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Atomgespräche in Wien
"Tief sitzendes Misstrauen"

Die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm gehen in eine weitere Runde. Diese Entscheidung sei richtig, sagte Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen, im DLF. Die Hürden für eine Lösung lägen vor allem in den USA und im Iran. Er glaubt, Iran wolle die Bombe nicht bauen, es aber theoretisch können.

Omid Nouripour im Gespräch mit Dirk Müller | 25.11.2014
    Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen
    Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen (dpa / Hannibal Hanschke)
    Die Verhandlungen seien "wahnsinnig kompliziert", da das Misstrauen auf beiden Seiten sehr tief sitze. "Dass man der Geschichte eine letzte Chance gibt, ist alles andere als falsch", sagte Nouripour. Man dürfe die Verhandlungen aber nicht ewig ausdehnen.
    Ohne Gespräche könne der Iran sein Atomprogramm ohne jeden Einfluss vorantreiben. Und wenn man sich anschaue, was die Iraner in den letzten Jahren zusammengekauft und welche Fähigkeiten sie angestrebt hätten, dann sei "das nicht das, was man bräuchte für eine zivile Nutzung, sondern ein bisschen mehr. Oder teilweise mehr als ein bisschen mehr." Es müsse belastbar herausgefunden werden, ob das iranische Atomprogramm ein ziviles sei.
    US-Kongress und Irans Ex-Präsident als Hürden für eine Lösung
    Die Probleme für eine politische Lösung lägen vor allem in den USA und im Iran, meint der Grünen-Politiker: Der bald stark von den Republikanern geprägte US-Kongress werde ein Aufheben der Sanktionen erschweren. "Die Mehrheit im nächsten Kongress ab Januar wird gegen alles sein, was (US-Präsident, d. Red.) Obama macht und wird ihn außenpolitisch als Weichei darstellen wollen", sagte Nouripour.
    Gleichzeitig wolle der Hardliner und frühere iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad erneut für das Amt kandidieren, um die Verhandlungen zu torpedieren, da er sie als "Ausverkauf nationaler Interessen" betrachte. Die UNO- und EU-Sanktionen haben den Iran in eine wirtschaftliche Schieflage gebracht.
    Die Bedenken der nicht an den Gesprächen beteiligten Israelis seien derweil nachvollziehbar, sagte Nouripour. "Gerade nach den Drohungen von Ahmadinedschad verstehe ich, dass die Nerven nicht gerade beruhigt sind."

    Das vollständige Interview:
    Dirk Müller: Frank-Walter Steinmeier blickt vor allem nach vorne, auch gestern in Wien bei den Atomverhandlungen mit dem Iran:
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "Wir tragen auch Verantwortung nicht nur für uns sechs, sondern für viele Staaten auf der Welt, insbesondere diejenigen, die im Mittleren Osten, in der Nachbarschaft, aber auch darüber hinaus berechtigte Sicherheitssorgen haben um die Entwicklung des iranischen Atomprogramms."
    Müller: Heute Nacht sollte alles unter Dach und Fach sein - spätestens. Doch es wurde wieder mal nichts, auch wenn noch ein kleines Fünkchen Hoffnung in den Verhandlungs- und Besprechungsräumen in Wien vorhanden war. Wieder kein Ergebnis bei den internationalen Atomgesprächen mit dem Iran. Erneut wird verschoben, allen Beteiligten mehr Zeit gegeben, diesmal gleich bis zum Sommer kommenden Jahres. Russland, China, Großbritannien, Frankreich, die USA und Deutschland sitzen auf der einen Seite des Tisches, die Vertreter aus Teheran auf der anderen Seite. Die entscheidende Frage nach wie vor: Reichert der Iran so viel Uran an, dass daraus Nuklearwaffen entwickelt werden können? Also eine Auseinandersetzung, die seit elf Jahren nun so geht, und die Republikaner in Washington signalisieren, Zugeständnisse an die Mullahs machen wir nicht mit. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem grünen Außenpolitiker und Iran-Kenner Omid Nouripour. Guten Morgen.
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen.
    Müller: Blockieren die Amerikaner jetzt einen Durchbruch?
    Nouripour: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass die Verhandlungen wahnsinnig kompliziert sind, weil auf beiden Seiten das Misstrauen sehr tief ist, und dementsprechend braucht man auch Zeit, dass man tatsächlich vertrauensbildende Maßnahmen bilden kann. Das ist aber ganz, ganz kompliziert und deshalb ist es jetzt nicht so, dass man auf ewig das alles verlängern darf, aber dass man noch eine letzte Chance - und ich hoffe, dass das dann auch funktioniert -, der Geschichte eine letzte Chance gibt, ist alles andere als falsch.
    Müller: Und einfach weitermachen ist per se schon zumindest ein kleiner Erfolg?
    Nouripour: Na ja. Man muss einfach sich eingestehen, dass die internationale Gemeinschaft nicht besonders viele Instrumente hat, um den Iran dazu zu bewegen, eine konstruktive Rolle zu spielen und das Atomprogramm so zu gestalten, dass es überschaubar ist auch für Inspekteure, und in der Situation muss man einfach vergleichen, was war, als wir nicht geredet haben. Als wir nicht geredet haben, gab es keinerlei Erfolge, keinerlei Fortschritte und die Zentrifugen sind weitergelaufen. Deshalb ist es besser, wenn man redet in dieser Situation, weil alles andere wäre ja, dass die Iraner einfach auf die Bombe zusteuern, ohne dass irgendein Einfluss darauf genommen werden kann.
    Müller: Sie haben, Herr Nouripour, das Stichwort schon genannt. Trauen Sie dem Regime in Teheran?
    Nouripour: Das ist der Kern des Problems. Der Kern des Problems ist, dass man mit einem Regime redet, das bei der eigenen Bevölkerung teilweise keinerlei Vertrauen genießt, und da ist es natürlich sehr, sehr schwierig, ein Verfahren zu finden, bei dem man einander vertrauen kann. Der Kern der Auseinandersetzung in den Verhandlungen ist ja auch genau dieses. Es geht ja im Kern nicht darum, exakt darüber sich zu streiten, wie viele Zentrifugen darf es geben und welche nicht, sondern die Frage ist das sogenannte Verifikationsregime, wie überprüft man dann eine Vereinbarung, nachdem sie getroffen worden ist. Und nachdem die Iraner beispielsweise irgendwann mal zugeben mussten, dass sie ganze Anlagen verheimlicht haben, da ist das natürlich nicht ganz so einfach.
    Müller: Auch gestern haben die Iraner ja noch einmal betont, wir wollen die friedliche Nutzung der Kernenergie, wir wollen keine Atomwaffen, das Ganze unterstützt vom moderaten Präsidenten Rohani. Dennoch nur warme Worte?
    "Glaube, die Iraner wollen die Bombe nicht bauen"
    Nouripour: Ich glaube, dass die Iraner nicht die Bombe bauen wollen, aber die Fähigkeit haben wollen, bis kurz davor zu kommen. Das macht den Unterschied deutlich kleiner. Das andere ist: Wenn man sich anschaut, was die Iraner in den letzten Jahren zusammengekauft haben und welche Fähigkeiten sie angestrebt haben, dann ist das einfach nicht exakt das, was man bräuchte für eine zivile Nutzung, sondern dann ist es ein bisschen mehr oder teilweise auch deutlich mehr als ein bisschen mehr, was sie da zusammen haben, und das schafft natürlich das große Misstrauen.
    Müller: Jetzt sagte gestern Morgen der Nahost-Wissenschaftler Michael Lüders hier im Programm, die proisraelische Stimmung im US-Kongress sei so stark, dass kein Kompromiss bei den Sanktionen zustande kommen wird. Liegt er da richtig?
    Nouripour: Ich sehe tatsächlich auch, dass es im Kongress eine Situation gibt, die ein Aufheben der Sanktionen deutlich schwieriger macht. Ob das jetzt mit der Begründung von Herrn Lüders so richtig ist, sei dahingestellt. Ich würde sagen, die Mehrheit im Kongress, im nächsten Kongress, der sich ja ab Januar konstituiert, wird gegen alles sein, was Obama macht, und wird in allem ihn in der Außenpolitik als Weichei darstellen wollen. Das ist nicht in erster Linie wegen Israel. Aber wir haben ja auf der anderen Seite auch die ganzen Hardliner im iranischen Regime, die auch eigentlich die Verhandlungen nicht wollen. Wir haben einen ehemaligen Präsidenten Ahmadinedschad, der verkündet hat, dass er noch mal als Präsident kandidieren wird, unter anderem auch deswegen, weil er die Verhandlungen torpedieren wolle, weil das ja ein Ausverkauf sei der nationalen Interessen des Landes. Aber die Iraner, die verhandeln, die wissen das ja alles. Die wissen ja, dass es ganz schwierig ist für die Amerikaner, und mir wird gesagt, dass es den Iranern reichen würde, wenn die UN-Sanktionen aufgehoben werden und wenn die EU ihre Sanktionen aufhebt und wenn es vor allem keine weiteren gibt. Dann könnten sie verkraften, dass es im Kongress eine andere Stimmung gibt. Aber richtig ist auch: Fatal wäre, es gibt eine Verhandlungslösung, alle freuen sich, übermüdete Verhandler gehen wieder zurück in ihre Hauptstädte, und das erste, was im Kongress passieren würde, wären dann komplett neue weitgehende Sanktionen, die beschlossen werden würden. Das wäre natürlich ziemlich fürchterlich und würde das Ganze möglicherweise hintertreiben.
    Müller: Herr Nouripour, wenn Sie jetzt sagen, die Republikaner sind im Moment aufgrund der gewonnenen Kongresswahlen ohnehin gegen alles, was Barack Obama versucht umzusetzen, mit der israelischen Komponente hat das nicht viel zu tun, dennoch noch einmal die Frage: Die israelische Komponente, die Haltung der israelischen Regierung, die ja alles andere als erfreut darüber ist, dass es diese Fünf-plus-eins-Gespräche mit Teheran gibt, wie groß ist dieser Faktor in der Auseinandersetzung?
    Militärische Eskalation
    Nouripour: Na ja, der ist natürlich da und hoch relevant. Ich würde trotzdem einem Parlament in den USA das jetzt nicht als Hauptbeweggrund unterschieben wollen. Aber natürlich ist es so, dass die Stimme Israels eine relevante und laute ist, gerade auch nach den Drohungen, die es noch und nöcher gegeben hat unter dem ehemaligen Präsidenten Ahmadinedschad gegen Israel, verstehe ich auch, dass da die Nerven jetzt nicht unbedingt beruhigt sind. Aber Fakt ist, dass solange nicht gesprochen wurde, die Zentrifugen einfach weitergelaufen sind, und das ist auch nicht das, was im Sinne Israels sein kann. Fakt ist aber auch, dass wenn die Sanktionen nicht verhängt worden wären wir möglicherweise die eine oder andere unüberlegte Maßnahme, hätten sehen müssen, nämlich militärische Aktionen, die nun wirklich nichts bringen, sondern die Situation eher eskalieren lassen.
    Müller: Aber jetzt schlüpfen wir, Herr Nouripour, einmal in die Perspektive von Benjamin Netanjahu beziehungsweise in die Perspektive Jerusalems. Wenn die Israelis diese Verhandlungen beobachten und es würde im Sommer 2015 dann zu einem Kompromiss, wie immer geartet auch kommen, kann die israelische Regierung das auf jeden Fall akzeptieren?
    Nouripour: In jedem Fall nicht, aber das Entscheidende wird sein, wie gesagt, ob es ein Überprüfungsverfahren gibt, das ermöglicht, dass man wirklich mit Belastbarkeit sagen kann, dass das iranische Atomprogramm ein ziviles ist, und dass die Iraner weg sind von der Bombe.
    Müller: Aber das ist ja auch die Bedingung des Westens.
    Nouripour: Ich habe Sie akustisch nicht verstanden.
    Müller: Entschuldigung. Das ist ja die Bedingung des Westens.
    Nouripour: Ja, das ist richtig, und wenn diese Bedingung erfüllt ist, dann glaube ich, dass es für die Israelis tatsächlich hinnehmbar ist. Natürlich ist die zentrale Frage aber, die für sie noch bleibt: Was ist der Westen dann noch bereit zu tun, wenn die Iraner am Ende doch auch noch das Ergebnis torpedieren würden? Das ist eine berechtigte Frage, aber ich glaube, dass sie jetzt nicht die vorrangigste ist. Die vorrangigste ist, wie man Vertrauen so schaffen kann, dass man tatsächlich ein Ergebnis hinbekommt.
    Müller: Der grüne Außenpolitiker und Iran-Kenner Omid Nouripour. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Nouripour: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.