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Atomstrom für alle

Strom aus Atom liegt im Trend, weltweit. Mehr als 50 Länder wollen derzeit neu in die Technologie einsteigen, darunter auch Entwicklungsländer wie Vietnam oder politisch instabile Staaten wie der Sudan oder Nigeria. Das einzige Atomkraftwerk Afrikas steht in Südafrika. Das Land am Kap entwickelt einen neuen Reaktor, mit dem es Atomstrom in alle Welt bringen will.

Von Dagmar Röhrlich | 30.11.2008
    "Wir haben in den vergangenen Jahren eine Art Renaissance im Interesse an Kernkraftwerken erlebt."

    Sprecher: China hat neue Reaktoren am Netz, Indien, Südkorea, Japan, Russland, die Ukraine auch - und bald wird der erste Reaktor des Iran Strom produzieren.

    "Viele Länder reden über Neubauten, auch solche, die heute noch gar keine Reaktoren besitzen."

    Finnland baut, Frankreich baut, Russland, Südkorea, Pakistan, China und die USA.

    "In den vergangenen beiden Jahren haben bei uns 50 Länder wegen der möglichen Einführung von Kernkraftwerken nachgefragt."

    Italien träumt von Reaktoren, Ägypten, Thailand, Malaysia, Vietnam, Weißrussland, Jemen, Nigeria, Senegal, der Sudan, Uganda, Algerien, Marokko....

    Weit mehr als anderthalb Milliarden Menschen leben ohne Strom. Wo sie wohnen, gibt es keinen oder sie können ihn sich nicht leisten. Damit sind sie vom 21. Jahrhundert abgeschnitten, denn Strom ist die Basis von allem.

    "Nuclear is our future!"

    "Kernenergie ist unsere Zukunft" erklärt die Lautsprecherstimme im MTN Cape Town Science Center, das in einer großen Shopping-Mall für die neue Mittelschicht vor allem Familien anlockt. Zwischen Schuh- und Handyläden, Kleidergeschäften und Restaurants gastiert eine Ausstellung über Wissenschaft. In der ersten Halle geht es um Saurier, den Klimawandel, die Kunst des Segelns – in der zweiten um einen neuen innovativen Reaktor made in Südafrika: den Kugelhaufenreaktor, dessen Patente man aus Deutschland gekauft hat. Kugelhaufenreaktoren gelten als sicher: In ihnen soll es nie zur Kernschmelze kommen, das ist die Botschaft. Vielleicht wird in zwei Jahren einer in Kapstadt gebaut.

    "I don‘t care whether we use nuclear energy, as long as I have electricity to charge my i-pod like whatever…."

    Der Werbeslogan fasst zusammen, was viele Südafrikaner denken: Wen interessiert es, wie der Strom produziert wird, solange er fließt - denn hier kämpft man mit Black outs. Das Land, das als erstes in Afrika den Sprung in die Liga der Industrienationen schaffen könnte und das Anfang der 90er Jahre noch Kraftwerke abschaltete, weil es zu viel Strom hatte, klagt nun über Versorgungsengpässe. Weil in Südafrika von der Wohnungsheizung bis zur Metallschmelze alles am Strom hängt, ist der Bedarf explodiert: durch das stabile Wirtschaftswachstum ebenso wie durch die groß angelegte Elektrifizierungskampagne, dank der seit dem Ende der Apartheit auch weite Teile der schwarzen Bevölkerung ans Netz angeschlossen wurden. Gleichzeitig baute der staatliche Betreiber Eskom keine neuen Kraftwerkskapazitäten auf - die Regierung betrachtete das als nachrangig und wollte außerdem lieber Investoren von außen anlocken, die wegen der niedrigen Strompreise aber nicht interessiert waren. Die Rechnung kam 2004:

    "Plötzlich gab es überall Stromausfälle. Bergwerke mussten schließen, Menschen strandeten irgendwo. Es war ein Schock, denn wir Südafrikaner hatten gedacht, dass so etwas bei uns nicht vorkommt."

    Christina Scott ist Autorin und lebt als allein erziehende Mutter in Kapstadt, in einer gutbürgerlichen Wohngegend am Fuß des Tafelbergs. Für die temperamentvolle Frau sind Stromausfälle zwar lästig, aber keine Katastrophe. Ihre Gasöfen, der große Wassertank im Garten und die im Notfall batteriegestützte Alarmanlagen puffern für sie persönlich die Folgen ab. Für die Armen sieht das anders aus. Scott:

    "In dem Slum hier in der Nähe kann ein Stromausfall eine Frage von Leben oder Tod sein. Während der Black-outs kommen die Banden, dann sind Frauen und Kinder nicht sicher."

    Viele kleine Händler seien bankrott gegangen, weil sie für die beim Black out verdorbenen oder gestohlenen Waren keine Entschädigung bekommen. Stromausfälle treffen die Leute in ihrem täglichen Leben: Sie können weder kochen, noch waschen, nicht warm duschen. Und nicht nur das. Christina Scott:

    "In Nigeria sind kürzlich zwei Drittel der Stromkapazität ausgefallen. Der Strom kam und ging, die Generatoren mussten eine Menge aushalten. Auch der, der ein Medikamentenlager mit Energie versorgte, in dem fast alle antiretroviralen Medikamente für Westafrika gelagert waren. Der Generator explodierte - und die Medikamente gingen verloren. Black Outs haben verrückte Nebenwirkungen, an die man niemals denken würde."

    In Ländern, in denen Strom knapp ist, läuft die Entwicklung auf Sparflamme. Eine moderne Industrie, Informationstechnologien, Jobs und Wohlstand - alles hängt am Strom. Deshalb hungert man auf der ganzen Welt danach.

    "Zu den vielen Mitgliedsländen der IAEA gehören die reichsten wie auch die ärmsten Staaten der Welt. Gerade von ihnen haben viele große Energieprobleme, und sie wollen unbedingt den Lebensstandard ihrer Bevölkerung heben. Dann denken sie über Kernkraftwerke nach."

    Ian Facer ist Experte für Nuklearstrom bei der IAEA. Weltweit, erklärt er, sind derzeit in rund 30 Ländern etwa 440 Reaktoren am Netz. Weitere 30 sind im Bau, wobei sich der Schwerpunkt weg von den klassischen Nuklearnationen hin nach Asien verschoben hat. Und: 50 Länder, die heute noch keinen Atomstrom produzieren, haben bei der IAEA ihr Interesse am Einstieg bekundet, erklärt Hans-Holger Rogner, der bei der Internationalen Atomenergieagentur IAEA in Wien für Konzepte zur nachhaltigen Entwicklung zuständig ist:

    "Dafür gibt es viele Gründe: die sehr hohen Preise für die fossilen Brennstoffe Öl, Gas und Kohle. Außerdem ist der Aspekt der Versorgungssicherheit bedeutsam geworden, da bei Öl und Gas viele Importe aus politisch instabilen Regionen kommen, und dann ist da natürlich noch der Klimawandel. Deshalb sind viele Staaten wieder an der nuklearen Option interessiert."

    Es ist der Blick in die Zukunft, der die Kernenergie verlockend erscheinen lässt. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology in Boston kommt zu dem Schluss, dass die derzeit verkauften Anlagen in einem deregulierten Strommarkt noch nicht mit Kohle oder Gas mithalten können. Allerdings betonen die Autoren das "noch": Die Preise für die fossilen Energieträger klettern - durch ihre Endlichkeit, durch politische Krisen und den Kohlendioxidhandel, sobald er ernsthaft anläuft. Ian Facer:

    "Jede Anlage, egal ob Nuklear, Kohle, Gas oder Öl, läuft etwa 60 Jahre lang. Also werden unsere Enkelkinder sie am Ende betreiben. Im Lauf von 60 Jahren werden die Preise der fossilen Energieträger sehr viel stärker anziehen als die von Uran. Außerdem ist bei Gas, Kohle oder Öl der Einfluss der Brennstoffkosten auf den Verbraucherpreis viel höher als bei Kernkraftwerken. Verdoppeln sich die Gaskosten, klettert der Preis für den Strom um 75, 80 Prozent. Verdoppelt sich der Preis für Uran, sind es fünf oder sechs Prozent."

    Wegen der niedrigen Betriebskosten spielt die Zeit für den Atomstrom, glaubt Ian Facer. Selbst die Golfstaaten interessieren sich dafür. Bahrain, Oman, Qatar und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen Meerwasser mit nuklearer Prozesshitze entsalzen. Um Strom hingegen geht es Staaten wie Burundi, Kongo und Kap Verde, die der Wiener Organisation beigetreten sind, ebenso Ghana, das gerade eine nationale Atomaufsicht gründet. Die internationale Finanzkrise könnte zwar den einen oder anderen Traum platzen lassen, aber wenn nichts Dramatisches geschieht, wird in den nächsten 15 Jahren bei 60 weiteren Anlagen Baubeginn sein. Dabei sieht man diesen Boom durchaus mit gemischten Gefühlen – nicht nur in Wien. Die Internationale Beratergruppe für nukleare Sicherheit Insag ist sogar besorgt:

    "Viele Länder reden über Neubauten, auch solche, die heute noch gar keine Reaktoren besitzen. Diese Länder müssen sich bewusst werden, dass sie Verpflichtungen übernehmen, wenn sie die Kernenergie einsetzen","

    warnt Richard Meserve. Er ist Vorsitzender der Internationalen Beratergruppe für nukleare Sicherheit Insag und Präsident der Carnegie Institution in Washington DC:

    ""Kernenergie einzuführen ist ein großes Unterfangen. Man braucht eine kompetente, vom politischen Druck unabhängige Aufsichtsbehörde mit ausreichender finanzieller Ausstattung. Man braucht gut ausgebildetes Personal mit viel Erfahrung - und so etwas existiert in einigen dieser Länder gar nicht. Außerdem ist besonders für Länder ohne Erfahrung mit dieser Art von Großtechnologie der Aufbau eine Herausforderung."

    Ein Land, das ein Kernkraftwerk bauen will, braucht 100 Jahre politische Stabilität. Politische Unruhen dürfen weder den Betrieb gefährden noch den Abbau oder die Endlagerung der Abfälle. Vor 100 Jahren regierte in Deutschland Kaiser Wilhelm II. und Südafrika wurde in das britischen Empire eingegliedert. 100 Jahre sind für Menschen eine lange Zeit.

    Etwa 30 Kilometer von Kapstadt entfernt liegt das Kernkraftwerk Koeberg. Schon beim Anflug auf den Cape Town International Airport sieht man die "einsame" Anlage an einer Meeresbucht. "Einsam" in doppelter Hinsicht - weil es das einzige Kernkraftwerk in ganz Afrika ist und weil das nächste große Kraftwerk überhaupt 1600 Kilometer von hier entfernt läuft. Koeberg bringt sechs Prozent der nationalen Stromerzeugung. 90 Prozent stammen aus Kohle, der Rest von Gasturbinen, die seit den Black-outs eilig ans Netz gebracht worden sind - nur dass für sie kein Erdgas verbrannt wird, sondern Diesel.

    "My name is Clio Percasa, these are my learners from Da Noon primary in Da Noon, now they came here to learn more about Uranium and Koeberg power station.""

    Obwohl ein Sturm übers Meer fegt, sind heute die Grundschüler aus Da Noon in Koeberg zu Besuch. Energie steht auf dem Stundenplan. Im Besucherzentrum in den Dünen sollen sie lernen, wie man Strom aus Atom herstellt. Gleich soll ein Film vorgeführt werden, und die Lehrerin Clio Percasa verkürzt die Wartezeit mit Singen. Die Kinder freuen sich auf den Besuch, sie dürfen die Baseballkappen und Schirme behalten. Atomstrom hat hier nichts Beunruhigendes, sondern er bedeutet Arbeitsplätze und Licht am Abend. Dabei ist Da Noon einer der Orte, die evakuiert werden müssten, wenn in Koeberg etwas passiert. Deshalb kommen Schulklassen regelmäßig zu Besuch:

    "Wir haben einen umfänglichen Notfallplan, an dem wir zusammen mit den Städten und Gemeinden im Umkreis arbeiten. Wir halten engen Kontakt, denn falls etwas passiert, müssen wir die Menschen in einer 16 Kilometer Zone sofort evakuieren. Glücklicherweise leben hier nicht so viele Leute wie das in Europa bei einer vergleichbaren Anlage der Fall wäre."

    Carin de Villiers ist Pressesprecherin von Koeberg. Stünde bei einem Unfall der Wind ungünstig, wären bis zu 300.000 Menschen betroffen. De Villiers:

    "Wir haben für die Evakuierung Verträge mit Bus- und Taxiunternehmen und auch mit Hotels. Die Branche hat in Tschernobyl gelernt, dass man solche Pläne braucht, um die Leute so schnell wie möglich herauszuholen."

    Kapstadt mit seinen mehr als zwei Millionen Einwohnern liegt außerhalb der Evakuierungszone.

    "Der Handel gilt, dass Länder, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen und auf Nuklearwaffen verzichten, dafür Unterstützung bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie erhalten. Die Waffenstaaten sind diese Verpflichtung eingegangen, den anderen zu helfen, wenn die es wollen","

    erläutert Insag-Vorsitzender Richard Meserve. Ob Gut oder Böse, Demokratie oder Diktatur, das spielt keine Rolle - vertragsgemäß. Jedes Land darf die Atomkraft friedlich nutzen. Um den Einsteigewilligen zu vermitteln, was die Entscheidung pro Kernkraft bedeutet, setzt die IAEA auf Lernprozesse.

    ""Wenn ein Mitgliedsland unsere Hilfe bei der Prüfung der nuklearen Option wünscht, beginnt ein langer und mühsamer Prozess. Zuerst müssen die Staaten begreifen, worauf sie sich einlassen, was diese Großtechnologie bedeutet: Mit einem Mal sind 1000 MW [Megawatt, d. Red.] oder mehr am Netz, das kann in schwachen oder sehr dezentralen Netzwerken zu Problemen führen. Eine große Anlage lässt sich nur schwer integrieren","

    erzählt Hans-Holger Rogner. Bei vielen Störfällen sieht der Notfallplan vor, dass der Strom für die Notversorgung aus dem Netz kommt – fürs Starten der Dieselgeneratoren reicht nicht die Zeit. Ist das Netz für eine solche "Infusion" zu schwach, wird es gefährlich. Rogner:

    ""Wenn wir gemeinsam mit dem Land zu dem Schluss kommen, dass die Kernenergie derzeit für dieses Land nicht die beste Möglichkeit ist, dann sagen wir das auch. Wir sagen, hier ist unsere Analyse, unserer Meinung nach passt es oder passt es nicht. Aber das Land muss mit dieser Information selbst entscheiden."

    Wenn es hart auf hart kommt, kann man nur noch darauf hoffen, dass sich die Kraftwerksbauer aus Angst vor dem Imageschaden nach einem schweren Unfall zurückhalten. Doch diese Rechnung geht nicht immer auf. Die Türkei etwa schrieb den Auftrag für einen Kernreaktor aus, in einem Gebiet, das erdbebengefährdet ist. Sämtliche westliche Lieferanten schickten erst gar kein Angebot ab. Doch die russische Regierung machte Druck auf ihre Kernkraftindustrie - Jetzt baut dort ein russischer Konzern.

    "Wenn ein Land auf seinem Boden ein Kernkraftwerk hat, muss es vor allem die notwendigen Aufsichtsbehörden und das Wissen haben, um für die Sicherheit der Anlage selbst verantwortlich sein zu können","

    erklärt Philippe Germain, Direktor für die Abteilung Anlagensicherheit bei der IAEA. Deshalb funktioniert der Einstieg nicht von heute auf morgen: Zehn bis 15 Jahre braucht ein gut entwickeltes Land bis zum Wunsch-Kernkraftwerk. Entwicklungs- und Schwellenländer brauchen länger, falls es überhaupt gelingt - denn kaufen lässt sich dieser Sachverstand nicht.

    Es gießt in Strömen, bei der Besichtigung von Koeberg. Carin de Villiers:

    ""Unsere beiden Einheiten laufen gerade nahe an 100 Prozent. Pro Einheit produzieren wir 950 Megawatt, aber 35 davon brauchen wir, um Pumpen, Kühlkreisläufe und alles andere zu betreiben, so dass wir netto 900 MW einspeisen - pro Einheit, macht 1800 für beide."

    Die südafrikanische Wirtschaft hängt vom Bergbau ab. Als die ersten Stromausfälle durchs Land rollten, erwischte es die Minen eiskalt, ebenso die Metallschmelzen. De Villiers:

    "Wir haben Anfang des Jahres die Bergbauunternehmen für eine Woche vom Netz genommen, um landesweite Black-outs zu vermeiden. Das hat ihnen gewaltige Probleme verursacht. Danach bekamen sie 90 Prozent ihres Stroms zurück, aber das hat nicht gereicht, sie brauchten 95 Prozent. Auf den Rest verzichten sie seitdem, setzen dafür teure Dieselgeneratoren ein. Ohne ihren Verzicht aber wären wir nicht durch diesen kalten Winter gekommen. Der Verbrauch der Haushalte bricht alle Rekorde, nur dass wir uns das jetzt nicht leisten können."

    Selbst ausgemusterte Kohlekraftwerke werden derzeit wieder ans Netz geholt. Es geht um den Strom, alles andere wird beiseite geschoben: Dass man sich für die Kohlekraftwerke aus Kostengründen keine Filter leistet – und dass sich noch niemand Gedanken darüber macht, was mit den Brennelementen aus Koeberg passieren soll. Sie werden noch viele Jahrzehnte in den Abklingbecken neben den Reaktoren ruhen. Und wenn es so weit ist, vielleicht verzichtet man dann auf die Endlagerung. De Villiers:

    "In Südafrika denken über die Wiederaufarbeitung nach, weil in den Brennelementen ja noch brauchbares Uran steckt, für das wir bereits bezahlt haben. Obwohl Südafrika selbst ein wichtiger Uranproduzent ist, beziehen wir unsere Brennelemente derzeit aus Russland."

    Noch drängt diese Frage nicht. Man hat Zeit – und man ist stolz darauf, dass man das Schicksal des mittel- und schwachaktiven Betriebsmülls aus Koeberg schon gelöst hat. Zunächst landet er im Zwischenlager. Hinter einem schweren Rolltor verbirgt sich eine große Halle, rechts und links stehen mit farbigen Ringen markierte Betonfässer. De Villiers:

    "Das ist unser Lager für den schwach- und mittelaktiven Atommüll. Je nach Radioaktivität wird der Müll in die verschiedenen Stahl- und Betonfässer sortiert. Die gehen dann per Tieflader ab zum Nordkap ins Endlager Vaalputs."

    Im 600 Kilometer entfernten Vaalputs regnet es so gut wie nie. Das ist Teil des Endlagerkonzepts: Die Fässer werden auf einer ehemaligen Farm in sieben Meter tiefe Betonwannen gesteckt, mit Betondeckel und Erde abgedeckt - das war es dann.

    Südafrika will drei neue Kernkraftwerke bauen. Falls die Finanzierung klappt, wird das Personal der Engpass sein. Fachleute sind knapp, erzählt Carin de Villiers, in Südafrika und anderswo. Sie zeigt auf eine Steintafel, dort sind die Namen aller Reaktorfahrer verzeichnet, die in Koeberg gearbeitet haben - und etliche von ihnen sind inzwischen ins Ausland gegangen. Entstehen sollen die neuen Kraftwerke alle am Meer. Wer sie errichten wird, ist noch offen. Wer immer jedoch den Zuschlag bekommt, eines wird anders sein als früher. Hans-Holger Rogner:

    "Beim Reaktorbau handelt es sich heute um einen globalisierten und sehr konzentrierten Markt. Niemand baut mehr ein Kernkraftwerk allein. Es sind Konsortien, zu denen Franzosen gehören, US-Amerikaner, Japaner, aber auch die Russen und einige kleinere Länder und Firmen. Dampferzeuger, Reaktordruckbehälter, Instrumentenkontrolle, das holen sich die Leute da, wo sie den besten Preis bekommen."

    Kernkraftwerke sind notorisch teuer – und durch die modernen Sicherheitsanforderungen werden sie immer teurer. Deshalb denken einige Länder über Light-Versionen nach - etwa für das Kernkraftwerk, das Frankreichs Präsident Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi versprochen hat. Michael Sailer, Reaktor-Experte des Ökoinstituts Darmstadt:

    "Es geht um ein allgemeines Abspecken, weil ja viele auf der Herstellerseite meinen, dass die Sicherheitsanforderungen, so wie sie sich entwickelt haben, viel zu hoch gegriffen sind. Dann macht man halt nicht so viel Mehrfachsysteme rein, man sichert nicht jeden Fall ab, sondern nur einen Teil der Fälle, solche Dinge sind das dann, die dann in der Summe billiger sind, die dann aber auch in der Summe das Risiko erhöhen."

    Wir sind in den Nordosten Südafrikas gefahren, dorthin, wo das Gros des Stroms produziert wird: mit Kohlekraftwerken. Hier reihen sich auf den Hügeln dampfende Riesenkraftwerke aneinander wie Perlen einer Kette. Unter dem Highway laufen Förderbänder, schaffen die Kohle aus den Tagebauen zu den Brennkammern. Es ist Abfallkohle, ungeeignet für den Export. Mangels Filteranlagen sind die Folgen gigantisch: Der Schwefel macht den Regen sauer, so dass Talsperren zu kippen drohen und die Böden verderben. Das Gras ist mittlerweile wertlos, die Rinder leiden unter Mangelerscheinungen und müssen mit Spurenelementen per Spritze versorgt werden. Die landwirtschaftlichen Schäden sind gewaltig. Neue Windparks sind geplant, aber sie taugen nicht für die Grundlast – und die riesigen Minen und die Metallschmelzen brauchen rund um die Uhr ungeheuer viel Energie. Auf Wind und Sonne kann sich die Schwerindustrie nicht verlassen.

    In der Nähe von Pretoria liegt Pelindaba, das südafrikanische Nuklearforschungszentrum. Der leitende Entwicklungsingenieur Robert Peters betritt eine leere Halle. Die Wände sind abgeschliffen, ein paar Kabel hängen von der Decke, leere, schwarze Lüftungsschächte gähnen.

    "Hier hat man früher die Brennstäbe und Brennelemente für Koeberg haben wir hier hergestellt. Das ist dann jetzt aufgeräumt worden, damit wir die neue Anlage herein bauen können."

    Schon in ein paar Jahren sollen hier die Brennstoffkugeln für einen neuen Reaktortyp produziert werden: den südafrikanischen Kugelhaufenreaktor. Klein soll er sein, sicher – ideal für den Einsatz in ländlichen Gebieten oder als Lieferant für Prozesshitze in der Fabrik. Gekauft hat man das Patent in Deutschland und es weiterentwickelt. 2010 soll der Prototyp in Koeberg gebaut werden. Man hofft auf einen Exportschlager. Robert Peters öffnet die Tür zur Feuertreppe, der Blick ist grandios. Peters:

    "Jetzt sieht das fast wie Buschveld aus, wie ein echtes Naturgebiet. Es ist 20 Jahre her, da war das alles schön gemähter Rasen, und dann hatten die Leute in der Mittagsessenszeit ein paar Golfbälle geschlagen."

    Pelindaba liegt in einem idyllischen Tal. Impalas grasen zwischen den Gebäuden, Kuhantilopen, Zebras. Robert Peters:

    "Da sind auch Affen, die hier herumlaufen, Warzenschweine sogar."

    Ohne die Hochspannungszäune und die schwer bewachten Eingänge hätte das Institut etwas von einem Zoo. Man sollte nicht vermuten, dass hier ganz in der Nähe Waffenplutonium lagert. Pelindaba hat einen militärischen Teil. Über den Bäumen lugt Valindaba hervor – dort stand früher neben der zivilen Brennstoffproduktionsanlage auch die Anreicherungsanlage für die sechs Atombomben Südafrikas. Peters:

    "Übrigens, das Material haben wir noch immer, aber das wird jetzt gebraucht, um medizinische Isotopen herzustellen im Reaktor hier nebenan bei Safari. Und in der Hinsicht produzieren wir jetzt im Augenblick so etwa 25 Prozent vom Weltanteil der medizinischen Isotope."

    Doch das Waffenplutonium weckt ungute Begehrlichkeiten, wie ein Zwischenfall am 8. November 2007 beweist. Damals gelang es vier bewaffneten Männern, mehrere Sicherheitsbarrieren zu überwinden - darunter einen 10.000-Volt-Zaun - wohl dank Insiderwissens. 45 Minuten konnten sie sich ungestört auf dem am schwersten bewachten Ort Südafrikas aufhalten. Erst ein Sicherheitsoffizier außer Dienst, der eigentlich nur seine Verlobte besuchte, hielt die Männer auf. Die Eindringlinge schossen auf ihn, schwer verletzt löste er Alarm aus. Die vier entkamen - unerkannt, ebenso wie die zweite Gruppe, die gleichzeitig von der anderen Seite her versucht hatte, hineinzukommen. Die Debatte über die Terrorismusgefahr flammte auf - und wurde von Regierungsseite schnell beendet.

    Je mehr Atomreaktoren gebaut werden, je mehr Menschen das Wissen erwerben, damit umzugehen, desto unübersichtlicher wird die Lage. Vor allem der Terrorismus bereitet der Internationalen Beratergruppe für nukleare Sicherheit Insag Sorgen, ebenso die Proliferation, erklärt Richard Meserve:

    "Zu Beginn des Brennstoffkreislaufs und bei der Wiederaufbereitung an seinem Ende kann Brennstoff für Waffenzwecke angereichert werden. Wenn viele Länder damit anfangen, nicht nur Kernkraftwerke zu betreiben, sondern auch den Brennstoffkreislauf selbst zu übernehmen, sehen wir uns einem ernsten Risiko mit Blick auf die Weiterverbreitung von Atomwaffen gegenüber."

    Der Fall Abdul Qadeer Khan beweist, dass die Gefahr nicht aus der Luft gegriffen ist. Der Vater der pakistanischen Atombombe hatte Waffentechnik an Libyen, den Iran und Nordkorea verraten. Je instabiler die Länder sind, in denen Atomanlagen laufen, umso größer das Risiko, dass so etwas wieder passiert – oder dass Terroristen an das Material herankommen. Deshalb warnt Michael Sailer:

    "Es gibt zwei Probleme. Das eine ist, dass viele dieser Länder bei der aktuellen Regierung oder auch bei einer zukünftigen Regierung sicher auch militärische Ambitionen damit haben, und dass sich viele dieser Länder auch in Weltgegenden befinden, in denen solche militärischen Ambitionen das Kräftegleichgewicht stark verschieben können."

    Als Lehre aus dem Iran oder Nordkorea, überlegt man bei der IAEA, ob es nicht ein internationales Zentrum geben könnte, das dafür sorgt, dass jedes Land die Brennelemente bekommt, die es für seine Reaktoren braucht. Auf neutralem Gebiet, international überwacht. Die Idee: Neben dem Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie soll jedem Land auch die Versorgung mit Brennstoffen garantiert werden. Der Boom in der Kernenergie soll möglichst nicht zu einem Boom in der Wiederaufbereitung führen – denn von da aus ist es nur ein relativ kleiner Schritt zum Bombenbau. Die Zahl der Kernkraftstaaten wird sich in den nächsten Jahren stark erhöhen. Vielleicht werden politisch mit Argwohn betrachtete Länder dazukommen wie Nigeria, Weißrussland oder der Sudan. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Die Frage ist, ob es gelingen wird, die Risiken in Grenzen zu halten.
    Wer an den Stränden von Blouwberg und Melkbos bei Kapstadt surft, hat stets das Atomkraftwerk Koeberg vor Augen.
    Wer an den Stränden von Blouwberg und Melkbos bei Kapstadt surft, hat stets das Atomkraftwerk Koeberg vor Augen. (Dagmar Röhrlich)
    Auf der Fahrt von Johannesburg zum Krügerpark reiht sich ein Kraftwerk ans andere.
    Auf der Fahrt von Johannesburg zum Krügerpark reiht sich ein Kraftwerk ans andere. (Dagmar Röhrlich)