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Atommüll-Kommission
"Richtige Bürgerbeteiligung findet nicht statt"

Die Atommüll-Kommission des Bundestages soll Kriterien festlegen, denen ein künftiges Endlager genügen muss. Jetzt haben Greenpeace und die Bürgerinitiative "Ausgestrahlt" eine für den 3. November geplante Anhörung abgesagt. "Unsere Argumente werden nie ernst genommen", begründet "Ausgestrahlt"-Sprecher Jochen Stay den Schritt.

Jochen Stay im Gespräch mit Jule Reimer | 29.10.2014
    Ein Schild weist am in Gorleben den Weg zum Erkundungsbergwerk. Der Name des Dorfs ist seit Jahren wegen 113 Behältern radioaktiven Mülls bekannt, die im Wald auf ein Endlager warten.
    "Dort wo der Atommüll lagert, müssen die Betroffenen von vorneherein einbezogen werden." (picture alliance / dpa)
    Jule Reimer: Deutschland braucht ein Endlager für Atommüll. Doch wirklich voran kommt die Bundesregierung bei der Suche noch nicht, nachdem Gorleben vorerst weitgehend dicht gemacht wird. Jetzt haben zudem Greenpeace und die Bürgerinitiativen "Ausgestrahlt" und "Umweltschutz Lüchow-Dannenberg" der Atommüll-Kommission des Bundestages einen Korb gegeben. Diese soll unter anderem Kriterien festlegen, denen ein künftiges Endlager genügen muss. Eine Anhörung am 3. November war geplant. Am Telefon in Hamburg ist Jochen Stay, Sprecher von "Ausgestrahlt". Herr Stay, warum diese Absage?
    Jochen Stay: Wir haben den Eindruck gewonnen, dass in dieser Kommission nicht wirklich ernsthaft geschaut wird, wie man diesen gesellschaftlichen Konflikt um Atommüll lösen kann. Wir haben ja immer wieder in der Diskussion um das Gesetz, um die Einrichtung dieser Kommission unsere Argumente vorgetragen und mussten feststellen, dass diese Argumente nie ernst genommen werden, und deswegen haben wir jetzt auch nicht das Vertrauen, dass es diesmal anders sein sollte. Wir sollten dort zehn Minuten sagen, was wir an diesem Gesetz für falsch halten, und unser Eindruck ist, dass es mehr darum geht, hinterher sagen zu können, wir haben die Kritiker ja auch angehört, als wirklich sich mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen.
    Reimer: Die Atommüll-Kommission des Bundestages soll neben dieser Kriterienauswahl für eine Endlagersuche und der Überarbeitung des Endlagersuchgesetzes auch neue Instrumente der Bürgerbeteiligung entwickeln. Vergeben Sie da nicht auch eine Chance, Einfluss zu nehmen?
    Stay: Wir wollen sehr gerne Einfluss nehmen. Wir wollen bei der Frage, wie können wir den Atommüll zukünftig möglichst sicher lagern, das ist uns ein ganz wichtiges Anliegen. Deswegen machen wir auch immer wieder das Angebot an die Politik, sich wirklich in einer Art und Weise an den Tisch zu setzen, die wirklich ein gemeinsames Arbeiten an diesem Problem ermöglicht. Die Kommission ist für uns nicht der Platz. Richtige Bürgerbeteiligung findet zum Beispiel in der Kommission überhaupt nicht statt. Die tagt jetzt seit einem halben Jahr und bekommt es noch nicht mal hin, die Dokumente, über die in dieser Kommission gesprochen wird, vorher ins Internet zu stellen, sodass Bürgerinnen und Bürger sich informieren können. Von daher ist das alles, was bisher passiertist, auch wie das Gesetz entstanden ist, genau das Gegenteil von Bürgerbeteiligung. Wir sagen, die Betroffenen, dort wo der Atommüll lagert, jetzt schon lagert, die müssen von Anfang an mit einbezogen sein.
    Die Vorsitzenden machen eine ganz schlechte Figur
    Reimer: Geleitet wird die Atommüll-Kommission des Bundestages von der CDU-Politikerin Ursula Heinen-Esser und dem wirklich umwelterfahrenen SPD-Politiker Michael Müller. Das sind beides Personen, denen viele eine unabhängige Moderation zutrauen. Warum Sie nicht?
    Stay: Ich habe mir bisher jede Sitzung der Kommission vor Ort angeschaut. Ich versuche, nur das zu kritisieren, was ich auch selber genau beobachtet habe, und ich muss feststellen, dass beide zwar politisch sehr erfahren sind, aber in der Moderation eines solchen Prozesses erlebe ich sie, ich kann es nicht anders sagen, als äußerst dilettantisch. Ich erlebe, dass auch viele Kommissionsmitglieder das extrem kritisch sehen und dass die Kommission es im letzten halben Jahr praktisch noch gar nicht geschafft hat, in die inhaltliche Arbeit einzusteigen, hat auch damit zu tun, dass die Vorsitzenden da eine ganz schlechte Figur abgeben.
    Reimer: Es gibt andere Umweltverbände, die das nicht so radikal sehen.
    Stay: Nun, es gibt insgesamt einen Zusammenschluss aller Anti-Atom-Bürgerinitiativen, die sich alle gegen die Mitarbeit in dieser Kommission ausgesprochen haben. Es gibt zwei Organisationen, die dort mit am Tisch sitzen. Alle anderen haben gesagt, das ist für sie nicht das Forum, in dem wir diesen Konflikt wirklich Erfolg versprechend voranbringen können.
    Reimer: Das sind unter anderem der BUND?
    Stay: Ganz genau, wobei im BUND selbst ist das auch hochgradig umstritten. Ich weiß nicht, ob der BUND wirklich bis zum Ende der Kommissionsarbeit dort am Tisch bleiben wird. So wie die Kommission bisher gearbeitet hat, glaube ich, wird es problematisch. Wir haben ja aktuell eine massive Belastung auch der Kommissionsarbeit zusätzlich, weil die Stromkonzerne, die mit drei Personen da mit am Tisch sitzen, jetzt eine Klage gegen dieses Gesetz, was Grundlage der Kommission ist, angekündigt haben mit der Begründung, es bestehe überhaupt keine Notwendigkeit, eine Alternative für Gorleben zu suchen. Da wird immer davon gesprochen, es gäbe schon bereits einen gesellschaftlichen Konsens, und das zeigt aber, diese Klage der Stromkonzerne, dass es vor dem Gesetz nötig gewesen wäre, mit allen Beteiligten zu schauen, wie findet man überhaupt einen Gesprächsprozess, der zu einem Ergebnis führt. So wie es jetzt aussieht, bin ich sehr pessimistisch, ob wir wirklich zu einem Ergebnis kommen.
    Reimer: Jochen Stay, Sprecher von "Ausgestrahlt", über die Ablehnung mehrerer Umweltverbände, in der Atommüll-Kommissionsanhörung am 3. November aufzutreten. Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.