Mittagspause im Atomkraftwerk Ignalina im Nordosten Litauens. In der Kantine reden die Angestellten seit Monaten nur über ein einziges Thema: Die für Ende 2009 vorgesehene Abschaltung des zweiten Blocks, die im Beitrittsvertrag mit der EU festgeschrieben wurde. Fast alle denken wie dieser Techniker:
"Am besten wäre es doch, unser Atomkraftwerk so lange am Netz zu lassen, bis die Ressourcen verbraucht sind." "
Seit 1987 ist der Reaktor des Tschernobyl-Typs in Betrieb. Der erste Block wurde fristgerecht Ende 2004 vom Netz genommen, der zweite produziert zwei Drittel des in Litauen verbrauchten Stroms. Generaldirektor Viktor Schewaldin hofft, dass er die Anlage nicht am 31. Dezember 2009 abschalten muss:
"Es ist ein rein politisches Datum, es gibt keinen technischen Grund. Unser Atomkraftwerk ist noch bis 2012 oder 2013 einsatzfähig. Fest steht jedoch: Bis das neue AKW ans Netz geht, können wir es nicht betreiben."
Dies ist die große Sorge der Regierung in Vilnius: Wird Ignalina geschlossen, ist Litauen von Russland abhängig, denn wie Estland und Lettland hängt Litauen am alten, sowjetischen Energienetz. Zusammen mit Polen wollen die baltischen Staaten ein neues Kernkraftwerk bauen, doch dies wird frühestens in zehn Jahren fertig sein. Aleksandras Abisala, ein ehemaliger Premierminister, soll nun als Unterhändler der Regierung mit der EU-Kommission einen Weg finden, wie Litauen ab 2010 Energie zu bezahlbaren Preisen bekommt. Vilnius zweifelt aus eigener Erfahrung an der Zuverlässigkeit Moskaus als Energie-Lieferant, denn seit 2006 wird die Öl-Pipeline Druschba wegen angeblicher Mängel blockiert. Abisala betont, es gehe um Energiesicherheit und nicht um eine längere Laufzeit von Ignalina. Dies sei nur eine Option. Alle Parteien und viele Gewerkschaften sammeln jedoch Unterschriften für ein Referendum mit diesem Ziel. Einer der Initiatoren ist der liberale Abgeordnete Gintaras Stepanovicius:
"Wir erwarten, dass unsere Abhängigkeit von Russland steigen wird, solange die geplanten Verbindungen zum europäischen Stromnetz über Polen und Schweden nicht fertig sind. Alle Schätzungen besagen, dass sich der Preis für Energie verdoppeln wird."
Natürlich weiß Stepanovicius, dass das Ergebnis eines Referendums keine rechtliche Wirkung haben würde. Hintergrund der Aktion: Am 12. Oktober wählt Litauen ein neues Parlament und keine Partei will sich vorhalten lassen, nicht alles gegen die steigenden Energie-Preise getan zu haben. Insgesamt sind 300.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung nötig, schon im ersten Monat haben sich mehr als 100.000 Litauer in die Listen eingetragen.
"Ich bin Kindergärtnerin. Die Gehälter für Lehrer und Pädagogen sind nicht hoch, schon jetzt gebe ich ein Drittel meines Geldes für Strom, Heizung und Benzin aus. Das Schlimme ist aber, dass nach 2010 alle Produkte teurer werden, denn die Firmen und Fabriken müssen auch mehr für Energie und Transport bezahlen." "
Die meisten Litauer sehen Atomenergie positiv, denn in den letzten zwanzig Jahren gab es keine Zwischenfälle, der Strom sei günstig und der Ausstoß an Kohlendioxid gering. Zwar wissen die Bürger, dass sie 2003 in einem Referendum dem Beitritt zu Europäischen Union zugestimmt haben. Die Konsequenzen für Ignalina seien aber niemandem klar gewesen:
"Als wir damals abgestimmt haben, spielte das Thema keine Rolle. Die EU-Mitgliedschaft war sehr wichtig für uns, doch die Frage von Ignalina und der Energie stand nicht auf dem Wahlzettel, sondern nur Ja oder Nein."
Chefunterhändler Abisala versucht, die Erwartungen zu dämpfen. In Interviews erklärte er, die Erfolgschancen lägen bei fünf Prozent. Kein Wunder, die Reaktion aus Brüssel von Energiekommissar Piebalgs ist eindeutig: Der Vertrag muss eingehalten werden. Der Vertreter der EU-Kommission in Litauen, Kestutis Sadauskas, weist darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon die anderen EU-Mitglieder verpflichtet, Litauen in einer Notsituation beizustehen. Dieses Worst-case-Szenario sei jedoch unwahrscheinlich - es werde keinen Blackout geben. Sadauskas empfiehlt, durch andere Maßnahmen die drohende Abhängigkeit zu verringern:
"Litauen sollte in erneuerbare Energien investieren, etwa in Windkraft. Zudem muss das Land endlich das Thema Energiesparen angehen und sowohl Firmen als auch Bürger zum Umdenken bewegen. Egal ob Wärmedämmung oder bessere Heizungen - es gibt riesiges Potenzial."
Noch 2008 muss eine Entscheidung fallen, denn es dauert ein Jahr, um die Abschaltung vorzubereiten. Zwischen 1000 und 2000 Arbeiter werden gebraucht, um den Reaktor stillzulegen. Einige spekulieren auf Jobs im neuen AKW, doch die meisten sind pessimistisch:
"Wenn der zweite Block geschlossen wird, werden viele Leute wegziehen. Die Älteren werden wohl nach Russland gehen und die Jungen suchen eine bessere Zukunft im Westen."
"Am besten wäre es doch, unser Atomkraftwerk so lange am Netz zu lassen, bis die Ressourcen verbraucht sind." "
Seit 1987 ist der Reaktor des Tschernobyl-Typs in Betrieb. Der erste Block wurde fristgerecht Ende 2004 vom Netz genommen, der zweite produziert zwei Drittel des in Litauen verbrauchten Stroms. Generaldirektor Viktor Schewaldin hofft, dass er die Anlage nicht am 31. Dezember 2009 abschalten muss:
"Es ist ein rein politisches Datum, es gibt keinen technischen Grund. Unser Atomkraftwerk ist noch bis 2012 oder 2013 einsatzfähig. Fest steht jedoch: Bis das neue AKW ans Netz geht, können wir es nicht betreiben."
Dies ist die große Sorge der Regierung in Vilnius: Wird Ignalina geschlossen, ist Litauen von Russland abhängig, denn wie Estland und Lettland hängt Litauen am alten, sowjetischen Energienetz. Zusammen mit Polen wollen die baltischen Staaten ein neues Kernkraftwerk bauen, doch dies wird frühestens in zehn Jahren fertig sein. Aleksandras Abisala, ein ehemaliger Premierminister, soll nun als Unterhändler der Regierung mit der EU-Kommission einen Weg finden, wie Litauen ab 2010 Energie zu bezahlbaren Preisen bekommt. Vilnius zweifelt aus eigener Erfahrung an der Zuverlässigkeit Moskaus als Energie-Lieferant, denn seit 2006 wird die Öl-Pipeline Druschba wegen angeblicher Mängel blockiert. Abisala betont, es gehe um Energiesicherheit und nicht um eine längere Laufzeit von Ignalina. Dies sei nur eine Option. Alle Parteien und viele Gewerkschaften sammeln jedoch Unterschriften für ein Referendum mit diesem Ziel. Einer der Initiatoren ist der liberale Abgeordnete Gintaras Stepanovicius:
"Wir erwarten, dass unsere Abhängigkeit von Russland steigen wird, solange die geplanten Verbindungen zum europäischen Stromnetz über Polen und Schweden nicht fertig sind. Alle Schätzungen besagen, dass sich der Preis für Energie verdoppeln wird."
Natürlich weiß Stepanovicius, dass das Ergebnis eines Referendums keine rechtliche Wirkung haben würde. Hintergrund der Aktion: Am 12. Oktober wählt Litauen ein neues Parlament und keine Partei will sich vorhalten lassen, nicht alles gegen die steigenden Energie-Preise getan zu haben. Insgesamt sind 300.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung nötig, schon im ersten Monat haben sich mehr als 100.000 Litauer in die Listen eingetragen.
"Ich bin Kindergärtnerin. Die Gehälter für Lehrer und Pädagogen sind nicht hoch, schon jetzt gebe ich ein Drittel meines Geldes für Strom, Heizung und Benzin aus. Das Schlimme ist aber, dass nach 2010 alle Produkte teurer werden, denn die Firmen und Fabriken müssen auch mehr für Energie und Transport bezahlen." "
Die meisten Litauer sehen Atomenergie positiv, denn in den letzten zwanzig Jahren gab es keine Zwischenfälle, der Strom sei günstig und der Ausstoß an Kohlendioxid gering. Zwar wissen die Bürger, dass sie 2003 in einem Referendum dem Beitritt zu Europäischen Union zugestimmt haben. Die Konsequenzen für Ignalina seien aber niemandem klar gewesen:
"Als wir damals abgestimmt haben, spielte das Thema keine Rolle. Die EU-Mitgliedschaft war sehr wichtig für uns, doch die Frage von Ignalina und der Energie stand nicht auf dem Wahlzettel, sondern nur Ja oder Nein."
Chefunterhändler Abisala versucht, die Erwartungen zu dämpfen. In Interviews erklärte er, die Erfolgschancen lägen bei fünf Prozent. Kein Wunder, die Reaktion aus Brüssel von Energiekommissar Piebalgs ist eindeutig: Der Vertrag muss eingehalten werden. Der Vertreter der EU-Kommission in Litauen, Kestutis Sadauskas, weist darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon die anderen EU-Mitglieder verpflichtet, Litauen in einer Notsituation beizustehen. Dieses Worst-case-Szenario sei jedoch unwahrscheinlich - es werde keinen Blackout geben. Sadauskas empfiehlt, durch andere Maßnahmen die drohende Abhängigkeit zu verringern:
"Litauen sollte in erneuerbare Energien investieren, etwa in Windkraft. Zudem muss das Land endlich das Thema Energiesparen angehen und sowohl Firmen als auch Bürger zum Umdenken bewegen. Egal ob Wärmedämmung oder bessere Heizungen - es gibt riesiges Potenzial."
Noch 2008 muss eine Entscheidung fallen, denn es dauert ein Jahr, um die Abschaltung vorzubereiten. Zwischen 1000 und 2000 Arbeiter werden gebraucht, um den Reaktor stillzulegen. Einige spekulieren auf Jobs im neuen AKW, doch die meisten sind pessimistisch:
"Wenn der zweite Block geschlossen wird, werden viele Leute wegziehen. Die Älteren werden wohl nach Russland gehen und die Jungen suchen eine bessere Zukunft im Westen."