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Atomare Renaissance trotz Fukushima?

In Deutschland ist der Atomausstieg beschlossene Sache. Andere Länder setzen dagegen unbeeindruckt auf den Ausbau der Kernenergie – und die Atomwirtschaft glaubt fest an die Renaissance der Atomkraft.

Von Jürgen Döschner | 09.03.2012
    Für die Nuklearindustrie war Fukushima "just a bump in the road", so Hans Blix, der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergie Agentur. – Ein Ausrutscher, eine kleine Delle in der Straße. Schließlich sei ja auch nichts schlimmes passiert, meint John Rich, Generaldirektor der World Nuclear Association, des Weltverbandes der Nuklearindustrie:

    "Es gab 25 Jahre lang keinen einzigen folgenschweren Unfall in der Kernenergie. Jetzt hatten wir einen großen Unfall, und niemand ist verletzt worden. Das ist doch eine ordentliche Bilanz."

    Für den Atomlobbyisten John Rich und seine Kollegen gibt es deshalb auch nach Fukushima keinen Grund, an der Zuverlässigkeit der Kerntechnik zu zweifeln.

    "In allen wichtigen Ländern wie China, Indien, USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, Korea – hat man unter dem Druck der öffentlichen Meinung die Haltung zur Kernkraft noch einmal überdacht. Aber mit Ausnahme Deutschlands haben sie alle daraus völlig andere Konsequenzen gezogen als die Deutschen."

    Entsprechend fest ist der Glaube der "Nuclear Community", wie sich die Atomwirtschaft selbst gern nennt, an die so genannte Renaissance der Atomkraft.

    "Derzeit gibt es weltweit 435 Kernkraftwerke mit einer Kapazität von etwa 360 Gigawatt. Nach unseren Berechnungen wird die Zahl der Kraftwerke bis 2050 auf mindestens 1000, vielleicht sogar 2000 ansteigen. Und bis Ende des Jahrhunderts dürften es mindestens 3000, vielleicht sogar 8- bis 9000 Kernkraftwerke sein."

    9000 Atomkraftwerke bis 2100! Ist Deutschland also der einsame Geisterfahrer auf der Autobahn, auf der alle anderen Richtung Ausbau der Atomkraft fahren? Der in Frankreich lebende Atomexperte und Träger des alternativen Nobelpreises, Mycle Schneider, sieht das völlig anders. Italien, Belgien, Schweiz, USA – Schneider nennt zahlreiche Länder, in denen nach Fukushima der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen wurde bzw. der Ausbau praktisch nicht stattfindet.

    "Zu den spektakulärsten gehört China. China hat alle neuen Projekte eingefroren. Es ist keine neue Baustelle aufgemacht worden im ganzen Jahr 2011, entgegen der Planung. Und gleichzeitig gehört China zu den Ländern, die wirklich aufs Gas drücken, was erneuerbare Energien betrifft."

    Und es kommen immer mehr Länder hinzu, die sich von der Atomkraft abwenden. So verabschiedete sich im Februar dieses Jahres Kuwait von seinen Plänen, bis 2022 vier Atomreaktoren zu bauen. Und auch Tschechien gab seine hochtrabenden Pläne zum Neubau von bis zu 18 AKW auf. – Dabei waren nicht Sicherheitsbedenken das Hauptmotiv, sondern Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Projekte.

    "Die Atomindustrie war in einer Krise, und zwar in einer schweren Krise, bevor Fukushima passierte."

    - sagt daher Mycle Schneider. Die von der Nuklearindustrie verbreiteten Zahlen über den Neubau von bis zu 9000 AKW bis zum Ende des Jahrhunderts hält er für Hirngespinste.

    "Die so genannte Renaissance war nie Fakt. Das war immer ein imaginäres Konstrukt der Atomindustrie. Je nachdem, wie viele Anlagen man in Japan als in Betrieb befindlich ansieht, sind wir heute in etwa auf derselben Anzahl von Reaktoren, die in der Welt betrieben sind, wie 1989. Ich bitte Sie – wo kann den hier von Renaissance die Rede sein?"

    Die Anzahl der Atomkraftwerke ist also schon seit Jahren rückläufig. Allein um die aus Altersgründen wegfallenden AKW zu ersetzen müsste nach den Berechnungen von Mycle Schneider bis 2020 alle anderthalb Monate ein neues Atomkraftwerk errichtet und ans Netz gehen. Schon aus technischen und finanziellen Gründen ein völlig unrealistisches Szenario. Das Ende des Atomzeitalters – Fukushima hat es nicht herbeigeführt, aber es dürfte sich dadurch beschleunigen.

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    Sendereihe: "Ein Jahr nach Fukushima" in "Umwelt und Verbraucher"