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Atli Heimir Sveinsson: "Time and water”

Beim Stichwort Island denken viele zumeist an eine Insel am nördlichen Polarkreis mit vielen Bergen, Geysiren und Vulkanen, wo es im Winter nicht hell und im Sommer nicht dunkel wird; doch außer den faszinierenden Naturschönheiten gibt es auf der Inselrepublik neben einem ausgeprägten Kulturleben auch eine lebendige Neue Musik-Szene, die hierzulande weitgehend unbekannt ist. Zu den bedeutendsten isländischen Komponisten mit internationalem Renommee gehört Atli Heimir Sveinsson; vor kurzem ist beim Label CPO seine Komposition "Zeit und Wasser", eine Mischung aus Oper, Oratorium und Ballett, mit dem Kammerchor und Kammerorchester Reykjavik unter der Leitung von Paul Zukofsky erschienen. Dieses Werk und den Komponisten möchte ich Ihnen nun vorstellen. * Musikbeispiel: Sveinsson - aus: "Time and water" Sie ist vielschichtig, expressiv und zuweilen auch provokant experimentell: die Musik des isländischen Komponisten Atli Heimir Sveinsson. Sveinsson, der 1938 in Reykjavik geboren wurde, spielt in der Musikszene seiner Heimat eine führende Rolle und hat sich auch international einen Namen gemacht. Seine musikalische Laufbahn begann 1959 an der Kölner Musikhochschule, wo er sowohl an Karlheinz Stockhausens Kursen für Neue Musik teilnahm als auch bei Günter Raphael und Rudolf Petzold Komposition studierte:

Klaus Gehrke |
    Das war das traditionelle Handwerk, das jeder Komponist so beherrschen soll oder muss, beim Stockhausen das waren die neuen Ideen in der Musik, er war damals sehr kreativ und sehr produktiv und so ich kam in Berührung mit dem Serialismus, der in Deutschland und Mitteleuropa entstanden war, es gab auch sehr wichtige Anregungen während der Sommerkurse in Darmstadt.

    Zu seinen weiteren Lehrern zählten Bernd Alois Zimmermann und Gottfried Michael Koenig, bei dem er elektronische Musik studierte. Anfang der 70er Jahre kehrte Sveinsson nach Island zurück und gründete an der Musikschule in Reykjavik eine Kompositionsklasse. In der folgenden Zeit setzte er sich intensiv für die zeitgenössische Musik ein, organisierte internationale Festivals und war Vorsitzender mehrerer nordischer Komponistenverbände. Allerdings beschränkte Sveinsson seine Aktivitäten nicht nur auf Island: bis heute veranstaltet er Vorlesungen und Kurse an vielen europäischen und amerikanischen Universitäten. 1980 schuf er mit der Gründung der sogenannten 'Dunklen Musiktage’ ein Forum für zeitgenössische isländische Komponisten, das bald auch auf internationale Beachtung stieß. Für den fast mystisch wirkenden Titel des Musikfestivals hat Sveinsson eine ziemlich einfache und einleuchtende Erklärung:

    Ich bekam plötzlich so eine Idee, in den Wochen nach Weihnachten geschah eigentlich nicht viel in Kultur in Reykjavik, so ich glaubte, da gäbe es eine Lücke, das sollte man versuchen zu füllen und so ein Festival zu gründen, damit die Komponisten ihre Werkstatt öffneten und 7zufällig waren es die dunkelsten Tage im Jahr in Reykjavik und deswegen der Titel.

    * Musikbeispiel: Sveinsson - aus: "Time and water" Vielseitig und facettenhaft ist das Oeuvre von Atli Heimir Sveinsson, das von Liedern und Kammermusik bis zur Oper alle Gattungen umfasst. Gerade im letztgenannten Bereich trat er immer wieder erfolgreich in Erscheinung: für die Nationaloper Reykjavik schrieb Sveinsson seit 1980 mehrere Opern und Musicals, die auch über die Landesgrenzen hinweg Anklang fanden. So sorgte etwa 1996 die Uraufführung seines Bühnenstückes 'Die Mondscheininsel’ in Peking für internationales Aufsehen. Ostasiatische Anklänge finden sich häufig in seinen Werken, und das nicht nur in der erwähnten Oper oder der 1980 komponierten 'seidenen Trommel’, die Elemente des Nô-Theaters aufgreift. Auch in 'Zeit und Wasser’ nach dem gleichnamigen Gedichtzyklus des isländischen Dichters Steinn Steinarr sind ostasiatische Elemente deutlich hörbar. Inhaltlich steht jedoch etwas ganz anderes im Vordergrund: in seinen Texten beschreibt Steinarr ähnlich wie James Joyces im 'Ulysses’ das Leben des modernen Menschen als Reise ohne Ziel, auf der niemand sein Schicksal bestimmen kann. * Musikbeispiel: Sveinsson - aus: "Time and water" Düster und bedrohlich wirkt das Stück 'Die weiße Helle’ aus dem zweiten Teil von Zeit und Wasser’ mit dem Bariton Bergpor Pálsson und Mitgliedern des Reykjavik Kammerorchesters unter der Leitung von Paul Zukofsky. Allerdings wird Sveinssons 'Zeit und Wasser’ nicht etwa von dunklen Klängen, sondern vielmehr von starken, mitunter schroffen Gegensätzen geprägt. So wirkt das folgende Gesangsstück in seiner geradezu hektischen Betriebsamkeit eher grotesk aberwitzig. * Musikbeispiel: Sveinsson - aus: "Time and water" In eine feste Gattung lässt 'Zeit und Wasser’ sich nicht einordnen: Sveinsson selbst sieht seine Komposition zwischen Oper und Oratorium; darüber hinaus war ihm auch die Vorstellung des Autors wichtig, eine Vertonung seiner Texte mit Tanz zu verknüpfen. Eine konkrete Handlung oder Personen gibt es in dem knapp zweieinhalbstündigen Bühnenstück nicht: stattdessen stellen die 21 Gedichte verschiedene emotionale Stationen dar, die in unterschiedlicher Besetzung sowohl von drei Solisten, einem Sopran, einem Countertenor und einem Bariton, als auch von einem gemischten Chor übernommen werden. Jeweils eingefügte instrumentale Intermezzi reflektieren den vorausgegangenen Text oder weisen auf die Stimmung des folgenden hin. Das kammermusikalisch ausgerichtete Orchester wird durch eine große Schlagwerkgruppe, ein Gitarrenquartett sowie Akkordeon, Cembalo und elektronische Orgel ergänzt. Ständig wechselnde Besetzungen in Gesangspartien und Intermezzi von voller Besetzung bis hin zum Solo verleihen dem Werk eine bis zum Ende anhaltende Spannung. Bei der Komposition ging Sveinsson nicht nach einem festen Schema vor, sondern verlieh dem Werk einen quasi improvisativen Charakter. Neben den schon erwähnten Anklängen fernöstlicher Musik finden sich auch Einflüsse anderer musikalischer Genres und Epochen wie des Jazz oder der Spätromantik in Sveinssons 'Zeit und Wasser’. Hinter dieser Vielfältigkeit steckt für ihn jedoch ein wichtiges kompositorisches Prinzip, das auch für viele andere Werke gilt:

    Bei aller Bewunderung der seriellen Musik konnte ich mir mein Lebenswerk nicht denken, dass irgendwelche Klänge ausschließen sollte, nur weil die Klänge alt und verbraucht waren, eine Musik oder eine Ästhetik oder eine Richtung, wo ein Dreiklang nicht benutzt wurde, das war mir unvorstellbar, man muss halt die ganze Palette benutzen, die man in den Händen hat aus der Vergangenheit, es geht nur darauf, wie man das benutzt...Damals beeinflusste mich sehr aus Köln gerade die Musik von Bernd Alois Zimmermann, er sprach über pluralistische Musik und dann kommt etwas dieses Wort 'eklektisch’, was man etwas so negativen Klang glaub ich besonders in Deutsch hat, ich würde mich etwas schämen, wenn ich Eklektiker wäre, das gebe ich zu, aber pluralistische Musik, ineinander oder nebeneinander, das ist es.

    * Musikbeispiel: Sveinsson - aus: "Time and water" Das war ein Ausschnitt aus dem letzten Gedicht 'Strömendes Wasser’ aus Atli Heimir Sveinssons 'Zeit und Wasser’ mit dem Kammerorchester und -chor Reykjavik unter der Leitung von Paul Zukofsky. Die Aufnahme des Werkes, das noch auf seine szenische Uraufführung wartet, ist beim Label CPO unter der Bestellnummer 999 865-2 erschienen.