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Atomindustrie wittert Morgenluft

Rund zehn Prozent des Stroms gewinnen wir mittlerweile aus alternativen Energiequellen wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse. Diese Zahl für das erste Halbjahr gab gestern das Umweltministerium bekannt, und zum ersten mal war sie zweistellig. Im gesamten vergangenen Jahr lag der Anteil den Angaben zufolge bei 7,9 Prozent. Was das Umweltministerium nicht bekannt gab, war der Anteil des Stroms, den wir nach wie vor aus Atom-Kraftwerken beziehen. Der liegt immernoch zwischen 25 und 30 Prozent. In Deutschland ist der Atomausstieg zwar beschlossene Sache, doch international wittert die Atomindustrie Morgenluft. Nicht nur mit der Energiekrise in China bekommt die Branche neue Impulse für den Bau neuer Atomkraftwerke. Der CO2-Ausstoß und der hohe Ölpreis heizen die Diskussion weiter an. Wird die Kernkraft auch in den nächsten Jahrzehnten dominant bleiben bei der Energieversorgung?

Von Dieter Nürnberger |
    Rund 440 Atommeiler sind derzeit weltweit im Betrieb. Und knapp 30 werden gebaut. Diese Zahlen geben den Befürwortern der Kernenergie Auftrieb. In Deutschland produzieren 19 Atommeiler Strom und im vergangenen Jahr konnten sie ihre Leistung auf 165 Milliarden Kilowattstunden steigern. Zudem baut derzeit ein französisch-deutsches Konsortium in Finnland einen neuen Reaktor, der Typus EPR, der Europäische Druckwasserreaktor, wird hier erstmals zum Einsatz kommen. Von einer Renaissance der Atomkraft will Christian Wilson, Sprecher des Deutschen Atomforums, deshalb nicht sprechen – denn sie sei ja nie vorbei gewesen, die zivile Nutzung der Kernenergie. Er sieht die Argumente auf seiner Seite.

    Zum einem die Preisstabilität, der Brennstoff Uran ist weltweit recht preisgünstig vorhanden und er macht in Bezug auf die Stromkosten nur einen sehr geringen Teil aus. Das zweite Argument ist natürlich die Versorgungssicherheit. Hier muss man sagen, dass die Kernkraftwerke nahezu das gesamte Jahr am Netz sind, dass sie rund um die Uhr Strom produzieren können. Und natürlich auch der Klimaschutz, denn bei der Produktion von Strom durch Kernenergie entsteht kein CO2.

    Der Streit um die Nutzung der Atomenergie war eine der großen ideologischen Auseinandersetzungen vor allem in den siebziger Jahren. Vor vier Jahren wurde der Atomkonsens zwischen der rot-grünen Bundesregierung und der Energiewirtschaft unterzeichnet. Das letzte Kernkraftwerk soll demnach 2021 vom Netz gehen. Als sich nun der Störfall im japanischen AKW Mihama ereignete, waren die alten Grabenkämpfe schnell wieder spürbar. So fordert die Organisation "Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs" unverzüglich alle deutschen Reaktoren abzuschalten. Keine Abstriche am eingeschlagenen deutschen Weg des Ausstiegs sieht Bundesumweltminister Jürgen Trittin.

    Es bleibt als Fazit, es wird viel von interessierter Seite über eine Renaissance der Atomkraft geschwätzt, aber Penetranz ist noch keine Renaissance. Es bleibt nach wie vor richtig, dass neue Atomkraftwerke zu teuer sind, nicht wettbewerbsfähig sind. Und dass neben dem Unfallrisiko, welches bis heute nicht beherrscht ist, die Frage der sicheren Lagerung des Atommülls weltweit bis heute nirgends überzeugend gelöst ist.

    Die Frage ist: Gibt es neue Argumente für oder wider der Nutzung der Kernenergie? Die Atomwirtschaft nennt zwei Entwicklungsziele der Reaktoren einer neuen Generation. Zum einen die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, aber auch der Sicherheit. Atomforum-Sprecher Christian Wilson.

    Sollte dieser recht unwahrscheinliche Fall eintreten, dass eine Kernschmelze durch die Verkettung unglücklicher Umstände doch zustande käme, so wäre dies auf jeden Fall auf das Containment beschränkt. Das heißt, außerhalb des Kraftwerkes müsste eine Evakuierung nicht getroffen werden. Das ist die Vorgabe nach der beispielsweise auch EPR konstruiert ist, der europäische Druckwasserreaktor.

    Doch eine hundertprozentige Sicherheit kann es bekanntermaßen nicht geben. Die derzeitige Diskussion ist aber im Vergleich etwa zu den siebziger Jahren sachlicher geworden. Beide Seiten wollen für die Zukunft einen Energie-Mix – nur wird Unterschiedliches darunter verstanden. Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit stehen im Vordergrund. Rund 28 Prozent der Brutto-Stromerzeugung kommt hierzulande aus der Nutzung der Kernenergie. Das diese emissionsfreie Technik ein Garant für die Erreichung der ehrgeizigen deutschen Klimaschutzziele sei, weist der grüne Umweltminister aber zurück.

    Atomkraft hilft bei der Erreichung der Klimaziele überhaupt gar nicht. Wie könnte es sonst passieren, dass in dem Land, wo ein Viertel der Atomkraftwerke in der Welt stehen – in den USA – fast zweieinhalb mal soviel emittiert wird wie in Europa. Offensichtlich führt der Einsatz der Atomenergie zu einer massiven Verschwendung von Energie. Und somit sind die, die die meisten Atomkraftwerke auf dieser Welt betreiben, auch gleichzeitig die größten Klimasünder.

    Fakt ist, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten ein Großteil der deutschen Kraftwerkskapazitäten erneuert oder ersetzt werden muss. Rot-Grün hofft dabei auf einen immensen Ausbau der Erneuerbaren Energien und auch auf die Entwicklung emissionsfreier Kohleverstromung. Das Deutsche Atomforum sieht aufgrund vieler Fragezeichen beim künftigen Energie-Mix zumindest nicht allzu pessimistisch nach vorn.

    Natürlich kann ein Regierungswechsel kommen, es könne sich politische Mehrheiten ändern. Die können auch wieder anders über die Kernenergie entscheiden. Wichtig für die Unternehmen hier und heute ist: Sie stehen zur Vereinbarung, die gilt. Unabhängig von der Regierung – es wird mit Sicherheit neu über die Kernenergie nachgedacht werden müssen. Die Kernenergie nimmt 30 Prozent bei der Stromversorgung ein, sie zu ersetzen und gleichzeitig die Klimaziele für Kyoto zu erfüllen, das dürfte sehr schwer werden.

    Und wahrscheinlich wird über eine weitere Option für die hiesigen Kernkraftbetreiber auch gar nicht in Deutschland allein entscheiden. Zu viel spielt da eine Rolle. Die Entwicklung des Ölpreises etwa, auch die Sicherheitslage in vielen Ländern der Welt. Nicht zuletzt aber die technische Entwicklung - und hier hoffen beide Seiten – die Gegner der Atomkraft auf die schnelle Entwicklung effizienter Alternativen – und die Befürworter auf eine neue, und nachweisbar sichere Reaktorengeneration.