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Atom-Müll unter dem Grill

Physik. - Kernforscher scheinen die Erben der Alchimisten zu sein, denn ihnen gelingt, woran jene verzweifelten: ein Element in ein anderes zu verwandeln. Allerdings soll diese so genannte Transmutation nicht Blei zu Gold wandeln, sondern radioaktive Stoffe so verändern, dass sie nur einige hundert Jahre strahlen statt Jahrmillionen.

Von Hartmut Schade | 07.01.2008
    Der Ausstieg aus der Kernenergie ist politisch beschlossene Sache. Nur was mit den strahlenden Hinterlassenschaften der Atomkraftwerke geschieht, das ist offen. Ein sicheres Endlager gibt es nicht. Weder in Deutschland noch sonst in der Welt. Aber eine Idee für einen Ausweg: Transmutation.

    "Transmutation ist ganz allgemein die Umwandlung eines chemischen Elementes in ein anderes. Das haben die Alchimisten im Mittelalter schon geträumt und die Kernphysiker im 20. Jahrhundert, die konnten das dann auch. Transmutation ist hier gemeint, dass man eben langlebige Kernabfälle, radioaktive Abfälle, in kurzlebige umwandelt, die dann wesentlich leichter endzulagern sind. Dann hat man das Endlagerproblem nicht mehr, das ist sozusagen die Motivation,"

    sagt Dr. Arnd Junghans vom Forschungszentrum Dresden-Rossendorf. Eine solche Umwandlung von Elementen passiert in jedem Reaktor. Uranatome werden mit Neutronen beschossen und zertrümmert. So wird die Kernspaltung in Gang gesetzt. Einige Urankerne fangen die Neutronen aber ein. Dann wird aus Uran 238 dann Uran 239 und das kann sich später in Neptunium oder Plutonium verwandeln. Diese Elemente sind das Hauptproblem bei der Entsorgung. Sie strahlen Millionen von Jahren. Durch die Transmutation wollen die Rossendorfer die Strahlungsdauer verkürzen.

    "Bevor wir die Schleuse betreten, ziehen wir die Füßlinge an,"

    ordert Arnd Junghans und verteilt blaue Plastikfüßlinge, wie sie auch in Op-Sälen getragen werden, bevor wir uns dem Herz der Transmutationsanlage nähern. Das Herz – das ist die Neutronenquelle. Hier werden die Neutronen erzeugt: 100 Kilogramm flüssiges Blei pulsieren durch Edelstahlröhren und werden 500.000 mal in der Sekunde mit Elektronen beschossen, erzählt der Strahlenphysiker Andreas Wagner.

    "Es geht über einen Zwischenprozess. Man bremst die Elektronen erst ab, dabei entsteht die so genannte Bremsstrahlung, das ist harte elektromagnetische Strahlung, die so hochenergetisch ist, dass man aus einen vorhandenen Atomkern, in dem Falle Blei, ein Neutron befreien kann und dieses Neutron ist dann dass, was wir zu Experimenten benutzen."

    Zehn Billionen Neutronen in der Sekunde verlassen die Rossendorfer Neutronenquelle. Diese Neutronen lenkt Andreas Wagner auf Proben aus Neptunium, Plutonium oder Curium und beobachtet, was mit den Atomkernen unter Neutronenbeschuss passiert.

    "Man wird natürlich die chemischen Eigenschaften einer Substanz nicht dadurch ändern, dass man ein Neutron einfängt. Das wird nur etwas schwerer, aber ändert nicht seine Elektronenanzahl, aber man kann dadurch seine Kerneigenschaften verändern, zum Beispiel die Halbwertszeit."

    Die Halbwertszeit ist jene Zeit, in der die Hälfte aller Atome zerfallen sind und sich damit auch die radioaktive Strahlung halbiert hat. Die Halbwertszeit von Uran-235 ist beispielsweise 4,5 Milliarden Jahre. Durch die Transmutation will Arnd Junghans die Halbwertszeit radikal verringern.

    "Die Transmutation zielt darauf ab, dass man die Radiotoxizität dieser Kernabfälle um ungefähr einen Faktor 100 reduziert. Das bedeutet aber, dass man die nicht mehr eine Millionen Jahren endlagern muss, sondern nur ungefähr hunderte bis tausend Jahre."

    Prinzipiell lassen sich alle Elemente durch Neutronenbeschuss umwandeln. Doch der Aufwand ist so groß, dass er sich nur für extrem lang strahlende radioaktive Abfälle lohnt. Gemeinsam mit Kollegen aus Prag, Bordeaux, Uppsala und Karlsruhe wollen die Rossendorfer Physiker in den nächsten fünf Jahren herausfinden, wie stark sie einen Kern beschießen müssen, damit er überhaupt ein Neutron einfängt, und wie man die Kerne von Plutonium, Neptunium oder Curium am effektivsten so spaltet, dass ungefährlichere Elemente wie Jod und Technetium entstehen. Entscheidend für den Erfolg der Transmutationsforschung wird es sein, Verfahren zu finden, die technisch und ökonomisch machbar sind.