Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Attabambi Pornoland"

Angst, Angst, Angst, wir alle haben Angst. Vor dem Krieg, vor der Arbeit, vor dem Leben. Deshalb gründen wir jetzt schnell die "Church of Fear", der der Karlsruher Chef-Theoretiker Boris Groys bescheinigt: die Angst sei in dieser säkularen Zeit "die einzige Möglichkeit, eine direkte Verbindung mit dem An-Sich-Wahren, dem Transzendenten anzuknüpfen".

Christian Gampert | 09.02.2004
    Was der gute Groys vermutlich bockelernst meint, ist bei Christoph Schlingensief schon längst ins Stadium des fortgeschrittenen Kabaretts getreten: Habt Angst! Angst ist geil!

    Nun bewegt sich die Kirche von Gegen-Papst Christoph I. schon auf ihrer dritten Kreuzweg-Station durchs deutschsprachige Erdental. "Atta Atta" ging man in Teil eins, dem süßen "Bambi" galt Teil zwei, nun ist man in der calvinistischen Banken-Metropole Zürich angekommen, der man die Augen darüber öffnen möchte, dass sie eigentlich ein Pornoland ist, denn Geld ist böse und stinkt, weil man damit Waffen baut und arme Menschen penetriert, Und so bombardierte uns Surreal-Dada-Max Schlingensief nun einen kurzlangweiligen Abend lang mit brüllenden und dozierenden Körperwelten, mit fettleibigen BDM-Mädels und Zwergen, mit einem ins Familienserienformat übersetzten Richard-Wagner-Cosmos und mit viel Musik von Hardcore bis Penderecki.

    Es war das erwartete Spektakel: Nackt-Körper-Happening à la Hermann Nitsch und Kettensägen-Massaker, Jackson-Pollock-Farbgespritze, so dass die ersten Reihen ihre Köpfe unter Plastikplanen wegducken mussten, Baden in Fäkalien und auch Baden in den üblichen, sich hysterisch-melancholisch fortassoziierenden Sex-und-Krieg-Texten der Elfriede Jelinek, die gleichwohl einen Sog haben und jenen Politzynismus freilegen, der in unseren Alltags- und Medien-Diskursen immer so schön wegdrapiert wird.

    Es war aber vor allem die Ein-Mann-Show des Christoph Schlingensief, der sich als perrückentragender Richard Wagner im europäisch-amerikanischen Pornoland in Szene setzte und der vor allem weiß, wie man Aufmerksamkeit erringt:

    Sex und Krieg, irgendwie fast dasselbe, wenn die Körper ineinander herumfuhrwerken, Penisse und US-Präzisionsraketen für die große geschichtliche Wunde des weiblichen Genitals. Schlingensief arbeitet sich ein bisschen vulgäranalytisch von der analen in die ödipale Phase vor und ist am Ende, nach vielerlei indirekten Bunuel-Zitaten und videotischen Irrungen durch die Kellergänge der fleischlichen Brutalität, halbglücklicher Vater – nein, nicht der erhofften Söhne, sondern zweier Schweine, die man kreuzigen und denen man das Klavierspiel beibringen kann.

    Wer Lust hat, mag sich darüber aufregen; der große Rest des Züri-cher Premierenpublikums war eher amüsiert über den reinen Toren Schlingensief, der sich mit viel Wagner-Personal aus dem Parsifal umgab und die Musikgeschichte plünderte.

    Nun, wir alle sind Teil einer großen kapitalen Verwurstungsmaschi-ne, angetrieben nicht nur vom angeblichen US-Imperialismus und den Öbszönitäten der täglichen Politberichterstattung, sondern angetrieben auch von jenem Theater der Grausamkeit, wie es Christoph Schlingensief zelebriert. Natürlich weiß er das, und er spielt damit.

    Das führt zu einer kuriosen Doppelbelichtung in der Wahrnehmung: einerseits inszeniert sich Schlingensief, als sei er der Aufklärer schlechthin. Das ist er nicht: er ist der Clown in einem Betrieb, der auch ihn schon längst geschluckt hat. Andererseits stehen nach der Vorstellung da diese Fernsehfritzen und fragen einen allen Ernstes, ob man jetzt empört sei – und merken gar nicht, dass sie Teil einer Schlingensief-Inszenierung sind.

    Ja, Gott, wir sind furchtbar empört. Wir sind Teil jenes großen Em-pörungs-Zusammenhangs, den Christoph Schlingensief in einen Erlö-sungszusammenhang transformieren möchte. Erlösung durch Sex, die alte naive Formel. Und Skandal durch Sex, weil über missbrauchte Körper man sich trefflicher erregen kann als über die politische Saue-rei.