Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Attacke gegen Aids

Forscher aus Hannover und Ulm sind im Kampf gegen Aids einen Schritt weiter gekommen. Mit dem Wirkstoff VIRIP 576 konnte die Viruszahl im Blut der Patienten erheblich gesenkt werden. Auch die Nebenwirkungen des Präparats sind deutlich kleiner.

Von Michael Engel | 27.12.2010
    Herkömmliche Präparate bekämpfen die Erreger erst dann, wenn sie in die Immunzellen des Patienten bereits eingedrungen sind. Und das erklärt auch die vielen Nebenwirkungen wie zum Beispiel Blutbildstörungen, denn auch die Immunzellen werden unter der Therapie angegriffen. Der neuartige Wirkstoff hingegen attackiert allein die Aids-Viren, wenn sie außerhalb der Immunzellen frei im Blut herumschwimmen, sagt Prof. Wolf-Georg Forssmann von der Medizinischen Hochschule Hannover.

    "Wir haben weniger Nebenwirkungen, insbesondere Nebenwirkungen wie Durchfall, Nervenreizungen, Blutbildveränderungen. Die sind bei unseren Patienten nicht aufgetreten. Wir hatten allerdings auch Nebenwirkungen, dazu gehörten unter anderem zwei Patienten mit Hautausschlag, der möglicherweise durch den Zerfall der Viren selbst entstanden ist. Aber diese Nebenwirkungen waren alle beherrschbar und sind sehr schnell wieder verschwunden."

    Und dann gibt es da noch einen entscheidenden Fortschritt: Aids-Viren können das neuartige Medikament nicht einfach wirkungslos machen, indem sie sich genetisch anpassen. VIRIP 576 greift das Virus nämlich an einer Stelle an, die durch Mutationen zum Beispiel nicht verändert werden kann. Prof. Reinhold Schmidt von der Medizinischen Hochschule Hannover denkt daran, den neuartigen Wirkstoff gerade bei denjenigen Patienten einzusetzen, bei denen herkömmliche Mittel nicht mehr helfen: Und das sind heute schon zehn Prozent – Tendenz weiterhin steigend.

    "Es bietet das Potenzial, durch das neue Wirkprinzip ganz neue Türen dort zu öffnen. Auf der anderen Seite hofft natürlich immer der Patient, bei dem gar nichts mehr wirkt, auf diese immer wieder neue Substanzgruppe, die ihn vielleicht doch aus dem Tief der Immunschwäche herausbringt. Das könnte es für Patienten in dieser Situation sein, und solche Therapieversager werden wir auch in der nächsten Phase der klinischen Studie testen. Dann werden wir weitere Aussagen machen"

    Bislang sind aber nur ganz wenige HIV-Infizierte mit dem neuen Mittel behandelt worden: gerade mal 18 Patienten. Doch schon bei diesen Personen hat sich gezeigt, dass VIRIP 576 ein sehr effizientes Medikament ist, das die Viruszahl im Blut drastisch senken kann. Nur leider handelt es sich bei dem Präparat um eine Proteinlösung, die in Form einer Infusion verabreicht werden muss. Das heißt, die Behandlung läuft nur unter Aufsicht von Klinikpersonal. Und das ist wenig praktikabel. Deshalb wird nun daran gedacht, das Ganze in die Form einer Pille zu pressen. In jedem Fall sind weitere Studien nötig.

    "Also soweit wir die infundierbare, also die durch die Vene zu verabreichende Substanz benutzen können, kann man das vielleicht schon in wenigen Jahren machen, wenn diese Entwicklung weiter geht. Wenn wir eine Tablette haben wollen und damit ein kleines chemisches Molekül für dieses Wirkprinzip entwickeln wollen, dann wird es sicher noch - ich schätze mal - vier, fünf, sechs Jahre dauern."

    Eine Heilung - im ursächlichen Sinne - kann aber auch der neue Wirkstoff nicht versprechen. Das Immunschwächevirus HIV wird nicht vernichtet, sondern nur in Schach gehalten. Eine Behandlung mit herkömmlichen Präparaten kostet heute schon rund 20.000 Euro im Jahr. Mit dem neuen Medikament, so Prof. Reinhold Schmidt aus Hannover, werden sich die Behandlungskosten mit 40.000 Euro vermutlich verdoppeln.