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Atomkraft-Lobby sieht sich im Aufwind

Atomkonsens heißt die Vereinbarung zwischen Energiewirtschaft und Bundesregierung, die den Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft besiegelt, doch von Konsens kann keine Rede sein: Die deutsche Atomwirtschaft hat nie Zweifel daran gelassen, dass sie die Kernkraftwerke lieber weiter betreiben würde. Zur Zeit läuft die Jahrestagung Kerntechnik 2005 und bei dieser Veranstaltung gibt die Atomwirtschaft die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland bekannt

Von Ulrike Nikola | 12.05.2005
    Die Kernenergie-Lobby sieht die Atomkraft weltweit im Aufwind - vor allem wegen ständig steigender Preise für konventionelle Energie. Selbst in Deutschland wurde im vergangenen Jahr soviel Atomstrom produziert wie nie zuvor - nämlich 167 Milliarden Kilowattstunden - das ist es mehr als ein Viertel der gesamten Stromerzeugung in Deutschland. Das bayerische Kernkraftwerk ISAR 2 wurde zum wiederholten Male als erfolgreichstes weltweit gekürt, wobei es in der Bewertung allein um die Produktivität geht. Doch trotz verhaltener Euphorie unter den Vertretern der Kernenergie-Branche ist nach wie vor eines der drängendsten Probleme ungelöst: die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Ralf Güldner, Vorsitzender der Kerntechnischen Gesellschaft, fordert daher eine Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung:

    "Die Endlagerung ist aus unserer Sicht technisch gelöst, und hätte die rot-grüne Bundesregierung nach der Amtsübernahme nicht ein Moratorium eingeführt und die weiteren Erkundungen gestoppt, dann hätten wir schon längst eine klare Entscheidung, dass der Salzstock in Gorleben geeignet ist und möglicherweise die beste Formation weltweit für ein solches Endlager. Wir waren weltweit in Führung und haben diese Rolle im Moment aufgegeben, aber es ist noch nicht zu spät und deshalb ist unsere erste Forderung, das Moratorium aufzuheben und ergebnisoffen die Untersuchungen in Gorleben zu Ende zu führen. "

    Wie gut oder wie schlecht sich der 800 Meter tief gelegene Salzstock tatsächlich für die Lagerung von Atommüll eignet, müssten Geologen noch abschließend klären. Das Eisenbergwerk bei Salzgitter ist dagegen als Lager für schwachradioaktive Abfälle politisch bereits vom Land Niedersachsen genehmigt, doch es laufen noch zwei Klagen dagegen vor Gericht. Selbst grüne Parteifreunde von Bundesumweltminister Jürgen Trittin sind enttäuscht, dass eine neue Endlagersuche bislang nicht in Sicht ist. Ab 1. Juli dürfen auch keine radioaktiven Abfälle mehr ins Ausland gebracht werden. Zur Zeit lagern sie an den jeweiligen Kernkraftwerk-Standorten. Bruno Thomauske vom drittgrößten deutschen Energiekonzern Vattenfall bereitet das Sorgen:

    "Sie lagern am Standort in Zwischenlagerhallen, aber es ist eine ständige Überwachung und Kontrolle notwendig. Das ist temporär vertretbar, aber langfristig muss in geologisch tiefen Formationen gelagert werden und es muss eine Lösung gefunden werden. "
    In der Öffentlichkeit ist die Diskussion über Atomkraft anscheinend sachlicher und weniger emotional geworden. Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag des Deutschen Atomforums sind mittlerweile 52 Prozent der Bevölkerung der Ansicht, dass die Bedeutung der Kernenergie in Deutschland in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren gleich bleiben bzw. steigen wird. Vor vier Jahren waren nur 37 Prozent dieser Auffassung. Vor allem jungen Menschen fehlt die Erfahrung von Tschernobyl, als 1986 auch in Deutschland der Bequerelwert bei Lebensmitteln wichtiger wurde als die Kalorienzahl. Das erlebt auch Johann Seidl, Leiter des Informationszentrums ISAR 1 und 2 bei Führungen:
    "Ich finde, dass es ein großer Stimmungswandel ist, dass die Jugend viel offener zur Kernenergie ist, und wenn ich mit Jugendlichen diskutiere, die einen Lehrer haben, der einer aus der Alt-68er-Generation ist und mit lila Shirt anrückt, dass sie sich in Opposition zum Lehrer ideologiefrei entscheiden wollen: Was ist vernünftiger? Was ist ökologischer? Was ist ökonomischer? "

    Beim Thema Ökologie halten die Atomkraft-Befürworter den Trumpf namens Klimaschutz in der Hand. Im Kyoto-Protokoll haben sich inzwischen 148 Länder verpflichtet, den weltweiten Ausstoß von sechs Treibhausgasen bis 2012 um mindestens 5,3 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren - und dabei helfen unter anderem weitere Kernkraftwerke. Allein in Deutschland werden durch die Kernenergie soviel Co2-Emissionen vermieden wie jährlich im gesamten Straßenverkehr ausgestoßen werden. Ralf Güldner, Vorsitzender der Kerntechnischen Gesellschaft, hofft immer noch auf eine Wende in der Energiepolitik - beispielsweise durch einen Regierungswechsel:

    "Wir haben hervorragend funktionierende Kraftwerke: Fünf unserer Anlagen waren unter den Top Ten der Weltrangliste - in einem technisch hervorragenden Zustand. Wir würden mit der Abschaltung wertvolle Stromerzeugungskapazitäten abschalten und Investitionen in Deutschland vernichten. "