durchaus einen Prozess sein, den der Sport durchmachen muss, der ziemlich revolutionär wäre. Wenn die Olympische Bewegung auf dem Modell beharrt, dass Athleten kein Mitsprachrecht haben und keinen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg haben und wenn wir die entsetzlichen Folgen sehen, die durch sexuellen Missbrauch entstanden sind. Wenn die Olympische Bewegung so weitermacht, dann könnte es durchaus Drohungen geben, dass die Athleten darüber nachdenken, sich abzuspalten. Wo es diese Abspaltungstendenzen schon gegeben hat, ich habe ja schon vom Tennis erzählt, das waren sehr revolutionäre Zeiten, dort sind die Leute danach wieder zusammengekommen. Das gab es auch im Cricket am Ende der 1970er-Jahre, als die World Series Cricket sich geformt hatte. Nach ein paar Jahren kamen die Veranstalter und kommerziellen Organisatoren zu einer viel stärkeren Sportart auf einem kommerziellen Niveau zusammen. Nicht nur die Spieler hatten mehr davon, sondern auch die Sportart konnte viel mehr Geld in die Entwicklung der Sportart an der Basis stecken. Diese Revolution ist also sehr positiv ausgegangen. Es gibt viele Sportler, die ihren Sport lieben und die darauf bedacht sind, ihn zu bewahren. Aber nicht auf Kosten eines ineffektiven und ungerechten Monopolsystems, das ihnen ihre Grundrechte und Karriereoptionen wegnimmt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.