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"Atomwaffen wollen wir in unserer Region nicht haben"

Dass auf Incirlik auch 90 Atomwaffen gelagert sind, deren Sprengkraft der von 1000 Hiroshima-Bomben entspricht, wird weder von den USA noch von Ankara offiziell bestätigt - gilt aber als offenes Geheimnis.

Von Gunnar Köhne | 23.04.2010
    Die Rainbow Warrior hat am europäischen Bosporus-Ufer festgemacht. Der bunt bemalte Dreimaster, Flaggschiff der Umweltorganisation Greenpeace, ist nach Istanbul gekommen, um den hiesigen Protest gegen den geplanten Bau des ersten Atomreaktors in der Nähe der Schwarzmeerstadt Sinop zu unterstützen.

    "Für eine Atomfreie Türkei" steht auf einem Banner am Bug des Schiffes. Damit ist auch noch ein anderes Atomproblem gemeint, erklärt Hilal Atici von Greenpeace Türkei:
    "Auf türkischem Boden befinden sich derzeit 90 gefechtsbereite Atomsprengköpfe, und zwar auf der amerikanischen Luftwaffenbasis Incirlik im Süden. Unser Nachbarland Griechenland hat den USA untersagt, Atomwaffen in ihr Land zu bringen. Wir fordern unsere Regierung auf, das Gleiche zu tun. Wir wollen nicht, dass von unserem Boden aus andere mit Atomwaffen bedroht werden. Und wir wollen auch nicht zur Zielscheibe werden wegen dieser Waffen."
    Der Stützpunkt Incirlik in der Nähe der südtürkischen Stadt Adana ist für das US-Militär ein wichtiges Drehkreuz für die Versorgung seiner Truppen im Irak und in Afghanistan. Im Irakkrieg 2003 untersagte die türkische Regierung die Nutzung der Flugbasis für Angriffe im Nachbarland - sie wollte sich auch nicht indirekt an den Kampfeinsätzen beteiligen. Dass auf Incirlik auch 90 Atomwaffen gelagert sind, deren Sprengkraft der von 1000 Hiroshima-Bomben entspricht, wird weder von den USA noch von Ankara offiziell bestätigt - gilt aber als offenes Geheimnis. Die Stationierung dieser Waffen ist Teil des NATO-Konzepts der sogenannten "nuklearen Teilhabe" – selbst wenn die Waffen nur auf Befehl der US-Führung einsatzbereit gemacht werden können.

    Die Mehrheit der Türken lehnt die Anwesenheit dieser Waffen ab. Greenpeace Türkei gab vor sechs Jahren eine Umfrage in Auftrag, in der mehr als die Hälfte der Befragten äußerte, dass sie der Stationierung von Atomwaffen in der Türkei "überhaupt nicht" zustimmen. 72 Prozent sprachen sich sogar für eine atomwaffenfreie Türkei aus. Anlässlich des heftigen Streits über das iranische Atomprogramm hat Regierungschef Tayyip Erdogan diese Stimmung aufgegriffen. Seit Kurzem setzt er sich für einen atomwaffenfreien Nahen Osten ein.
    "Jeder sollte das Recht haben, Atomenergie zu besitzen. Aber Atomwaffen wollen wir in unserer Region nicht haben. Nun gibt es aber bereits Atomwaffen in unserer Region. Dieses Land wird aber nicht kritisiert."
    Damit ist Israel gemeint – immer wieder weist die türkische Regierung darauf hin, dass man nicht von Irans Atomplänen reden und von Israels Atombewaffnung schweigen könne. Ob Erdogans Vision eines atomwaffenfreien Nahen Ostens auch die Atomsprengköpfe von Incirlik mit einbezieht, bleibt unklar, weil sich weder Washington noch Ankara zu deren Existenz offiziell äußern wollen. Festzustehen scheint dagegen, dass die Türkei selbst in die Atomtechnologie einsteigen will. Nach zahllosen Anläufen in den vergangenen zehn Jahren soll Russland das erste Atomkraftwerk nahe der Stadt Sinop errichten. Hilal Atici von Greenpeace:
    "In der Region raufen sich die Anbieter von Atomkraftwerken um Aufträge. Die Russen bauen im Iran, die Franzosen in Marokko. Und jetzt sagt die Türkei: Ich will auch zu den Atomländern gehören. Aber wir haben schon vor zehn Jahren den Bau eines AKWs an der türkischen Mittelmeerküste gestoppt. Mithilfe der Menschen von Sinop wird uns das auch bei diesen Plänen gelingen."